Schwäbische Zeitung (Biberach)
Hinauf auf den Kilimandscharo
Hans Beggel fährt trotz Reisewarnung nach Tansania – und erlebt dort ein Abenteuer
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BERKHEIM - Für viele Länder und Regionen gelten laut Auswärtigem Amt noch immer Reisewarnungen wegen der Corona-Pandemie. Wer trotzdem reist, sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, unverantwortlich zu handeln. Dessen ist sich auch der Berkheimer Hans Beggel bewusst. Vor Kurzem bestieg er den Kilimandscharo, das höchste Bergmassiv Afrikas. Als pensionierter Berufssoldat – er war auch in Afghanistan im Einsatz – hat er Erfahrung darin, Risiken einzuschätzen.
„Die Entscheidung trotz Reisewarnung meine Reise Anfang Oktober anzutreten, ist mir nicht leichtgefallen. Das Sicherheitskonzept vor Ort und das Argument von Alpine Welten, die Durchführung unserer Kili-Reise bedeutet für die eingesetzten Männer, dass diese für zwei Monate ihre Familien ernähren können, waren Hauptgründe meiner Entscheidung. Aber auch die Tatsache, dass im September die Reise schon einmal erfolgreich durchgeführt wurde, trug mit dazu bei.“(Hier und im Folgenden handelt es sich bei den kursiv gesetzten Passagen um Auszüge aus einem Reisebericht, den Hans Beggel verfasst und auf seiner Webseite veröffentlicht hat.)
Familie und Freunde reagierten unterschiedlich auf seinen Entschluss. „Etwa die Hälfte konnte meine Beweggründe für die Reise nachvollziehen, die andere Hälfte schüttelte den Kopf“, sagt Beggel. Eigentlich wollte er schon im März nach Tansania fliegen, um am 29. März auf dem Gipfel zu stehen. An diesem Datum hatte er seinen 60. Geburtstag. „Zwei Tage vor dem Abflug kam der erste Shutdown“, schildert er. Seinen „Runden“feierte er stattdessen beim Grillen im Garten.
„Nach Ankunft und einer Nacht in einem luxuriösen Hotel ging es zunächst zum Aruscha Nationalpark in Tansania mit zwei Gipfelzielen – dem Little Mount Meru (3820 Höhenmeter) und dem Mount Meru (4566 Höhenmeter). Für den letzteren starteten wir um 1.30 Uhr und waren um 6.30 Uhr am Gipfel. Wir erlebten einen unglaublich schönen Sonnenaufgang mit der traumhaften Hintergrundkulisse des Kilimandscharos. Dieser Anblick ließ die Freude auf unser nächstes Gipfelziel noch einmal wachsen.“
Beggel liebt die Berge. Dutzende Bilder sind auf seiner Homepage zu entdecken, die ihm seine Kollegen zum Ruhestand geschenkt hatten. Zugspitze, Alpenüberquerung oder Schneeschuhtouren haben es ihm besonders angetan. Mit der Besteigung des Kilimandscharos erfüllte er sich einen Traum, war er zuvor doch noch nie in Afrika. „Die körperliche Fitness ist nicht so sehr entscheidend. Wichtiger ist, mit der geringeren Sauerstoffsättigung klarzukommen“, sagt der Bergführer. Insgesamt dauerte der Aufstieg fünf Tage. 16 Einheimische begleiteten ihn und seine zwei Mitstreiter. Die Begleiter kümmerten sich beispielsweise um den Aufbau und den Transport des Lagers sowie die Verpflegung.
„Wir marschierten zum Shira Camp (3840 Höhenmeter) in eine Art Moorlandschaft mit Erikazeen Stangen, Moosen, Flechten, Lava-Felsen und mit einem Ausblick auf den Kilimandscharo. Wie immer war das Küchenzelt schon aufgebaut und unser exzellenter Koch hatte schon eine warme Suppe parat. Alle Camps waren fast leer. Statt 300 Bergsteigern waren dort maximal zehn Gipfelaspiranten. Ich nutzte unser mitgeführtes Chemieklo kaum und ging fast immer auf die sauberen (da keine Leute)
Allein schon wegen der Menschenleere fürchtete er keine Ansteckung mit dem Coronavirus. In Großstädten wie München sei das Risiko um einiges höher, vermutet Beggel. Den Afrikanern seien die Gefahren des Virus mindestens so bewusst wie den Deutschen: „Anders als bei uns sind sie der Erkrankung schutzlos ausgeliefert, weil sie kaum Zugang zu einer medizinischen Versorgung haben.“Er habe sich zu jeder Zeit sicher gefühlt, weil sich die Begleiter sehr stark um die Hygiene bemühten.
„Wieder empfing uns der Koch am Lava Tower auf 4500 Metern mit freundlicher Miene, Nudeln und Gemüse zum Stärken. Er war erstaunt, dass wir Schwaben auch in solcher Höhe einen unglaublichen Appetit haben. Am vorletzten Tag musste noch ein Sonderträger mit zusätzlicher Verpflegung für uns zum Camp hochsteigen.“
Er habe die Einheimischen als äußerst dankbar erlebt, sagt er. „Die Mannschaft um unseren Reiseführer Seba Tenga hatte seit acht Monaten kein Einkommen“, erzählt Beggel. Ein soziales Netz gebe es genauso wenig wie andere Job-Optionen. Daher habe Alpine Welten das von ihnen gegebene Trinkgeld „erheblich aufgestockt“.
Am Tag vor der Gipfelbesteigung erfährt die Gruppe von den Waldbränden am Kilimandscharo. „Das
Krisenmanagement hat gut funktioniert“, sagt er. Gefahr habe für sie zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden: „Meine Lebensgefährtin hat sich gleich erkundigt, wie es uns geht. Sie war dann beruhigt, als sie wusste, dass es uns gut geht.“Erst nach dem Gipfeltag sei der Berg vorübergehend gesperrt worden.
„Schon um 23.30 Uhr krochen wir aus den warmen Schlafsäcken, stärkten uns im Küchenzelt mit dem nahrhaften Porridge und füllten die Thermoskannen mit heißem Tee. Wir starteten zum Stella Point am Kraterrand (5730 Höhenmeter) immer mit „pole, pole“(langsam, langsam). Die dann folgenden 45 Minuten zum Uhuru Peak mit einem faszinierenden Sonnenaufgang werden für mich immer unvergesslich bleiben. Der höchste Punkt Afrikas war nun erreicht – der Gipfel des Kilimandscharos – eine Aussicht unbeschreiblich, ein ganzer Kontinent lag uns zu Füßen. Als letzter verließ ich nach einer Stunde den Gipfel – wollte gar nicht gehen.“
Am Gipfelkreuz brachte Beggel das Sterbebild seines Vaters an und weilte in Gedanken noch einmal bei ihm, denn er war wenige Monate zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ein Teil der Reise war ein Geschenk des Vaters und er hätte sich sicher sehr über die erfolgreiche Reise seines Sohnes gefreut. Die Rückreise nach Deutschland verlief unproblematisch. Zwei Coronatests, einer am Flughafen München und einer bei seinem Hausarzt, seien negativ ausgefallen, so der 60-Jährige. Er habe von der Reise vor allem drei Sachen mitgenommen: die Geschichten der Einheimischen, den extremen Gegensatz zwischen Arm und Reich sowie das Gefühl, anderen geholfen zu haben. „Ich möchte keinem sagen, er muss in dieser Zeit unbedingt dorthin“, sagt Beggel. Aber er wolle mit seiner Geschichte sensibilisieren, zu welch existenzieller Not fernbleibende Touristen führen.
Reisebericht