Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Rechne damit, dass bald mit Planungen für Umgehung begonnen wird“
Bürgermeister Schell fasst zusammen, was 2020 in Ingoldingen wichtig war
INGOLDINGEN - Der Hochwasserschutz wurde weiter ausgebaut, die Ortsumgehung wurde in den Maßnahmenplan des Landes aufgenommen, der zweite Grundschulstandort erhalten. Bürgermeister Jürgen Schell blickt im SZ-Jahresinterview mit Redakteurin Katrin Bölstler darauf zurück, was 2020 in Ingoldingen wichtig war.
Herr Schell, ein ganz besonderes Jahr liegt hinter uns. Welche Momente oder Ereignisse bleiben Ihnen besonders in Erinnerung?
Das Jahr 2020 hat im Januar schon mit einer traurigen Nachricht für uns alle begonnen. Im Alter von 54 Jahren ist unser Mitglied des Gemeinderats Klaus Schmid überraschend verstorben. In den folgenden Monaten bleiben mir die Worte Stillstand, Maskenpflicht, Abstand und „Bleibt zu Hause“in Erinnerung. In Erinnerung bleibt auch die lobenswerte Disziplin der Bürgerinnen und Bürger, der Vereinsvorstände und vielen anderen, mit der wir mit allen Beschränkungen umgegangen sind. Es gab daneben auch viele schöne Momente im Leben unserer Gemeinde, die aber leider in diesem Jahr in den Hintergrund getreten sind.
Wie sehr hat die Corona-Pandemie die Gemeinde Ingoldingen getroffen? Waren bzw. sind die Maßnahmen der Politik aus Ihrer Sicht ausreichend?
Am 11. Dezember ist die Pandemie auch bei uns angekommen, die Fallzahlen sind vergleichsweise stark angestiegen. Über das Jahr hinweg zählen wir in Ingoldingen bis heute 29 Infizierte und leider auch einen Todesfall Das Interview wurde vor Weihnachten geführt). Auf kommunaler Ebene ist es nicht immer angenehm, Entscheidungen zur Eindämmung der Pandemie zu treffen. Meistens ist der Begriff „Untersagung“damit verbunden. Ich zolle hohen Respekt denjenigen, die auf Landes- und Bundesebene Entscheidungen treffen müssen. In manchen Fällen kamen mir die Entscheidungen zu zaghaft und nicht mutig genug. Die Frage, ob die Pandemie anders verlaufen wäre, bleibt aber immer unbeantwortet.
Haben Sie zum Ausgleich eine Förderung über den Bund oder das Land erhalten?
Auch bei uns sind die Einnahmen zurückgegangen. Allein die Gewerbesteuer ist um rund 170 000 Euro eingebrochen, für unseren Haushalt natürlich eine Hausnummer. Wie alle Gemeinden haben auch wir den Eltern die Gebühren für unsere Kindertageseinrichtungen im Frühjahrslockdown erlassen. Auch wenn wir dafür Ersatz vom Land bekommen, haben wir recht darin behalten, die Ausgaben permanent wachsam auf den Prüfstand zu stellen.
Das wichtigste Thema dieses Jahr war der Neubau einer Kindertagesstätte. Viele Stunden haben Sie sich mit der Wahl des Standorts, den maximalen Kosten und der Innenausstattung befasst. Warum war es so schwierig, da einen Konsens zu finden?
Bereits vor drei Jahren sind wir mit dem Projekt Neubau einer Kindertagesstätte gestartet. Angesichts der damals prognostizierten Kosten haben wir dann im Gemeinderat nach Alternativen gesucht. Angefangen von der Bauweise, Containerlösungen, modularer Bauweise bis hin zur langfristigen Unterbringung der notwendigen
Plätze in anderen kommunalen Gebäuden. Die aufgezeigte Möglichkeit, im Gebäude der Grundschule in Winterstettenstadt eine Kindertageseinrichtung einzurichten und im Gegenzug die Schüler aus Winterstettenstadt in einer gemeinsamen Schule in Ingoldingen unterzubringen, wurde laut diskutiert, am Ende aber verworfen. Der Gemeinderat hat die ursprünglichen Pläne wieder aufgegriffen und so werden wir in Ingoldingen die notwendigen Betreuungsplätze in einem Neubau unterbringen.
Wie viele Bauplätze wurden dieses Jahr verkauft? Welche weiteren Baugebiete sind in Planung?
In 2020 haben wir noch 14 Bauplätze verkauft, das waren die letzten Bauplätze der Neubaugebiete in Ingoldingen und Muttensweiler. Ganz konkret arbeiten wir an der Umsetzung eines Neubaugebiets in Winterstettendorf, für weitere Bauplätze in Grodt und Muttensweiler sind bereits die ersten Beschlüsse gefasst.
Seit Jahren kämpfen Sie für den Bau einer Ortsumgehung von Ingoldingen. Nun ist Ihre Gemeinde in den überarbeiteten Maßnahmenplan für Landesstraßen aufgenommen
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worden. Wie schnell rechnen Sie nun mit dem Bau der Umgehung?
