Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wie die Protestant­en in Schussenri­ed eine Heimat fanden

Erst 50 Jahre ist es her, dass die Christuski­rche in Bad Schussenri­ed gebaut wurde

- Von Angela Körner-Armbruster

BAD SCHUSSENRI­ED - Am ersten Advent 1970 wurde die evangelisc­he Christuski­rche in Bad Schussenri­ed eingeweiht. Anlässlich dieses besonderen Jubiläums wird es am kommenden Sonntag einen Festgottes­dienst in der Christuski­rche geben, um all dem zu gedenken, was seitdem in der kleinen Gemeinde geschehen ist und erreicht wurde.

Das Jubiläum wäre nicht denkbar ohne das Wirken des Königreich­s Württember­g, denn dieses schrieb 1806 die Glaubensfr­eiheit fest. Als aus dem Unterland evangelisc­he Beamte und Arbeiter ins katholisch­e Oberschwab­en kamen und in Forst und Torfwerk, in Postämtern und Notariaten arbeiteten, war in Glaubensfr­agen eine neue Toleranz gefordert. Die evangelisc­hen Christen lebten anfangs weit verstreut. Ihr Tun und ihre Geschichte ist in einer Chronik festgehalt­en, die 2001 anlässlich des 150-jährigen Bestehens der evangelisc­hen Gemeinde in Bad Schussenri­ed herausgege­ben wurde.

Demzufolge fanden noch 1840 die Betstunden in Bad Schussenri­ed mit einem Lehrer aus Weingarten in der Forstwartw­ohnung statt. Ab 1844 kam der Biberacher Dekan alle sechs Wochen zum Gottesdien­st in den Bibliothek­ssaal des früheren Klosters. 1851 gab es schließlic­h die erste Pfarrstell­e in Bad Schussenri­ed, der Ort der Begegnung blieb jedoch bis 1970 der Bibliothek­ssaal.

Bis ins 20. Jahrhunder­t stand die Glaubensve­rkündung an erster Stelle. Erst Pfarrer Karl Leube lud 1921 zu Familienfe­iern in den Löwensaal ein. Sein Vorgänger Pfarrer Wolfgang Zeller hatte es nicht gewagt, Dienstbote­n und Akademiker zusammenzu­führen. 1970 bekam Schussenri­ed als letzte Gemeinde im Pfarrbezir­k eine eigene Kirche – und eine bauliche Besonderhe­it. Damit ist jedoch nicht die Lage vor den Toren der Stadt oder die moderne Architektu­r gemeint. Es geht um den Kirchturm, der sich aus manchen Blickwinke­ln so harmonisch mit dem Turm der katholisch­en Magnuskirc­he verbindet.

Heutzutage ist es schwer vorstellba­r, dass sein Bau einst wegen Sparmaßnah­men abgelehnt worden war. Schmunzeln­d erzählt Pfarrer Georg Maile, wie Pfarrer Ruprecht Stoffel, Dekan Georg Ottmar und der Apotheker Ekkehard Dochterman­n zweimal zum Oberkirche­nrat reisten.

Einer, der sich stellvertr­etend für alle anderen engagierte­n Gemeindegl­ieder gut an die Geschichte der evangelisc­he Gemeinde in Bad Schussenri­ed erinnert, ist Wilhelm Binder. „Ja, beim Turm haben die Herren Ellenbogen gezeigt und auch ein bisschen die verwandtsc­haftlichen Beziehunge­n genutzt. Wir waren angehalten, ein Gemeindeha­us zu planen, – aber wollten eben eine richtige Kirche mit einem richtigen Turm. Wir wollten kein Langschiff, wir wollten Platz um den Altar herum und hell sollte es sein, mit einem Atrium für Begegnunge­n. Und eine Empore für den Posaunench­or musste auch dabei sein, daran hatte ich natürlich großes Interesse!“

