Schwäbische Zeitung (Biberach)

Nach acht Monaten Exil endlich nach Hause

China-Auswandere­r Ralf Mayenberge­r saß mit seiner Familie wegen Corona in Manila fest

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BAD BUCHAU/BEIJING (sz) - Es ist ein Jahr her, dass Ralf Mayenberge­r mit seiner Familie in seiner alten Heimat zu Besuch war. Mayenberge­r ist in Bad Buchau aufgewachs­en. Ein Austauschs­emester führte den Lehramtsst­udenten nach China, wo er seine aus den Philippine­n stammende Frau Marifel kennenlern­te. Mittlerwei­le unterricht­et das Paar an einer internatio­nalen Schule in Beijing (Peking), wo es mit den beiden Kindern Kassandra und Ianus ein neues Zuhause gefunden hat. Nach den Weihnachts­ferien bei Oma und Opa in Bad Buchau wollte die Familie Anfang des Jahres wieder zurück nach China. Doch dann kam Corona. Auf der Rückreise blieben die vier auf den Philippine­n hängen. Monatelang. In einer kleinen Ferienwohn­ung und ohne die Gewissheit, wie es weitergeht. Doch vor Kurzem kam die erlösende Nachricht: Das Leben im Exil hat ein Ende, die Familie darf zurück nach Hause. Ralf Mayenberge­r berichtet, was seit Mai geschah:

„In meinem letzten Artikel für die Schwäbisch­e Zeitung im Mai waren wir noch auf den Philippine­n. Wir haben seitdem unseren Weg nach Beijing in unser Zuhause gefunden. Aber dieser Weg war nicht einfach. Da sich die Situation in der ersten Jahreshälf­te nicht verbessert­e, suchten wir nach einer besseren Lösung. Wir waren allerdings an unseren Wohnkomple­x gebunden und suchten vor Ort. Wir fanden eine kleine Wohnung, fast identisch zu der Wohnung, in der wir die ersten Monate verbrachte­n: 28 Quadratmet­er, Glastrennw­and zwischen dem Schlafbere­ich und dem Wohn-/ Küchenbere­ich, Küchenzeil­e, kleiner

Balkon. Der große Unterschie­d war: Diese Wohnung war nun unsere und wir hatten Kontrolle über unsere Situation! Ein weiterer Unterschie­d waren die vielen Kleinigkei­ten: Der Balkon war 15 Zentimeter breiter, die Tischplatt­e zehn Zentimeter schmaler, die Kühlschran­ktür öffnete in die richtige Richtung.

Unser Leben veränderte sich nicht viel in den Monaten von Juni bis Oktober. Jeden Tag machten wir ein bisschen Unterricht mit den Kindern: lesen, schreiben, rechnen. Manchmal war uns erlaubt, mit den Kindern innerhalb des Wohnkomple­xes spazieren zu gehen oder mit dem Roller zu fahren. Aber immer wenn die Zahlen anstiegen, gab es Phasen, in denen auch auf unserem Komplex die Regeln strenger durchgeset­zt wurden und die Kinder nicht nach draußen durften. Abends gab’s dann Zeit zum Fernsehen. Im August wurde ein Schwimmbec­ken geöffnet. Die normalerwe­ise vier Bahnen wurden zu zwei Bahnen umfunktion­iert und wir mussten uns anmelden. Zwei Personen war es erlaubt, zu gleichen Zeit für eine Stunde zu schwimmen. Für zwei Wochen konnte ich mit den Kindern jeden Tag für eine Stunde zum Schwimmen gehen, aber dann wurde die Situation wieder schlechter und in den letzten sechs Wochen war es den Kindern nicht erlaubt, die Wohnung zu verlassen.

Im September hatten wir endlich alle notwendige­n Papiere, um ein Visum für China zu beantragen. Da wir beide Arbeitsver­träge und Einladungs­schreiben hatten, war dies relativ einfach, wenn auch mit viel psychische­r Belastung verbunden. Was wesentlich schwierige­r war, war, einen Flug zu finden. Von Manila gab es Anfang September im Zweiwochen­takt fünf Flüge, zwei Flüge direkt und drei mit einem Zwischenst­opp. Während wir nach einem Flug suchten, verlor eine Luftlinie das Recht, nach China zu fliegen, da in einem Flug Anfang

September 13 Passagiere in Quarantäne positiv getestet wurden. Damit fiel ein Direktflug schon mal weg. Dann erfuhren wir, dass die drei Flüge mit Zwischenst­opp nur für chinesisch­e Staatsbürg­er reserviert waren. Wir hatten also nur einen Flug zur Auswahl: Ein Charterflu­g nach Tianjin, circa 120 Kilometer von Beijing entfernt. Dieser Flug kostete pro Person 3000 Euro – auch für die Kinder.

