Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Mir bereiten die Finanzen Sorge“
Maselheims Bürgermeister Elmar Braun über Corona, die Finanzen und den Kiesabbau
MASELHEIM - Maselheims Bürgermeister Elmar Braun blickt im SZ-Interview zurück auf 2020 und schaut voraus auf 2021. Im Gespräch mit Birgit van Laak spricht er über Corona, die Folgen für die Finanzen, die Auswirkungen auf Zukunftsprojekte und den umstrittenen Kiesabbau im Herrschaftsholz.
Herr Braun, die Corona-Vorschriften haben den Alltag 2020 bestimmt. Halten die Bürger sie ein?
Ich habe keine Kenntnis, dass Leute die Vorschriften bewusst unterlaufen. Mir scheint, sie halten sich daran. Aber die Sehnsucht nach Normalität ist groß. Mir persönlich fehlt es, Leute zu treffen. Die Bürger kamen nach Veranstaltungen oder beim Einkaufen oft auf mich zu. Dieser Austausch fehlt mir. Er hilft mir bei der Arbeit.
Wie wirkt sich die Pandemie auf die Finanzlage der Gemeinde aus?
Mir bereitet die mittelfristige wirtschaftliche Entwicklung Sorge. Bei der Gewerbesteuer werden wir nicht viel merken, da hatten wir nie große Einnahmen. Schwierigkeiten wird uns der sinkende Einkommensteueranteil bereiten, möglicherweise wird künftig die Kreisumlage steigen. Ich befürchte, in zwei Jahren werden wir finanziell nicht mehr so dastehen wie heute.
Was heißt das für Zukunftsprojekte?
Die Ausgaben für die Baugebiete kommen wieder herein. Schwieriger wird es beim Hochwasserschutz. Unser Eigenanteil wird eine stattliche Summe werden. Und die Kläranlage braucht in den nächsten Jahren eine Erweiterung, für die es keine Zuschüsse gibt. In den Kindergärten entstehen durch zwei neue Gruppen mehr Plätze. Sollten wir, wovon ich derzeit nicht ausgehe, trotzdem ein Problem bekommen, bleibt nur ein Anbau an den Maselheimer Kindergarten. Der würde, grob geschätzt, eine Million kosten. Dann bliebe uns kein finanzieller Spielraum mehr.
Rollen 2021 die Bagger für den Hochwasserschutz?
Ich halte einen Baubeginn für das Rückhaltebecken Mittlere Halde 2022 für möglich. 2023/24 könnte es fertig sein. Das Wasserwirtschaftsamt schätzt aber, dass es zehn Jahre dauert, bis alle Becken gebaut sind.
Was bewegt sich 2021 bei Bauplätzen und beim Breitbandausbau?
In Äpfingen wollen wir mit der Erschließung des Baugebiets loslegen, in Sulmingen wird der Bauplatzverkauf voraussichtlich im Sommer starten. Beim Breitbandausbau steht der Zuschussbescheid des Landes noch aus. Der Gemeinderat muss dann entscheiden, was wir umsetzen, also klären, ob man auch abgelegene Einzelgebäude für 100 000 Euro anschließt. Das könnten unangenehme Entscheidungen werden.
Bis die Leitungen verlegt und ein Signal auf ihnen ist, dauert es mindestens drei Jahre.
Die Kiesabbaupläne im Herrschaftsholz sorgen für Debatten. Können Sie nachvollziehen, dass manche sagen: Wie kann es sein, dass die Aktion Plant for the Planet weltweit Bäume für den Klimaschutz pflanzt, hier aber abgeholzt wird?
Ich kann nachvollziehen, dass das als Widerspruch wahrgenommen wird. Es gibt Leute, die mich mit Bolsonaro gleichsetzen. Das ärgert mich, weil Herrschaftsholz und Amazonas-Urwald nicht vergleichbar sind. Am Amazonas haben wir einen über Jahrtausende gewachsenen Urwald, von dem Hunderte Hektar pro Tag gefällt werden. Beim Herrschaftsholz handelt es sich um einen Wirtschaftswald. Die Fichten wurden vor vielleicht 70 bis 80 Jahren gepflanzt, werden in den nächsten zehn bis 20 Jahren geerntet und in 50 Jahren steht hier wieder Wald. Aus heutiger Sicht ökologisch besser als der bisherige.
Greenpeace sieht die Bewirtschaftung von Wäldern inzwischen sehr kritisch …
Mit Wald und Kies ist es wie mit allen Rohstoffen. Brauchen wir sie nicht oder sagt die gesellschaftliche
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Mehrheit, wir wollen sie nicht nutzen, werden sie nicht abgebaut. Wenn man aber Wald oder Kies nutzen und abbauen will, ist es richtig, es im Herrschaftsholz zu machen, weil hier große Mengen Kies vorkommen und es sich um einen Wirtschaftswald handelt. Auch ohne Kiesabbau wird dieser Wald genutzt werden. Oder die Fichten werden dem Klimawandel nicht standhalten. Sie werden in jedem Fall verschwinden und es wird ein anderer Wald entstehen.
Die Bäume sind das eine. Der Waldboden ist ein Lebensraum, er wird weggebaggert und dort für längere Zeit fehlen.
Keinen Kies mehr abzubauen heißt, Hoch- und Tiefbau einzustellen. Ich tue mir schwer zu akzeptieren, dass die Kritiker diese Konsequenz nicht sehen. Man kann sagen, so geht es nicht weiter und gegen alles sein oder man kann versuchen abzuwägen. Das Herrschaftsholz ist ein gutes Beispiel für eine Abwägung.
Sie haben beim Thema Herrschaftsholz viel Kritik einstecken müssen. Wie gehen Sie damit um?
Das Thema treibt die Menschen um. Ich denke viel darüber nach. Ich möchte die Themen in der Tiefe betrachten. Es beschäftigt mich, dass es mir nicht gelingt, mit meinen Argumenten durchzudringen. Es macht mir auch deshalb zu schaffen, weil es wieder zeigt, dass man als Bürgermeister für vieles angegangen wird, für das man nicht zuständig ist. Die Gemeinde ist nicht Genehmigungsbehörde für den Kiesabbau.
Ein anderer Vorwurf lautete, die Maßnahmen für die insektenfreundliche Gemeinde seien zu wenig?
Wer sagt, wir liefern Alibiaktionen, muss erklären, wie man für größere Maßnahmen politische und gesellschaftliche Mehrheiten beschafft.
Welche insektenfreundliche Maßnahme wäre Ihr großer Wunsch?
Ein konsequent insektenfreundliches Programm mit Sensibilisierung der Bürger und einem Biotopvernetzungskonzept für die ganze Gemeinde. Ziel eines solchen Konzeptes ist es, alle Flächen zu erfassen und zu schauen, ob man mit gemeindeeigenen Feldwegen, Streifen, die man an unseren Flächen abzwackt, und Bachrenaturierungsflächen eine Verbindung zwischen allen Biotopen herstellen kann. In einem ersten Ansatz wollen wir das mit dem Arbeitskreis insektenfreundliche Gemeinde 2021 für den Ortsteil Sulmingen angehen.