Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Es darf auch etwas Adrenalin dabei sein“
OB Norbert Zeidler über Aufgeregtheit im Wahlkampf, Finanzen und Verkehr in der Innenstadt
BIBERACH - Warum er im OB-Wahlkampf mitunter angespannt wirkte, wie die künftige Verkehrssituation auf dem Marktplatz aussehen könnte und wie es der Stadt finanziell wirklich geht, das hat Oberbürgermeister Norbert Zeidler SZ-Redakteur Gerd Mägerle im zweiten Teil des Jahresinterviews erzählt.
Herr Zeidler, bei der OB-Wahl im Oktober sind Sie mit 92,8 Prozent der Stimmen und einer Wahlbeteiligung von fast 45 Prozent wiedergewählt worden. Haben Sie damit gerechnet?
Zeidler: Gerechnet nicht, aber ich habe es mir gewünscht und mich sehr darüber gefreut. Zur guten Wahlbeteiligung hat vermutlich auch beigetragen, dass die Unterlagen diesmal nach Hause geschickt wurden. Und dass das professionelle Handeln der Stadtverwaltung und auch mein eigenes während der Pandemie stärker im Fokus der Wahrnehmung stand, hat sich vielleicht auch auf den Wahlerfolg ausgewirkt.
Dennoch hatte man im Wahlkampf bisweilen den Eindruck, dass Sie angespannt wirkten. Trifft das zu?
Ich habe vor jedem Wahlakt großen Respekt. Die Brautpaare, die ich traue, frage ich regelmäßig, ob sie nervös sind. Und viele sind tatsächlich sehr angespannt. Die OB-Wahl betrachte ich so ähnlich. Meine Auffassung von diesem Beruf entspricht auch einer Art „Verheiratet sein“. Es ist ein Bund, den man mit dieser Stadt eingeht. Und bei allem, was man mit dem Herzen macht, darf auch etwas Adrenalin dabei sein.
Wo ist Biberach in diesem Jahr aus Ihrer Sicht vorangekommen? Wo hapert es?
Trotz totaler Unnormalität um uns herum, haben wir es geschafft, dass sich die Stadt weiterentwickelt und so ein hohes Maß an Normalität und kommunaler Verlässlichkeit verkörpert hat. Mein großer Respekt geht an den Gemeinderat: Was wir alles umgetrieben haben, hatte schon ein hohes Level, angefangen vom Mobilitätskonzept inklusive B-30-Aufstieg, Bedarfspläne für Schulen und Kindergärten, Radwegekonzept, Stadtmarketingkonzept und dazu die Spatenstiche für das ITZ Plus, die Malihalle, das Dorfgemeinschaftshaus in Rißegg und für das Lehrschwimmbecken am Hallenbad. Der Kulturbereich hingegen musste sich in kürzester Zeit massiv in Richtung Digitalisierung entwickeln. Das ist uns gut gelungen, auch wenn ich nicht von allem ein Fan bin.
Eingeholt hat uns die Pandemie im Gemeinderat insofern, als dass ich den Eindruck habe, dass das Eigenleben in den Fraktionen zugenommen hat. Da ist mir zu viel Schmoren im eigenen Saft dabei. Es fehlt der Austausch über Fraktionsgrenzen hinweg, der sonst auch nach den Sitzungen stattfand. Das ist ein bisschen wie bei der Feuerwehr: Die gehen ja nicht nur zusammen in den Einsatz, sondern pflegen auch die Kameradschaft und sagen sich: Wir stehen zusammen und haben eine gemeinsame Verantwortung.
Fast rituell ist der B-30-Aufstieg jedes Jahr Thema dieses Interviews. Nun haben Gemeinderat und Kreistag dieses Jahr beschlossen, dass die Tunnellösung zur Umsetzung kommen soll. Können Sie sagen, wann es mit dem Bau nun definitiv losgeht?
Ich denke, dass wir durch die Beschlüsse in den beiden Gremien nun eine deutlich höhere Dynamik in dem Thema haben. Außerdem wollen wir mit dem Projekt in die entsprechenden Förderprogramme kommen. Wenn das einigermaßen gut läuft, dann sollte man für 2024 den Spaten bereitlegen können.
Das Thema Verkehrsführung in der Innenstadt, speziell im Bereich Marktplatz, wollen Sie 2021 auch angehen. Kommt es da zum Showdown zwischen Befürwortern und Gegnern eines autofreien Marktplatzes?