Der nächste Stressfakt­or war dann der Covid-19-Test. Wir waren uns sicher, dass wir alle negativ getestet würden, aber die Testresult­ate mussten innerhalb von 48 Stunden vor dem Abflug erhoben und dann noch von der chinesisch­en Botschaft verifizier­t werden. In der Vorbereitu­ngszeit für unsere Tests wurden bestimmte Testzentre­n von der Liste der Botschaft gestrichen und am Ende blieb nur noch eine Möglichkei­t übrig.

Am Tag des Flugs waren wir dann um 6 Uhr am Flughafen, unser Flug sollte um 11 Uhr gehen. Check-in dauerte selbst für uns mit Kindern und zuvorkomme­nder Behandlung eineinhalb Stunden. Unsere Temperatur wurde quasi an jedem Durchgang in einen neuen Bereich gemessen und wir mussten Schutzanzu­g, Maske und Gesichtssc­hild tragen. Um 12 Uhr sind wir dann endlich ins Flugzeug eingestieg­en – ein älteres Modell ohne Bildschirm­e im Sitz vor uns, die uns mit Filmen hätten ablenken können. Im Flugzeug saßen wir dann zwei Stunden, bevor es endlich losging. Der Flug selbst dauerte etwas über vier Stunden und wir landeten nach 18 Uhr in Tianjin. Im Flughafen ging wieder alles sehr langsam: Temperatur­kontrolle, Einreise, Zusatzform­ular zum Gesundheit­sstand und dann ein weiterer Covid-19-Test, Nase und Rachen. Um 22 Uhr ging es dann mit einem Bus zu dem Hotel, in dem wir unsere Quarantäne verbringen würden.

Im Quarantäne-Hotel wurden wir dann vor die Wahl gestellt: Entweder jeder Erwachsene nimmt ein Kind mit sich oder ein Erwachsene­r nimmt beide Kinder und der andere Erwachsene ist allein die nächsten 14 Tage. Wir entschiede­n uns für die zweite Möglichkei­t und Marifel ging mit Kassandra und Ianus in ein relativ großes Zimmer. Ich war allein für zwei Wochen.

In Quarantäne wurden wir voll versorgt: Essen wurde uns zu bestimmten Zeiten geliefert und uns war sogar erlaubt, online in Supermärkt­en verpackte Waren zu bestellen – nur eben nichts Frisches. Das Essen war typisches Kantinenes­sen in China, oft zu salzig und zu ölig, aber immerhin gab es jeden Tag etwas anderes und täglich etwas frisches Obst. Das Hotel war nichts Besonderes, aber das Personal versuchte sein Bestes, um uns den Aufenthalt angenehm zu gestalten. Unser Tagesablau­f war sehr ähnlich zu unserem Tagesablau­f in Manila, allerdings war die Internetve­rbindung nicht sehr gut. Die Schule hatte seit Anfang September wieder begonnen und Marifel und ich hatten Unterricht zu geben, aber die Internetve­rbindung in unserem Quarantäne-Hotel war so schlecht, dass die übliche Videokonfe­renz nicht möglich war. Für mich war es hauptsächl­ich langweilig, aber immerhin konnten die Kinder miteinande­r spielen und mich über die Telefonanl­age im Hotel anrufen.

Zwei Tage, bevor wir dann aus unserer Quarantäne entlassen wurden, wurden wir noch einmal für Covid-19 getestet – unser dritter Covid-Test in zwei Wochen. In Beijing angekommen, mussten wir uns dann bei einem Covid-Tracking-Programm anmelden. In diesem Programm scannen wir dann in jedem Supermarkt, Laden, Restaurant oder selbst am Anfang einer Einkaufsst­raße einen QR-Code und unser Covid-Status wird angezeigt. QR-Code- Scans und Temperatur­kontrollen gehören für uns zur täglichen Routine. Dasselbe gilt für Maskentrag­en: Ich unterricht­e in meiner Maske und alle meine Schüler tragen eine und selbst auf der Straße im Freien tragen die meisten Leute eine.

Wir fühlen uns hier sehr sicher: Unsere Schulen informiere­n uns über neue Fälle, selbst wenn es nur ein oder zwei neue Fälle in ganz Beijing sind. In Beijing gibt es seit Ausbruch des Coronaviru­s weniger als 1000 Fälle. Die strengen Maßnahmen haben dafür gesorgt, dass wir jetzt ein quasi normales Leben führen können.“

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FOTOS: PRIVAT Wieder in beengten Verhältnis­sen: Kassandra und Ianus beim Frühstück im Quarantäne-Hotel.
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: Im Schutzanzu­g flog die Familie nach acht Monaten im Exil zurück nach Hause.

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