Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Ein Schlag ins Gesicht“
IG-Metall-Bevollmächtigte über die Pläne von Diehl Aviation, massiv Personal abzubauen
LAUPHEIM - Mit der Ankündigung, wegen der Krise in der Luftfahrtindustrie 1400 Stellen an den deutschen Standorten streichen zu wollen, davon 600 in Laupheim, hat der Flugzeugausstatter Diehl Aviation Mitte November die Beschäftigten geschockt. „Wir werden alles dafür tun, dass diese Zahlen schrumpfen“, sagt Petra Wassermann, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ulm, im Gespräch mit Roland Ray.
Frau Wassermann, wie ist die Stimmung bei der Diehl-Belegschaft?
Es ist eine Mischung aus lähmendem Entsetzen und Empörung. Natürlich wissen wir alle um die Krise in der Luftfahrtindustrie und dass die Situation schwierig ist. Dass aber die Konzernleitung in so kurzer Zeit – bis März 2022 – ein Drittel der Stellen streichen will, am Standort Laupheim und im gesamten Teilkonzern, das empfinden die Beschäftigten als Schlag ins Gesicht. Sie haben sich sehr für dieses Unternehmen engagiert, und gerade der Standort Laupheim stand immer auch für gute Erträge. Jetzt geht die Angst vor Entlassungen um.
Konzernbetriebsrat und IG Metall haben die Art und Weise, wie die Konzernleitung den geplanten Personalschnitt kommuniziert hat, scharf kritisiert. Wurden Sie überrumpelt?
Wir haben schon vor Monaten das Gespräch gesucht, doch die Konzernleitung schob den Zeitpunkt für die Information immer wieder hinaus. Im November hat sie dann mit einem Schlag ihre Horrorzahlen publik gemacht. Das ist eine Stilfrage, an den Inhalten ändert es nichts. Aber jetzt kann es auf einmal nicht schnell genug gehen.
Wie reagieren Betriebsrat und Gewerkschaft?
Wir prüfen zunächst einmal die Situation an den Standorten des Teilkonfindet zerns Diehl Aviation, die ja alle betroffen sind, und überlegen, wie wir gemeinsam vorgehen wollen. Die Verhandlungen werden auf Ebene des Konzernbetriebsrats laufen und unser Ansinnen ist es, mit einer Stimme zu sprechen.
Haben die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern schon begonnen?
Nein. Wir sichten momentan die Unterlagen. Es gibt eine ganze Reihe offener Fragen, die anhand dessen, was uns bisher zur Verfügung gestellt wurde, mitnichten zu beantworten sind. Da muss Diehl nachliefern. An ernsthafte Verhandlungen ist vor Januar wohl nicht zu denken.
Sitzt die IG Metall mit am Verhandlungstisch?
Ich bin bei uns zuständig für den Teilkonzern Diehl Aviation und werde in dieser Eigenschaft mit dabei sein. Sobald es um tarifliche Belange geht, ist ohnehin die IG Metall zuständig.
Wie wollen sich Konzernbetriebsrat und Gewerkschaft in den Verhandlungen positionieren? Was fordern und was erwarten Sie von der Konzernleitung?
Im Teilkonzern sollen 1400 Stellen abgebaut werden, in Laupheim 600, etwa die Hälfte davon in der Produktion, und das bis März 2022 – das ist eine Kampfansage! Wir werden darauf dringen, dass diese Zahlen schrumpfen und länger Zeit bleibt, Personal abzubauen. Die Konzernleitung muss den ernsthaften Willen erkennen lassen, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Das fordern wir von ihr ein und appellieren: Lassen Sie uns dieses tiefe Tal gemeinsam durchschreiten und alle verfügbaren Mittel nutzen, um Beschäftigung zu halten. Ebenso notwendig ist es, sich Gedanken über ein tragfähiges Konzept für die Zukunft zu machen. Diesen Prozess hatten wir bereits vor Corona angestoßen, in den aktuellen Plänen der Konzernleitung
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er jedoch keinen Niederschlag. Auch das empört die Beschäftigten.
Ist es denn – so wie die Dinge stehen – realistisch, ohne betriebsbedingte Kündigungen hinzukommen?
Wir müssen und werden alles dafür tun. Es wird nur gehen, wenn wir mehrere Bausteine kombinieren. In diesen Kontext gehört auch die Option, tarifliche Mittel anzuwenden wie etwa eine Absenkung der Arbeitszeit. Und die Frage, ob wirklich so viel Arbeit an die ungarische Unternehmenstochter von Diehl Aviation Laupheim ausgelagert werden muss oder manche Pakete nicht mit guten Gründen auch hier produziert werden können, mit viel Know-how und in anerkannt hoher Qualität. Wenn man die hier vorhandenen Kompetenzen schleift, rührt das an die Substanz des Standorts.
Nach Angaben des Teilkonzernchefs Rainer von Borstel wurde auch in Ungarn bereits massiv reduziert. Der Laupheimer Betriebsratsvorsitzende Dieter Kramer sagt, nach seinem Kenntnisstand strebe die Konzernleitung vielmehr an, aus Kostengründen weitere Arbeitspakete dorthin zu verlagern. Was stimmt?
Wir haben immer gesagt, dass es auf die Balance ankommt. Deshalb wurden bestimmte Dinge für Laupheim festgeschrieben. Ohne Mitwirken des Betriebsrats sind keine Verlagerungen möglich. Daran sollte Diehl sich halten. Es gab allerdings Versuche, diese Regelung zu umgehen.
Sie beanstanden, bei den von der Konzernleitung angestrebten Maßnahmen stimme die Gewichtung nicht: „Zu viel Personalabbau, zu wenig Zukunft“. Was muss Diehl Aviation für „mehr Zukunft“tun?
In unserem Konzept schlagen wir vor, unter Beteiligung der Beschäftigten Potenziale zu heben, zum Beispiel: Wie können Arbeitsprozesse und Arbeitsabläufe verbessert werden. Oder: Welche Aufgaben und Kompetenzen können in Laupheim bleiben, welche zuvor ausgelagerten Aufgaben hereingeholt werden – zur Sicherung von Beschäftigung, aber eben auch zur Sicherung von Qualität und Effizienz. Oder: Wie lassen sich Synergien aus den unterschiedlichen Kompetenzen im Teilkonzern nutzen. Oder: Sind auch Produkte für andere Geschäftsfelder denkbar. All diese Überlegungen sind, wie gesagt, von der Arbeitnehmerseite schon vor der Corona-Krise auf den Weg gebracht worden, und nichts davon findet sich in den Ankündigungen des Unternehmens.
Ist das, was sich bei Diehl Aviation abspielt, symptomatisch für die aktuelle Lage in der Metall- und Elektroindustrie?
Im Bezirk der IG Metall Ulm hat momentan eine Reihe kleinerer Firmen Probleme, vor allem Zulieferer zur Automobilindustrie. Die Corona-Krise hat besonders für zwei große Betriebe die Rahmenbedingungen massiv verändert: EvoBus und Diehl Aviation. Das Beispiel EvoBus zeigt, dass man auch anders auf solche Schwierigkeiten reagieren kann, als an erster Stelle den Personalabbau zu forcieren.