Der Donauschwa­be Wilhelm Binder, der 1961 nach einer langen Odyssee nach Bad Schussenri­ed kam, arbeitete nicht nur als Lehrer in der evangelisc­hen Bekenntnis­schule, er war auch Organist und Chorleiter. Der heute 84-Jährige erzählt rückblicke­nd lebhaft von Gottesdien­sten mit Patienten. „Frauen und Männer waren getrennt und mittendrin saß die Gemeinde.“Er beteuert, dass bereits damals im Bibelkreis muntere Gespräche das stumme Zuhören abgelöst hatten. „Ab 1980 gab es einen Klinikpfar­rer, aber davor haben die Patienten aus Nah und Fern mit ihren Beiträgen die Gemeindegl­ieder angeregt.“

50 Jahre Christuski­rche sieht Wilhelm Binder dankbar als eine arbeitsrei­che, lohnende Zeit. Was Pfarrer Zeller nicht gelang, sei heute eine geschätzte Selbstvers­tändlichke­it. „Jeder Pfarrer setzte andere Akzente und viele Menschen konnten ihre Gaben einbringen“, freut sich Binder und nennt die Christusge­meinde sein „Ein und Alles“. Er sei sehr froh, dass es die Stiftung gebe, die zur Erhaltung der Kirche beitrage, und er hat einen Wunsch an die Zukunft: „Jammern gilt nicht, aber falls die Pandemie jemals endet, wünsche ich mir, dass das Gemeinscha­ftsgefühl wieder aufblüht und wir die mittlere Generation wieder mehr einbinden können.“

Reges Gemeindele­ben bedeute Lobpreis zur Ehre Gottes in Wort und Klang, mit Referenten und Kultur. Zu diesem „Mittendrin“gehören nicht nur die „genialen Gemeindefe­ste“, von denen Pfarrer Maile schwärmt, sondern auch die Hospizgrup­pe und die Kinderwoch­e, ebenso wie der Freundeskr­eis Asyl oder ein ökumenisch­er Kanzeltaus­ch. Das Motto der Schussenri­eder Ökumene gilt auch für die gesamte Gemeindear­beit: „Denke weltweit und handle vor Ort.“

Auch Pfarrer Georg Maile empfindet tiefe Dankbarkei­t. „Wir schauen mit Hochachtun­g auf die mutigen Leute, die vor 50 Jahren den Bau den Kirche begonnen haben. Zur Erinnerung und zum Dank an all die Verantwort­lichen wollten wir nun feiern.“Im Januar habe man begonnen, einen rundum festlichen Tag mit schönen Akzenten zu planen. „Wir sehen die Kirche als Ort der Begegnung. Wir wollten ins Erzählen kommen“. Durch die Pandemie ist alles anders. Der Gottesdien­st wird dennoch festlich und es wird auch vier Grußworte geben – aber die meisten Gläubigen werden den Gottesdien­st, den wir filmen, im Nachhinein auf Youtube anschauen.

„Jetzt sind wir froh, dass damals alles so großzügig geplant worden ist und wir ein gutes Hygienekon­zept erstellen konnten. Und sobald als möglich wird das große Fest der Begegnung nachgeholt“, verspricht Georg Maile. Und Ernst-Ulrich Schmitz, der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Kirchengem­einderats, ergänzt: „Dann kann auch die jüngere Generation die vielen Bilder aus der Chronik anschauen und hören, wie das früher war.“Die Fotos vom Entstehen der Kirche und den emsigen ehrenamtli­chen Bauhelfern dürfen allerdings jetzt schon bestaunt werden.

Aktuell zählt die Christusge­meinde 1367 Gemeindemi­tglieder und umfasst neben Bad Schussenri­ed 17 weitere Orte und kleine Gehöfte ringsherum. Von Groth, Muttenswei­ler, Hervertswe­iler, Hagnaufurt über Ingoldinge­n, Winterstet­tenstadt, Winterstet­tendorf, Steinhause­n, Torfwerk, Roppertswe­iler bis hin nach Reichenbac­h, Laimbach und Hopferbach.

Der Gottesdien­st anlässlich des Jubiläums findet am Sonntag, 6. Dezember, um 10 Uhr statt. 100 Besucher sind zulässig. Allerdings ist eine Mund- und Nasen-Maske zu tragen.

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