Die wichtigste Hürde, die Aufnahme in den Maßnahmenplan, haben wir genommen. Gemeindepolitisch ist dies auch der größte Erfolg im abgelaufenen Jahr. Ziel der Landesregierung ist, die aufgenommenen Projekte bis zum Ende des Planungshorizonts des Maßnahmenplans – 2035 umzusetzen. Ich rechne damit, dass sehr rasch mit den Planungsarbeiten begonnen werden kann, wage es aber nicht, einen Zeitraum dafür zu nennen. Im neuen Jahr finden bereits erste Gespräche mit dem Regierungspräsidium Tübingen statt, um eine zeitliche Schiene für das Projekt zu diskutieren.
Ingoldingen erhält 2,9 Millionen Euro für den Breitbandausbau, konkret für die Beseitigung der „weißen Flecken“. Warum wird dieser Ausbau trotzdem eine enorme Herausforderung für die Gemeinde?
Zunächst bin ich dankbar über das einstimmige Votum im Gemeinderat zum Ausbaukonzept und zur Versorgung der weißen Flecken. Neben der bereits bewilligten Bundesförderung gehen wir von einer 40-prozentigen Kofinanzierung durch das Land aus. Ohne diese Unterstützung ist das Konzept für unsere Gemeinde finanziell nicht umsetzbar. Wenn alle Zuschüsse wie beantragt fließen, bleiben am Ende immer noch über 600 000 Euro an der Gemeinde hängen. Gemessen an den anstehenden Investitionen für Pflichtaufgaben eine enorme Herausforderung.
Sie haben in der Gemeinde das Projekt „Älter werden – für mehr Lebensqualität“gestartet. Was wollen Sie damit erreichen und was sind die nächsten Schritte?
Wir sind aufgenommen worden im Programm des Landes „Quartier 2020“. Grundsätzlich ist damit der Boden für die vielfältigsten Ideen und Wünsche geebnet. Begonnen haben wir mit einer Bürgerumfrage im Stil einer Sozialraumanalyse. Im Frühjahr werden wir dann zusammen mit den interessierten Bürgern die Ergebnisse aufarbeiten, filtern und im Gemeinderat vorstellen. Für mich steht als wichtiges Ziel im Rahmen dieses Prozesses die Schaffung von neuen Wohnformen im Alter ganz oben auf der Liste.
Am Betrieb des Solarparks Ingoldingen werden sich drei Bürgerenergiegenossenschaften beteiligen, auch dank Ihres Engagements. Warum war Ihnen dieses Thema so wichtig?
Auch wenn in Zeiten der Pandemie die Wertigkeit des Klimaschutzes in den Hintergrund getreten ist, ist dies eine unserer wichtigsten Aufgaben für die Zukunft unserer Kinder. Mit dem Einstieg in den Solarpark haben wir wieder eine Plattform für viele Bürgerinnen und Bürger geschaffen, mit der sie sich über die Bürgerenergiegenossenschaften an dieser wichtigen Aufgabe beteiligen können.
Sind die Hochwasserschutzmaßnahmen in Degernau mittlerweile abgeschlossen? Haben sie schon erste Tests bestanden und sich bewährt?
Die Maßnahmen zum Hochwasserschutz in Degernau sind in vier Bauabschnitte geteilt. Der erste Bauabschnitt ist bereits fertiggestellt, wir sind zum Glück im abgelaufenen Jahr von Niederschlagsereignissen der vergangenen Jahre verschont geblieben. Der Zuschuss für den Bauabschnitt 2 ist bewilligt, vor wenigen Tagen hat das Regierungspräsidium Tübingen auch den Zuschuss für den Bauabschnitt 3 bewilligt. Für Degernau bedeutet dies, dass wir geplant bis Ende April 2021 den Bau von zwei großen Rückhaltebecken abschließen können.
Obwohl es zunächst anders aussah, haben Sie nach großen Protesten beschlossen, den zweiten Schulstandort in Winterstettenstadt zu erhalten. Sind Sie rückblickend zufrieden mit dieser Entscheidung?
Es ist nicht immer einfach, in einem gemeindepolitisch hoch emotionalen Thema alle Beteiligten mit unterschiedlichsten Ansätzen und Betrachtungsweisen von einem auch aus pädagogischer Sicht guten Vorschlag zu überzeugen. Auch aus kommunaler Sicht und aus Sicht des Schulträgers war eine Auseinandersetzung mit diesem Thema geboten. Der Beschluss, dass die Außenstelle der Grundschule Winterstettenstadt in ihrer jetzigen Form weiter Bestand hat, ist gefallen. Diesen Auftrag setzen wir um, aus schulischer und kommunaler Sicht. Ich persönlich glaube aber, dass mit Blick auf die Schülerzahlen der kommenden Jahre dieses Thema wieder aufgerufen werden wird.
Was werden 2021 die wichtigsten Projekte in Ingoldingen sein?
Der Bau einer neuen viergruppigen Kindertagesstätte in Ingoldingen, die Arbeiten zum Hochwasserschutz in Degernau, die anstehenden Aufgaben des Abwasserzweckverbands Riß mit dem Bau eines Südsammlers und die Arbeiten für einen gemeinsamen Sammler von Ummendorf bis nach Schweinhausen, die Umsetzung des Neubaugebiets in Winterstettendorf und der Eintritt in die Planungen einer Umgehung für Ingoldingen.
Was wünschen Sie sich persönlich für 2021?
Dass wir es schaffen, die Pandemie einzudämmen, dass wir uns wieder richtig begegnen und feiern können, und dass ich das geplante Jubiläumskonzert der Crazy Diamonds im Oktober nächsten Jahres nicht absagen muss.