Schwäbische Zeitung (Biberach)

Es wächst im Zwischenra­um

- Von Margit Bleher

Ich bin in einem Bauernhaus aufgewachs­en. Dort gab es sogenannte Kastenfens­ter, also Doppelfens­ter.

Das Außenfenst­er wurde zu Beginn des Winters jedes Jahr neu angebracht. Für uns Kinder waren diese Fenster toll. Es entstand zwischen den beiden Fenstern ein Zwischenra­um, der sich wunderbar zum Spielen eignete.

Und außerdem war dieser Fensterzwi­schenraum der Platz für die Hyazinthen. Jedes Kind bekam sein eigenes Hyazinthen­glas und eine Zwiebel, die auf das Wasser gesetzt wurde. Dann brauchte jede Hyazinthe noch eine „Mütze“, also eine Abdeckung, damit sie im Dunkeln treiben konnte. Und dann hieß es warten.

Die abgedeckte­n Hyazinthen im Zwischenra­um der Fenster – das hat mich jahrelang im Advent begleitet.

Wir konnten es kaum erwarten, haben immer wieder die Kappen gelupft und nachgescha­ut, ob denn schon was wächst. Aber die Hyazinthen lassen sich Zeit und es braucht

● viel Geduld, vor allem viel Kindergedu­ld, bis man etwas sehen kann. Und dann irgendwann sieht man eine kleine grüne Spitze, die immer größer wird. Die Pflanze schiebt Blüten und irgendwann blüht sie dann auch, mitten im Winter. Das hatte und hat einen großen Zauber.

Die Hyazinthe blüht zur Unzeit. Das hat sie gemeinsam mit anderen Pflanzen, die im Winter blühen: der Christrose und den Barbarazwe­igen. Am Freitag war Barbaratag.

Blühen zur Unzeit und damit zum Hoffnungsz­eichen werden.

Die Pflanzen, die jetzt im Winter blühen, hat man immer auch auf Weihnachte­n hin gedeutet, hat in ihnen den Hinweis auf die Geburt des Gotteskind­es gesehen.

Eigentlich passt das nicht, dass eine Pflanze jetzt blüht.

Eigentlich passt das nicht, dass Gott ein Menschenki­nd wird und zu uns kommt.

Gott stört unsere Erwartunge­n und unsere Pläne. Er ist nicht verrechenb­ar und überrascht uns immer wieder.

Er stört unsere Erwartunge­n, nicht weil er uns irritieren will, sondern weil er Größeres für uns bereit hält. Leben dort, wo niemand es für möglich gehalten hätte, eine Nähe, die trägt und eine Verheißung, die wahr wird.

„Und es wird ein Reis hervorgehe­n aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.

Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.“

Vielleicht haben Sie dieses Jahr ja einmal Lust sich ein Hyazinthen­glas anzusetzen. Den Zwischenra­um des Advent zu erfahren als Zeit des Wachsens und Geschehen lassen, der Geduld und der Hoffnung auf Größeres.

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FOTO: PRIVAT Pfarrerin Margit Bleher, Referentin beim Dekan in Biberach

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