Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Rettungssc­hirm gegen Krisen

Was die Reform des Europäisch­en Stabilität­smechanism­us bedeutet

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - EU-Erfolgsmel­dungen sind in Coronazeit­en Mangelware. Umso stolzer präsentier­te Olaf Scholz die Montagaben­d erzielte Einigung auf eine Reform des Europäisch­en Stabilität­smechanism­us ESM. „Es gibt Entscheidu­ngen, insbesonde­re auf EU-Ebene, die klingen so technisch, dass man ihre politische Wirkung zunächst schwer erkennt“, räumte der für die deutsche Ratspräsid­entschaft sprechende deutsche Finanzmini­ster ein. Es gehe im Kern darum, die „Eurozone noch robuster gegenüber den Attacken von Spekulante­n“zu machen.

Das Instrument wurde als Reaktion auf die Weltfinanz­krise gegründet, bei der viele Banken in Schieflage gerieten und einige Insolvenz anmelden mussten. Es löste 2012 den zwei Jahre zuvor gegründete­n temporären Eurorettun­gsschirm EFSF ab. Dieser hatte mit günstigen Hilfskredi­ten an die besonders stark betroffene­n Länder Portugal, Irland und Griechenla­nd deren Zahlungsun­fähigkeit abgewendet. Während der EFSF als privatrech­tliche Kapitalges­ellschaft aufgebaut war, ist der ESM eine internatio­nale Finanzinst­itution, deren Mitglieder die 19 EU-Staaten mit Eurowährun­g sind. Da die Grundlage ein völkerrech­tlicher Vertrag ist, gehört der ESM nicht zu den EU-Instrument­en und unterliegt nicht der Aufsicht der EU-Kommission.

Er soll der globalen Finanzwelt deutlich machen, dass die Mitglieder der Eurozone in Krisenzeit­en zusammenst­ehen und alles tun, um ihre Währung zu retten. In Schieflage geratene Staaten erhalten günstige Kredite – allerdings nur gegen Reformaufl­agen. Im Topf sind 80,5 Milliarden Euro, für weitere 624,5 Milliarden Euro haben die Mitgliedss­taaten Garantien abgegeben.

Im Ernstfall steht also eine „Feuerkraft“von 705 Milliarden Euro bereit. Davon trägt Deutschlan­d mit 21,7 Millarden Euro Einzahlung und 168,3 Milliarden Euro Garantien den Löwenantei­l. Mit diesen Sicherheit­en im Rücken erhält der ESM auf dem Kapitalmar­kt Geld zu sehr günstigen Zinsen, das er bei Bedarf an Länder mit geringerer Kreditwürd­igkeit weiterreic­hen kann.

Warum muss der Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM) reformiert werden?

Wie entstand der ESM?

Was ist seine Aufgabe?

Schon im Dezember 2013, da war der ESM knapp zwei Jahre alt, einigten sich die Euroländer im Grundsatz auf eine Weiterentw­icklung.

Lange blockierte aber Italien jede Änderung, da der ESM dort als Brüsseler Einmischun­g in die nationale Budgethohe­it verschriee­n ist. Der ESM soll „präventive­r“tätig werden, also ein Land „vorsorglic­h“unterstütz­en dürfen, das noch keine akuten Refinanzie­rungsprobl­eme hat. Vor allem aber sollte seine Funktion so erweitert werden, dass er als Rückversic­herung (Backstop) für den Bankenabwi­cklungsfon­ds SRF eingesetzt werden kann. Auch hier steht wieder die psychologi­sche Abschrecku­ngswirkung im Vordergrun­d. Die Botschaft soll lauten: Auf der Weltfinanz­bühne kann geschehen, was wolle, auch Banken in der Eurozone können pleite gehen – die gemeinsame Währung aber ist stets abgesicher­t.

Was genau ist der „Backstop“?

Banken sollen nicht mehr um jeden Preis und zu Lasten der Steuerzahl­er gerettet werden, wie es in der Bankenkris­e geschah. Für die entstehend­en Kosten kommt der Abwicklung­sfonds SRF auf, den die europäisch­en Banken gemeinsam füllen sollen. Von den angestrebt­en 55 Milliarden Euro sind bisher 47 Milliarden zusammenge­kommen. Der ESM gibt künftig eine Kreditgara­ntie

für den Fall, dass die angesparte­n Mittel nicht ausreichen. Platzt dieser Kredit, stehen am Ende doch wieder die Steuerzahl­er der Euroländer dafür gerade. Allerdings sind so viele Stufen vorgeschal­tet, dass der Fall vermutlich niemals eintreten dürfte.

Warum soll er früher in Kraft treten?

Ursprüngli­ch war der Start für Januar 2024 geplant, wenn der SRF komplett gefüllt sein wird. In ihrer Schlusserk­lärung bezeichnen die Finanzmini­ster den Backstop als „finanziell­es Sicherheit­snetz für Bankenabwi­cklungen in der Bankenunio­n“.

In wirtschaft­lich so unsicheren Zeiten wie der aktuellen Pandemie steigt wohl das Bedürfnis nach derartigen Zusatzvers­icherungen. Außerdem betonen die Minister, dass der aktuelle Risikoberi­cht von EUKommissi­on, Europäisch­er Zentralban­k und Bankenabwi­cklungsage­ntur zeige, dass sich die Bankenrisi­ken deutlich verringert hätten. Der Anteil an faulen Krediten sei weiter zurückgega­ngen. Deutschlan­d war lange dagegen, den Zeitplan zu straffen. Die Kreditlini­e wird aber erst freigegebe­n, wenn eine Mehrheit zusammenko­mmt, hinter der 80 Prozent des im ESM gebundenen Kapitals stehen. Damit hat Deutschlan­d praktisch ein Vetorecht und kann Kredite an den SRF blockieren.

Ist die Eurozone jetzt gewappnet?

Die zugrunde liegende Botschaft lautet, dass die ganze Konstrukti­on so stabil ist, dass Rückversic­herungen ohnehin nicht gebraucht werden. Die Eurominist­er räumen allerdings ein, dass „einige Schwächen bleiben, was sich in den noch immer zu hohen Problemkre­diten widerspieg­elt“.

Sven Giegold, finanzpoli­tischer Sprecher der Grünen im Europaparl­ament, hält den Bankenabwi­cklungsfon­ds für zu klein, falls mehrere Banken gleichzeit­ig in Schieflage geraten sollten. Auch der Backstop sei nicht schlagkräf­tig genug, zumal er durch ein deutsches Veto jederzeit blockiert werden könne. „Im Ernstfall werden die Finanzmärk­te so weiter auf die Pleite von Banken wetten. Für ein echtes Bekenntnis zur Bankenunio­n fehlte vor allem Deutschlan­d der Mut“, so Giegolds wenig ermutigend­es Urteil. Für eine mögliche Corona-Bankenkris­e sei die Eurozone nicht gewappnet.

 ?? FOTO: OLIVER BERG/DPA ?? Die Eurozone nimmt erneut Anlauf, sich gemeinsam besser gegen künftige Finanzkris­en zu wappnen.
FOTO: OLIVER BERG/DPA Die Eurozone nimmt erneut Anlauf, sich gemeinsam besser gegen künftige Finanzkris­en zu wappnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany