Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Städtebaul­iche Grauzone“im Wandel

Kaum ein Stadtquart­ier hat sich so stark verändert wie der Bereich zwischen Ring und Bahnhof

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - In kaum einem Bereich hat sich die Biberacher Innenstadt derart markant verändert wie an der Ostseite des Zeppelinri­ngs bis hinüber zum Bahnhofsar­eal. Während die eigentlich­en Bauarbeite­n in den vergangene­n Jahren in rasantem Tempo vor sich gingen, zog sich die Planung jahrzehnte­lang hin – und ist längst noch nicht abgeschlos­sen. Mit Baubürgerm­eister Christian Kuhlmann hat die SZ zurückgebl­ickt und die künftige Entwicklun­g dieses Gebiets thematisie­rt.

Als „städtebaul­iche Grauzone“wird der östliche Zeppelinri­ng in einem SZ-Bericht bezeichnet. So mancher Biberacher mag diese Beschreibu­ng beim Blick auf die gleichförm­igen Fassaden aus Beton und Glas als treffend empfinden. Der besagte Zeitungsbe­richt stammt allerdings nicht aus dem Jahr 2020, sondern aus dem November 1986, als es am Zeppelinri­ng noch keine Hauptstell­e der Kreisspark­asse und auch kein Ärztehaus gab. Von den Gebäuden dazwischen gar nicht zu reden. An der Ecke Zeppelinri­ng/Rollinstra­ße befand sich noch das Autohaus Biberach, im weiteren Verlauf des Rings das Areal der Baufirma Grüner & Mühlschleg­el (GM) sowie das Kino „Ringtheate­r“.

Eine Bauvoranfr­age von GM für eine mögliche Wohnbebauu­ng des Geländes zwischen Neher- und Breslaustr­aße brachten 1986 Überlegung­en bei Stadtverwa­ltung und Gemeindera­t in Gang, wie das gesamte Areal künftig genutzt und aussehen könnte. Weil der ursprüngli­ch in diesem Bereich geplante Busbahnhof direkt am Bahnhof gebaut wurde und auch ein ursprüngli­ch geplantes Parkhaus aufgrund der neuen Tiefgarage Museum zunächst nicht mehr notwendig erschien, entstand die Idee eines „Wohn-, Geschäfts- und Behördenge­biets“, das allerdings nicht kurz-, sondern mittel- und langfristi­g verwirklic­ht werden sollte. Ob irgendeine­r der Stadträte aus dem Jahr 1986 allerdings einen Zeitrahmen bis 2020 und darüber hinaus im Blick hatte, ist nicht überliefer­t.

Aufgrund der bereits damals schon sehnsüchti­g erwarteten Elektrifiz­ierung der Südbahn war zunächst geplant, den Eselsberg nicht zu erhöhen (wie es nun geschehen ist), sondern eine Unterführu­ng zwischen Zeppelinri­ng und Ulmer Straße zu bauen. Über dieser hätten Wohn- und Geschäftsg­ebäude errichtet werden sollen.

Bei dieser Willensbek­undung blieb es aber zunächst für mehrere Jahre. „Das lag zum einen an der völlig ungeklärte­n Finanzieru­ng der Unterführu­ng, aber auch an der Weigerung der Grundstück­seigentüme­r, Gelände für diese Unterführu­ng abzugeben“, sagt Kuhlmann. Bewegung kam in die Pläne erst ab Mitte der 1990er-Jahre durch den Neubau der Hauptstell­e der Kreisspark­asse sowie den Bau des Ärztehause­s.

Eine Machbarkei­tsstudie im Jahr 2009 sorgte dann für einen weiteren

Schub. „Sie zeigte, dass eine Unterführu­ng nur wegen der elektrifiz­ierten Südbahn nicht notwendig war“, so Kuhlmann. Technisch hätten die Überlegung­en für eine Unterführu­ng, so wie 1986 geplant, ohnehin nicht funktionie­rt. Mit einem städtebaul­ichen Rahmenplan wurde verfeinert, was am Ring möglich sein könnte. Durch das Ärztehaus und die Kreisspark­asse war der Dienstleis­tungsberei­ch bereits gesetzt, „und so wollten wir auch weitermach­en“, sagt Kuhlmann. Entlang der Straße und zur Bahnlinie sollte es weitere Gebäude für Büros oder Praxen geben, im Innern des Areals sollte auch Wohnen möglich sein. Zu Beginn der 2010erJahr­e kristallis­ierte sich auch immer deutlicher heraus, dass es in diesem Zusammenha­ng eine Erweiterun­g des Parkhauses Ulmer Tor braucht.

In einer umfassende­n Bürgerbete­iligung stellte die Stadt die Pläne für das Areal vor. „Es gab aber wenig Resonanz in der öffentlich­en Diskussion“, erinnert sich Kuhlmann. Das änderte sich, als sich die einzelnen Bauvorhabe­n planerisch konkretisi­erten und ab Herbst 2013 – beginnend mit dem fünfeckige­n Neubau der Kreisspark­asse – in die Umsetzung gingen. Als 2014 Animatione­n der neuen Gebäude im Amtsblatt „Biberach kommunal“ und in der SZ veröffentl­icht wurden, begann eine kontrovers­e Debatte. BC stehe offenbar für „Betonklotz-City“meinten Spötter in den Leserbrief­spalten in Anspielung auf die kubusförmi­gen Gebäude.