Aus der Erfahrung meines OB-Wahlkampfs kann ich sagen, dass die Bürger zwei Themen massiv beschäftigen: Wohnen und Autos in der Innenstadt. Das bedeutet, wie wir damit
● umgehen, steht in einem starken Fokus. Wir hätten diese Diskussion zwischen Bürgern, Gemeinderat und Verwaltung gerne schon dieses Jahr geführt, nun erfolgt sie 2021. Wie das geschehen soll, darüber machen wir uns derzeit Gedanken.
Haben Sie eine Tendenz, welches Ergebnis am Ende stehen wird?
Ich bin mir recht sicher, dass das Herz der Bürger nicht an den Parkplätzen zwischen Esel und „Schwäbischer Zeitung“hängen wird und dass daraus eine neue Qualität entstehen kann, im Sinne von Cafés und Begegnung. In einem weiteren Schritt sollten wir genau schauen, wer künftig noch mit seinem Auto über den Marktplatz fahren darf. Der Busverkehr ist für mich gesetzt.
Während sich der Gemeinderat zur Jahresmitte noch einigermaßen gelassen gab, wie sich Corona auf die Stadtfinanzen auswirken wird, klang in den Haushaltsreden zum Jahresende einige Besorgnis durch. Berechtigt?
Ich habe finanziell bereits im Mai zur Vorsicht geraten und ich finde gut, dass viele Fraktionen im Rat diesen Gedanken übernommen haben. Wie sich Corona auf die städtischen Finanzen auswirkt, ist noch immer ein Blick in die Glaskugel und abhängig von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Fakt ist, dass auch die Stadt Biberach durch die Rettungsschirme von Bund und Land gerettet wird. Die rund 30 Millionen Euro, die wir erhalten, sorgen dafür, dass wir 2020 noch ein positives Ergebnis haben. Ohne Rettungsschirm wären wir im Ergebnishaushalt in zweistelliger Millionenhöhe im Minus.
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Wie geht es weiter?
Wir werden im Städtetag darüber diskutieren, ob es nicht noch einen zweiten Rettungsschirm geben muss, denn für viele Kommunen wird sich die Situation 2021 nicht deutlich verbessern. Allerdings befremdet auch mich der hohe Betrag an Schulden, den der Staat anhäuft. Was Biberach betrifft, werden wir uns die Zahlen von Quartal zu Quartal mit großer Umsicht anschauen und mit dem einen oder anderen großen Unternehmen die Entwicklung intensiv besprechen. Daraus werden wir unsere Schlüsse ziehen, ob und wenn ja, wie wir auf der Einnahmen- und Ausgabenseite darauf reagieren. Wir haben nach wie vor eine hohe Liquidität, aber auch sehr viele Projekte in der Pipeline.
Bei den Haushaltsberatungen wurde von mehreren Fraktionen kritisiert, dass die Personalausgaben der Stadt zu hoch seien. Gönnt sich Biberach da mehr, als notwendig wäre?
Der Gemeinderat hat in den vergangenen Jahren ja auch einige Stellen beschlossen, die wir als Verwaltung nicht beantragt hatten. Wir haben in manchen Bereichen unbestritten ein Niveau erreicht, das aus Bürgersicht schon besonders ist, um es einmal so zu formulieren. Da könnte man schon ran. Aber dann braucht es im Gemeinderat auch diejenigen, die da mitziehen. Davon habe ich in den Haushaltsreden nichts gehört.
Wenn Sie sich drei Themen wünschen dürften, bei denen Sie Ende 2021 Vollzug melden können, welche wären das?
Erstens: Corona ist noch nicht ganz, aber zum Großteil gesundheitlich überwunden. Zweitens: Der Gemeinderat hat nach intensiven Diskussionen das Thema verkehrliche Weiterentwicklung der Innenstadt beschlossen. Und drittens: Beim Stadtradeln ist Biberach unter den Top fünf der Städte unserer Größenklasse.
Sie sind ja dafür bekannt, dass Sie für Sachverhalte gerne griffige Formulierungen finden. Welche Überschriften würden denn die Jahre 2020 und 2021 von Ihnen bekommen?
Es sind die Jahre der Waagschalen, zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Gesundheit und Nähe. Auf einige Weihnachtskarten habe ich auch Folgendes geschrieben: Ich wünsche uns allen für 2021 weiterhin Langmut und wieder etwas mehr Beinfreiheit.