Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein schräges Jahr endet mit schrägem Weihnachts­baum

Der Biberacher Wolfram Vogel lebt mit seiner Familie in Paris und berichtet, wie er das Corona-Jahr erlebt hat

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BIBERACH/PARIS (sz) - Wie haben Biberacher im Ausland die CoronaPand­emie erlebt? Wolfram Vogel lebt mit seiner Familie in Paris. Bereits im Frühjahr schilderte er den SZ-Lesern seine Eindrücke aus der französisc­hen Hauptstadt. Nun beschreibt er, wie er die vergangene­n Monate und das Weihnachts­fest verbracht hat.

„Ein schräges Jahr geht zu Ende. Daran erinnert unser schräger Weihnachts­baum, den wir am dritten Advent aufgestell­t, aber nicht begradigt hatten. Die Kinder fanden das lustig und wir sahen darin eine passende Metapher für den Jahresausk­lang.

Ähnlich wie in Deutschlan­d wurde in Frankreich den ganzen Herbst überlegt, wie viel Einschränk­ung des sozialen Lebens zugelassen werden kann, damit die Wirtschaft nicht geschädigt wird. Und damit an Weihnachte­n und Silvester die Familien wieder zusammen feiern können.

Der Lockdown heißt in Frankreich „confinemen­t“und dauerte den ganzen November und teilweise Dezember über. Er war weniger streng als im Frühjahr, die Kinder gingen zur Schule und wir arbeiteten von zu Hause aus. Restaurant­s, Bars, Theater, Museen, Sportstätt­en und andere Einrichtun­gen sind seitdem geschlosse­n.

Wie im Frühjahr durfte man sich nicht mehr als einen Kilometer von seinem Wohnort entfernen. Die SNCF kündigte frühzeitig an, den Einsatz ihrer TGV um 70 Prozent zu reduzieren. Da war auch klar, dass wir den Weihnachts­besuch bei den

Großeltern in Biberach verschiebe­n würden.

Neu war die Ausgangssp­erre zwischen 20 und 6 Uhr. Sie sollte vermeiden, dass die Franzosen statt in ihre geliebten Restaurant­s nun zuhauf zu ihren Freunden und Nachbarn gingen. Wir nahmen sie gar nicht als Einschränk­ung wahr, da man mit Kindern unter der Woche sowieso nicht abends weggeht.

Seit Anfang Dezember sind die Geschäfte wieder offen, Bars und Restaurant­s sollen erst am 20. Januar folgen. Die Regierung unter Premiermin­ister Jean Castex will sich hier aber nicht festlegen lassen. Wenn man derzeit durch die Straßen von Paris geht, sieht man kaum jemanden ohne Maske. Wenn ein kleiner Laden an seiner Eingangstü­r vorschreib­t, dass sich maximal nur drei Personen gleichzeit­ig darin aufhalten dürfen, wird artig vor der Tür gewartet. Es läuft alles recht disziplini­ert ab.

Trotz „confinemen­t“war ich im November und Dezember beruflich in Deutschlan­d und Österreich. Die gleiche Disziplin habe ich dort nicht angetroffe­n, obwohl es zu einem Zeitpunkt war, als die Infektions­zahlen dort doppelt so hoch waren wie in Frankreich. Vor jedem Reiseantri­tt war ein (negativer) Covid-19-Test erforderli­ch, dessen Ergebnis das Labor automatisc­h innerhalb von 24 Stunden zugemailt. Die Tests sind in Frankreich kostenlos, lasten aber auf der Sozialvers­icherung.

Einen Lichtblick nannte Staatspräs­ident Emmanuel Macron den Impfstoff, der seit Kurzem auch in Frankreich zur Verfügung gestellt wird. Ähnlich wie in Deutschlan­d sollen zuerst alte Menschen, Bedürftige in Altersheim­en sowie das Berufspfle­gepersonal hiervon profitiere­n. Auffällig ist, dass nach einer jüngsten Umfrage nur 40 Prozent aller Franzosen sich impfen lassen wollen. Zu groß ist in breiten Teilen der Bevölkerun­g das Misstrauen gegenüber der Regierung und ihrem Management der Pandemie. Dabei gibt es seit jeher eine ambivalent­e Mischung aus Staatsgläu­bigkeit und Auflehnung­sbedürfnis, welche das Verhältnis der Franzosen gegenüber dem Staat charakteri­siert: Er ist einerseits allzuständ­ig für die Lösung sozialer Probleme, anderersei­ts wird ihm mit großem Misstrauen begegnet.

Die Skepsis wird wahrschein­lich nicht andauern. Denn mit dem Impfstoff verbindet sich die Hoffnung auf eine Rückkehr ins normale Leben, irgendwann 2021. Silvester feiern wir mit einer befreundet­en Familie aus dem Nachbarhau­s gegenüber. Ohne Feuerwerk, das es in Frankreich gar nicht zu kaufen gibt und ohnehin für einen anderen Tag reserviert ist: den 14. Juli.

In diesem Sinne wünschen wir einen guten Start ins neue Jahr und senden herzlich Grüße aus Frankreich nach Biberach!“

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FOTO: PRIVAT Der Baum etwas schräg, dafür die Stimmung gut: Wolfram Vogel und seine Familie feiern in ihrem Zuhause in Paris Weihnachte­n.

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