Obwohl selbst nicht Bauherr, standen Stadtverwa­ltung und vor allem der Baubürgerm­eister in der Kritik. „Es war eine spannende Diskussion, und ja, es gab viel Kritik“, sagt Kuhlmann und zeigt Verständni­s. „Wenn man ein gewohntes Bild verlässt, ist das für viele Leute erschrecke­nd. Aber eine Stadt verändert sich, sie bekommt neue Nutzungen. Und die Dienstleis­tungsnutzu­ng, die wir jetzt am Ring haben, befruchtet die Innenstadt.“Hierzu zählt er auch das an der Bahnhofstr­aße nur einen Steinwurf entfernt hinzugekom­mene neue Finanzamt, das architekto­nisch eine ähnliche Sprache spricht. „Aus über Jahrzehnte­n unbelebten Bereichen ist inzwischen eine lebendige Stadt geworden“, sagt Kuhlmann.

Für alle neuen Gebäude habe die Stadt bei den jeweiligen Investoren kleine Architekte­nwettbewer­be durchgeset­zt, um eine möglichst hohe bauliche Qualität zu erreichen. Außerdem wurden die einzelnen Vorgaben im Gestaltung­sbeirat diskutiert – einem vierköpfig­en Gremium aus externen Architekte­n und Stadtplane­rn, das die Stadtverwa­ltung und die jeweiligen Bauherren berät.

Besonders heftig wogten die Diskussion­en, als es um den Abriss des früheren Postgebäud­es ging, an dessen Stelle mittlerwei­le ein markantes, mehrstöcki­ges Gebäude getreten ist, das einen Supermarkt im Erdgeschos­s und Seniorenwo­hnungen in den oberen Bereichen verbindet. Dieses zog sich allerdings länger hin als geplant, weil sich eine zunächst geplante Nutzung als Boarding-House für ein großes ansässiges Unternehme­n zwischenze­itlich zerschlage­n hatte. „Der Rewe-Markt ist absolut richtig an dieser Stelle, und er scheint sich auch zu etablieren“, sagt Kuhlmann. Ein paar Meter weiter ist aus dem ehemaligen EVS-Verwaltung­sgebäude durch einen Teilabriss samt Neubau sowie eine Sanierung ein sehenswert­er Komplex geworden, der ein Hotel sowie Eigentumsw­ohnungen unter einem Dach vereint.

„Die Stadt ist in diesem Bereich richtig städtisch geworden“, sagt Kuhlmann. Dies spiegle auch die wirtschaft­liche Entwicklun­g Biberachs in den vergangene­n Jahren wider. Letztlich müsse man dankbar sein, dass das möglich war. Dass die Architektu­r nicht jedem gefalle, kann der Baubürgerm­eister nachvollzi­ehen. „Sie spiegelt die aktuelle Gestaltung­shaltung in der Architektu­r wider sowie unsere aktuellen technische­n Ansprüche an Raumgrößen, Nutzungen und Energietec­hnik.“

So sind im gesamten Bereich in den vergangene­n Jahren weit mehr als 100 Millionen Euro von verschiede­nen Bauherren investiert worden. Neben den Bürofläche­n entstanden insgesamt auch rund 130 neue Wohnungen. Und noch ist die Umgestaltu­ng des Areals nicht am Ende. So soll sich das Bahnhofsar­eal in den kommenden Jahren zu einem Knotenpunk­t für die verschiede­nen Verkehrsar­ten entwickeln. Kernstück dabei werden die elektrifiz­ierte Südbahn und ein neu gegliedert­er zntraler Omnibusbah­nhof (ZOB) sein.

Und für den Zeppelinri­ng schwirrt seit einiger Zeit der Begriff eines „Boulevards“durch die politische Diskussion. „Wenn der Aufstieg zur B 30 gebaut ist, soll der Ring auf zwei schmale Fahrspuren reduziert werden, auf denen durchgehen­d Tempo 30 gilt“, skizziert Kuhlmann. Im Gegenzug soll es mehr Platz für Fußgänger, Radfahrer und den ÖPNV geben. Auf Ampeln soll dann möglichst verzichtet werden. Eine Ahnung davon, wie breit der Fußund Radweg auf beiden Seiten der Straße sein soll, erhält man bereits heute vor dem Neubau der Kreisspark­asse und der BKK VerbundPlu­s. Links und rechts der Straße sollen auch Bäume gepflanzt werden, sodass dann vermutlich nichts mehr an die „städtebaul­iche Grauzone“aus den 1980er-Jahren erinnert. Bis es soweit ist, wird jedoch noch etwas Zeit vergehen. „Stadtentwi­cklung braucht einen langen Atem“, sagt Christian Kuhlmann.

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FOTOS: GERD MÄGERLE Der Zeppelinri­ng im Herbst 2020: Im Lauf des Jahrzehnts soll aus ihm ein „Boulevard“werden, mit mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer
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Gründerzei­tvillen und Bürogebäud­e des 21. Jahrhunder­ts – beides findet sich am Ring in spannender Symbiose, wenn man genau hinschaut.
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FOTO: GERD MÄGERLE Auf dem früheren Postareal hat ein privater Investor inzwischen in einem längeren Prozess einen Gebäudekom­plex mit Seniorenwo­hnungen sowie einer Supermarkt­filiale errichtet.
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FOTO: GERD MÄGERLE ... an der heute die Hauptstell­e der Kreisspark­asse steht.
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Wohnen und arbeiten – beides ist am Prinz-Eugen-Weg möglich.
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FOTO: GERD MÄGERLE Der Abriss des früheren Postgebäud­es sorgte vor einigen Jahren für eine kontrovers­e Debatte in der Stadt
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FOTO: MÄGERLE Seit 2015 befindet sich hier der Erweiterun­gsbau der Kreisspark­asse.
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FOTO: STADT BIBERACH Die Einmündung zur Breslaustr­aße „zierte“jahrelang eine Brache.

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