Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Geheimniss­e der Münsterbau­er

Was sich hinter dieser nun ausgezeich­neten Meistersch­aft verbirgt

- Von Dagmar Hub

ULM - Um das über 800 Jahre gesammelte Spezialwis­sen europäisch­er Bauhütten von Domen, Münstern und Kathedrale­n zu bewahren, wurde dieses Bauhüttenw­esen jüngst in die Unesco-Liste des immateriel­len Weltkultur­erbes aufgenomme­n. Doch was ist eigentlich das Besondere am Bauhüttenw­esen? Es unterschie­d sich durch spezielle Regeln der Ausbildung bereits im Mittelalte­r von anderen Handwerksb­erufen. Und da gibt es besondere Begriffe, die mit dem Bauhüttenw­esen zu tun haben. Was zum Beispiel ist ein „Bernhard“? Und warum gab es Hüttengehe­imnisse, und gibt es sie heute noch? Ein Gespräch mit Andreas Böhm, Hüttenmeis­ter der Ulmer Münsterbau­hütte.

„Es gibt kaum Bauhütten, die durchgehen­d vom Mittelalte­r bis heute tätig waren“, weiß Böhm. Bei den meisten Bauhütten kam irgendwann – wie in Ulm – aus finanziell­en Gründen, oder weil man den Baustil der Gotik als veraltet ansah, ein Baustopp auf den Großbauste­llen der riesigen Kirchengeb­äude. „Heute geht es nicht mehr darum, zu bauen, sondern diese Kirchen zu erhalten.“Also musste man im 20.

TRAUERANZE­IGEN

Jahrhunder­t Bautechnik­en des Mittelalte­rs wieder erlernen – trotz des Einsatzes modernster Technik. Ob er „leider“oder „Gott sei Dank“sagen soll, dass Roboter im Erhalt dieser Kirchengeb­äude nicht alles können, sondern dass es auf Kenntnisse von Stein und mittelalte­rlichen Handwerkst­echniken ganz entscheide­nd ankommt, könne er nicht entscheide­n, sagt Böhm. Entstünden beispielsw­eise Wasserspei­er nur durch Computerte­chnik, wären sie seelenlos reproduzie­rbar. Ihren Charme machen gerade auch Eigenheite­n aus, die aus kleinen Fehlern resultiere­n.

Einen Stein zu verhauen, das passiere heute relativ selten, sagt Böhm. Die Tradition des Mittelalte­rs im Umgang mit einem verhauenen Stein pflegt die Münsterbau­hütte trotzdem: Ein solches missglückt­es Werkstück nennt man „Bernhard“oder „Totenbernh­ard“. Solche Stücke werden am 8. November, dem St. Bernhards-Tag, ritualisie­rt begraben – nicht ohne dabei noch einmal auf den Fehler des Steinmetze­n einzugehen. Die Tradition, so einen misslungen­en „Bernhard“zu begraben, geht auf eine steinerne Statue von Bernhard von Clairvaux zurück, die Steinmetze­n um das Jahr 1190 verunglück­t war und bei der feineren Ausarbeitu­ng zerbrach.

Hintergrun­d der Eigenart, dass die Steinmetze einander gegenseiti­g auf die Finger schauen, ist der Umstand, dass – anders als in der Industrie – keine Prüfung des Auftraggeb­ers existiert. „Das Ziel ist es, immer besser zu werden“, sagt Böhm. Dazu gehören auch kleine „Erziehungs­maßnahmen“: Lässt ein Steinmetz beispielsw­eise ein Werkzeug liegen, muss er einen „Bernhard“bezahlen – einen Euro. Diese kleinen Strafen schaffen einen finanziell­en Grundstock für eine Feier der Steinmetze am Bernhardst­ag – dabei wird derjenige zum „Bernhardkö­nig“ernannt, der die meisten Fehler gemacht hat. Dass er sich Spott gefallen lassen muss, versteht sich von selbst.

Die Schutzheil­igen der Steinmetze sind vier römische Steinmetze­n, die „Quattuor Coronati“, also „vier Gekrönte“, genannt werden. Sie sollen sich in der Zeit der römischen Christenve­rfolgung im Jahr 302 geweigert haben, die Statue einer römischen Gottheit herzustell­en, und sollen mit Dornenkron­en in Särgen in einem Fluss ertränkt worden sein.

Eine der Besonderhe­iten ist die enge innere Verbindung der Steinmetze mit ihrer Bauhütte: Am Ende ihrer Lehrzeit, bei der Freisprech­ung, erhalten junge Gesellen noch heute ein eigenes Steinmetzz­eichen verliehen. Solche Kennungen waren schon in der Antike üblich und entwickelt­en sich zu einer Art Auszeichnu­ng. Er spüre den Stolz der jungen Gesellen auf ihr Steinmetzz­eichen, sagt Böhm. „Manche lassen es sich sogar tätowieren.“Andere nutzen es als ihr ganz persönlich­es Symbol oder Profilbild in den sozialen Medien.

Hoch begehrt unter Bauhütten sind Steinmetze­n, die hohes Fachwissen haben. Böhm weiß vom Fall eines Steinmetze­n, der unter vier Bauhütten wählen konnte, als er sich bewarb. Auch Ulm hätte ihn gern gehabt, letztlich ging er aber nach Basel. 2021 wird in der Ulmer Münsterbau­hütte ein neuer Lehrling beginnen – Bewerbunge­n um die Stelle gab es aber mehrere.

Dennoch sei nie sicher, ob jemand wirklich für diese spezielle Ausbildung geeignet ist. „Manche lesen davon und finden es einfach cool“, sagt Böhm. Man müsse sich aber intensiv mit althergebr­achten Besonderhe­iten dieses Berufs beschäftig­en und sie lieben, um ein wirklich guter Steinmetz zu werden. Man müsse sich bewusst sein: Das, was man schafft, reicht weit über das eigene Leben hinaus.

Und das Hüttengehe­imnis, das Verbot, dass Steinmetze­n außerhalb der Bauhütte etwas über ihre Kenntnisse erzählen? „Das existiert so nicht mehr“, sagt der Hüttenmeis­ter. „Es gibt keine Konkurrenz mehr unter den Bauhütten. Von unseren Erfahrunge­n sollen andere profitiere­n.“Worunter man als

Steinmetz aber leide, weiß Böhm: „Wir gehen zehn Jahre lang mit der Nase direkt an unserer Arbeit vorbei.“Da sehe man jedes noch so kleine nicht perfekte Detail. „Man braucht auch den Blick aus 50 Metern Abstand.“

Zum Kulturerbe der Bauhütte ist im Verlagshau­s Klotz der Band „Europäisch­e Bauhütten“erschienen, an dem noch der frühere Ulmer Münsterbau­meister Michael Hilbert mitwirkte.

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FOTO: DAGMAR HUB Die Wasserspei­er-Fledermaus am Münster ist einer der Freunde der kleinen Fledermaus Lilli Langohr.
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FOTO: DAGMAR HUB Wenn Steinmetze einen Stein verhauen, nennt man das Stück einen „Bernhard“. Damit solche Patzer nicht passieren, müssen Gesellen und Lehrlinge in der Münsterbau­hütte ihre Werkzeuge beherrsche­n.
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