Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ein Klaps, der sehr wohl schadet
Studie der Universität Ulm beleuchtet Einstellungen zu Gewalt gegen Kinder – Die wichtigsten Ergebnisse
●
ULM - Trotz Verbot halten 42 Prozent der Deutschen einen ein Klaps auf den Hintern bei Kindern für angemessen. Das zeigt eine am Donnerstag vorgestellte Studie der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Ulm. Die von Unicef Deutschland und dem Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) finanzierte Studie beschäftigt sich damit, wie akzeptiert und verbreitet Gewalt gegen Kinder in Deutschland ist. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
●
Grundsätzlich bescheinigen die Forscher Deutschland eine gute Entwicklung, seitdem der Bundestag das Gewaltverbot gegen Kinder im Jahr 2000 beschlossen hat. „Das war damals nicht wie von vielen behauptet Symbolpolitik, sondern hat tatsächlich eine Änderung der Einstellung und weniger Körperstrafen bewirkt“, sagt Professor Jörg Fegert. Er hat die Studie als Ärztlicher Direktor der Klinik geleitet. Noch 2001 bewerteten mehr als drei Viertel der Deutschen den Klaps auf den Hintern als in Ordnung, 2020 sind es deutlich unter 50 Prozent. Leichte Ohrfeigen hielten vor 20 Jahren noch deutlich mehr als die Hälfte für richtig, heute ist es ein Sechstel. Auch bei den schweren Körperstrafen zeigt sich diese Entwicklung. Dachten 2001 noch drei Prozent der Befragten, Hiebe mit dem Stock auf den Po seien in Ordnung, so waren es 2020 nur noch 0,6 Prozent. „Wir beobachten, dass sich die Zahlen auf einem Niveau stabilisieren, das immer noch nicht okay ist“, sagt Ekin Deligöz, Vizepräsidentin des DKSB.
Was gilt als Gewalt gegen Kinder?
●
Neben klassischen Körperstrafen wie Schlägen fassen die Forscher unter diesen Begriff auch emotionale Gewalt. Diese liegt zum Beispiel vor, wenn Bezugspersonen dem Kind vermitteln, dass es wertlos, ungeliebt oder unerwünscht ist. Eine andere Form emotionaler Gewalt sind Strafen wie das „in der Ecke stehen müssen“. Solche Sanktionen oder emotionale Übergriffe kämen häufiger vor als physische Gewalt. Dennoch, so Psychiater Fegert, fehle noch immer das öffentliche Bewusstsein für die gravierenden Folgen auch dieser Art der Gewalt.
Was dürfen Eltern überhaupt – und was nicht?
●
Am 8. November 2000 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung. Es bestimmt: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“Allerdings ist es im Bürgerlichen Gesetzbuch verortet und damit im Zivilrecht. Das bedeutet, dass kein expliziter Straftatbestand im Zusammenhang mit dem Verbot besteht. Eltern können dafür also zunächst nicht verurteilt werden. Das ändert sich natürlich, sobald Straftaten wie Misshandlung vorliegen.
Wen haben die Forscher für die Studie befragt?
●
Etwa 2500 Menschen in Deutschland haben die Forscher befragt, einen Teil während der Corona-Krise, den anderen davor. Die Befragten wurden gefragt, welche Strafen sie für angemessen halten und ob sie Aussagen wie „Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem geschadet“zustimmen.
Ist Gewalt gegen Kinder bei bestimmten Gruppen akzeptierter?
●
Männer akzeptieren körperliche Gewalt
gegen Kinder deutlich häufiger als Frauen. Außerdem ist das Alter ein wichtiger Faktor: Je älter die Befragten, desto häufiger finden sie Gewalt gegen Kinder akzeptabel. „Dagegen freut es mich, dass wir keine signifikanten Ergebnisse dazu gefunden haben, dass Menschen mit nichtdeutscher Staatsbürgerschaft anders antworten als die mit deutscher Staatsbürgerschaft. Wer hier lebt, übernimmt da offenbar die Wertvorstellungen“, so Fegert. Allerdings hatten 96,2 Prozent der Studienteilnehmer eine deutsche Staatsbürgerschaft,
repräsentativ wäre ein Anteil von etwa 87 Prozent. Auch das Einkommen der Befragen hatte keinen Einfluss darauf, wie Menschen zu Gewalt gegen Kinder stehen.
Welche Auswirkungen hat es auf Menschen, wenn sie selbst Gewalt in der Kindheit erlebt haben?
●
Wer selbst Gewalt erlebt, hat ein deutlich höheres Risiko, diese Erfahrung weiterzugeben und findet Gewalt gegen Kinder eher akzeptabel. „Auch das gilt ganz besonders bei psychischer Gewalt“, so Fegert. Fast zwei Drittel derjenigen, die angeben, emotionale Gewalt erlebt zu haben, finden die Klapse auf den Hintern in Ordnung. Daraus resultiere dann eine Spirale der Gewalt, die es zu durchbrechen gelte, sagt Fegert.
Wirkt sich die Corona-Krise auf Kinder aus?
●
Die Ergebnisse der Studie sind vor und während der Krise nicht signifikant voneinander abgewichen, sagt Fegert. Kinderschützerin Ekin Deligöz sieht dennoch Indizien dafür, dass vor allem die Isolation daheim ohne Kontakt zu Freunden oder Mitschülern Probleme verursacht: „Wir haben aber zurzeit viele Hinweise darauf, dass es in der Krise zu mehr Gewalt gegen Kinder kommt.“So hätten sich beispielsweise direkt nach dem ersten Lockdown sprunghaft mehr Kinder bei den Hilfstelefonen und Jugendämtern gemeldet.
Welche Forderungen erheben Kinderschützer als Konsequenz aus der Studie?
●
Deligöz fordert drei Maßnahmen. Sie will mehr Aufklärungsarbeit – vor allem um beim Thema emotionale Gewalt zu sensibilisieren. Außerdem sollten die Kinderrechte gestärkt werden. „Kinderrechte müssen in der Politik häufiger im Vordergrund stehen und nicht hinten angestellt werden“, sagt sie. Dringend brauche es auch mehr Daten zur Gewalt an Kindern. Nur so sei gewährleistet, an dem Thema verlässlich und präzise arbeiten zu können.