Schwäbische Zeitung (Biberach)
Kein künstliches Kerosin aus der Region
Nachhaltiges Pilotprojekt: Zementwerke in Allmendingen und Schelklingen gehen leer aus
REGION (kou) - Das Zementwerk in Allmendingen als Standort für ein Pilotprojekt, durch das erforscht wird, wie aus CO2 künstliches Kerosin werden kann, war ebenso im Rennen wie das in Schelklingen: Nun wurde bekannt, dass die neue „im großtechnischen Maßstab gebaute und betriebene“Anlage auf dem Gelände des Schwenk-Zementwerks im Heidenheimer Stadtteil Mergelstetten entstehen wird. Baubeginn ist voraussichtlich 2022. Den beiden Zementwerken in der Region waren im Vorfeld in einer Machbarkeitsstudie noch gute Chancen auf den Zuschlag eingeräumt worden.
Das Land Baden-Württemberg, die Zementindustrie und der Flughafen Stuttgart wollen mit einem gemeinsamen Pilotprojekt die Herstellung erneuerbarer Kraftstoffe aus den CO2-Emissionen von Zementwerken und deren Einsatz beispielsweise im Luftverkehr erproben. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde bei einer virtuellen Veranstaltung am Mittwoch unterzeichnet.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagt, bei dieser Innovation gehe es darum, den „bei der Produktion von Zement entstehenden Klimakiller CO2, der prozessbedingt und nicht vermeidbar ist, zur Grundlage für die Herstellung von klimafreundlichem, synthetischem Kerosin zu machen“. Obwohl oder gerade, weil es sich „nach einem schwierigen und außergewöhnlichen Vorhaben“anhöre, sei es „bei uns in Baden-Württemberg genau richtig“. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) fügt an, dass durch das Projekt gleich zwei wichtige Ziele angestrebt werden: „Das ermöglicht eine klimafreundlichere Zementproduktion und zugleich die Gewinnung eines wichtigen Rohstoffs für erneuerbare Kraftstoffe.“
Unbeteiligt ist aber, auch wenn die sogenannte Oxyfuel-Demonstrationsanlage nicht in Schelklingen gebaut wird, auch Heidelberg Cement nicht: Zusammen mit Schwenk sowie den Zementherstellern Dyckerhoff und Vicat S.A. haben sie sich zum Projekt „catch4climate“zusammengeschlossen, um die großtechnische Anwendbarkeit der neuen Technologie zu demonstrieren. Das Projekt wird getragen von der gemeinsamen Branchen-Initiative „Cement Innovation for Climate“(CI4C). Elke Schönig, Pressesprecherin von Heidelberg Cement, sagt über die Standortentscheidung: „Wir sind ja Teil des Konsortiums CI4C und hatten im Vorfeld gemeinsam mit allen Partnern nach dem bestmöglichen Standort für das Pilotprojekt gesucht.“
Die beiden Geschäftsführer von „catch4climate“, Ralf Hölscher und Jürgen Thormann, betonen, „catch4climate“leiste einen „entscheidenden Beitrag zur Skalierung und Verbreitung klimafreundlicher Schlüsseltechnologien, um die Herstellung von Zement und damit auch von Beton klimafreundlicher zu machen“. Thormann, der bis Mitte des Jahres noch das Schwenk-Werk in Allmendingen geleitet hat und nun in Mergelstetten aktiv ist, bezeichnet den Baustoff als wichtige Grundlage für den Wohlstand moderner Gesellschaften. Der Geschäftsführer der Initiative CI4C und zuständig für Neue Technologien beim Baustoffhersteller Schwenk, erklärt, dass es technisch durchaus möglich sei, die Zementherstellung klimaneutral zu gestalten. Mit jährlich über vier Milliarden Tonnen weltweit sei die Zementproduktion bei klimarelevanten Emissionen ein wichtiger Faktor. Wie berichtet, ist das Projekt auch deshalb vielversprechend, weil beispielsweise etwa 44 Prozent des CO2Ausstoßes der baden-württembergischen Industrie laut Ministerium auf die sieben Zementwerke im Land zurückgehen.
Den nun eingeschlagenen Weg der Abscheidung des durch die Verwendung von Kalkstein bei der Zementherstellung
unvermeidlich anfallenden CO2 und dessen anschließende Nutzung zur Herstellung von Kraftstoffen nannte Thormann bei der virtuellen Konferenz „realistisch und notwendig“.
Die bei Schwenk in Mergelstetten entstehende Anlage soll nach Angaben der Steine- und Erden-Industrie in Baden-Württemberg ab Mitte der 2020er-Jahre in Betrieb gehen und circa 450 Tonnen CO2 pro Tag zu Kraftstoffen umwandeln. Aus dem prozessbedingten CO2 eines Zementwerks könnte beispielsweise, so das Land in einer Pressemitteilung, der Bedarf des Stuttgarter Flughafens zweifach gedeckt werden. Für den Projektpartner Landesflughafen Stuttgart betont dessen Geschäftsführerin Arina Freitag die Gründe für die Unterstützung des Pilotprojekts: „Der Flughafen Stuttgart hat großes Interesse an dem Einsatz von klimafreundlichem, synthetischem Kerosin.“