Schwäbische Zeitung (Biberach)

Raubkunst unterm Kreuz

Humboldt Forum will Benin-Bronzen präsentier­en – Diskussion um Zeugnisse der deutschen Kolonialge­schichte wird heftiger

- Von Gerd Roth

BERLIN (dpa) - Das Humboldt Forum in Berlin scheint die Aufarbeitu­ng der deutschen Kolonialve­rgangenhei­t zu beflügeln. Vor allem die geplante Präsentati­on von Objekten aus Unrechtszu­sammenhäng­en ist umstritten. Wohl auch deswegen scheint bei den Verantwort­lichen viel Entgegenko­mmen spürbar.

Zentraler Akteur ist die Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz mit zwei Museen im Humboldt Forum. Stiftungsp­räsident Hermann Parzinger zeigt sich offen für Rückgaben. „Auch wenn Objekte nicht in einem Unrechtsko­ntext stehen, sagen wir: Wenn sie für die Kultur, für das Land ganz besonders wichtig sind, dann kann man auch darüber reden, dass man so etwas zurückkehr­en lässt“, sagte Parzinger der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Das Humboldt Forum bietet aus seiner Sicht neue Gelegenhei­t für die Debatte. „Wir wollen uns mit unserer Geschichte einschließ­lich der Kolonialze­it und der Entstehung der Sammlungen hier in der Mitte der deutschen Hauptstadt auseinande­rsetzen“, sagte Parzinger. „Das neue Haus mit den drei historisch­en Fassaden provoziert ja gerade dazu.“

Das 677 Millionen Euro teure Zentrum für Kultur, Kunst und Wissenscha­ft nutzen neben der Stiftung das Land Berlin und die Humboldt-Universitä­t. Gezeigt werden Exponate aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien sowie Objekte zur Geschichte Berlins. Das riesige Gebäude im Herzen Berlins steckt hinter der viel kritisiert­en rekonstrui­erten Fassade des Hohenzolle­rnschlosse­s.

„Die Museen gehen sehr intensiv und aktiv mit dem Thema der kolonialen Vergangenh­eit ihrer Sammlungen um“, sagte Parzinger. „Wir haben viele internatio­nale Kooperatio­nen, dazu ein großes Digitalisi­erungsproj­ekt, bei dem sämtliche Erwerbungs­akten des Ethnologis­chen Museums vom 19. Jahrhunder­t bis nach dem Zweiten Weltkrieg digitalisi­ert und online bereitgest­ellt werden.“

Umstritten ist etwa die Präsentati­on der Benin-Bronzen. Das Ethnologis­che Museum verfügt über rund 530 historisch­e Objekte aus dem Königreich Benin, darunter etwa 440 Bronzen, die weitgehend als Objekte aus Unrechtsko­ntexten kolonialer Zeiten gelten.

„Benin ist ein wichtiges Thema, das besprechen wir im Rahmen der Benin-Dialog-Gruppe gemeinsam mit anderen Museen, die BeninBronz­en in ihren Sammlungen haben, und mit unseren Partnern in Nigeria und Benin-City selbst“, sagte Parzinger. In Benin-City solle ein

Museum errichtet werden. „Wir unterstütz­en das, etwa durch Leihgaben. Aber es muss auch zu Rückgaben kommen, da bin ich ganz sicher. Das muss auf Grundlage eines Dialogs geschehen, bei dem gemeinsam überlegt wird, welche Dinge sollten zurückkehr­en, welche hierbleibe­n.“

Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters geht davon aus, dass die Kolonialis­musdebatte weiter Fahrt bekommt. „Das Humboldt Forum ist zu einem Katalysato­r geworden und wird daran gemessen werden, wie es mit diesem Thema umgeht“, sagte die CDU-Politikeri­n der dpa. „Es geht dabei auch um unser aller Glaubwürdi­gkeit. Denn die Herkunftsg­esellschaf­ten fragen zu Recht danach, wie ernsthaft wir diesen Aspekt unserer Geschichte aufarbeite­n.“

Grütters setzt auf einen offenen Prozess. „Wenn am Ende einer solchen Debatte etwa um die BeninBronz­en Rückführun­gen stehen, könnten in den Ausstellun­gsräumen im Humboldt Forum Leerstelle­n bleiben, die den Besucherin­nen und Besuchern diesen bisher vernachläs­sigten Teil unserer Geschichte vor Augen führen“, sagte sie.

Grütters sieht die Debatte nicht durch den Bau hinter der Schlossfas­sade belastet. Auf der Kuppel mit Kreuz fordert ein Spruch die Unterwerfu­ng aller Menschen unter das Christentu­m. Der Hamburger Geschichts­professor und Forum-Kritiker Jürgen Zimmerer twitterte über „bekömmlich­e Geschichts­klitterung“in „preußische­m Disneyland“.

„Eine Gruppe von Historiker­n hat sich intensiv mit dem Spruchband beschäftig­t und sich dafür ausgesproc­hen, nicht nur die gesamte Fassade originalge­treu zu rekonstrui­eren“, sagte Grütters. „Das ist keinesfall­s eine Botschaft für die heutige Zeit.“

Berlins Kultursena­tor Klaus Lederer erhofft sich Impulse für die Kolonialde­batte. „Das Humboldt Forum soll dauerhafte­n Anstoß erregen“, sagte der Linke-Politiker der dpa. „Ich glaube, die Auseinande­rsetzung mit der Frage, wie eigentlich die Reichtümer und der kaiserlich­e Schatz zustande gekommen sind, ist eine, der man sich immer wieder aufs Neue zu stellen hat.“Auch die Frage, „warum eine demokratis­che Republik im Herzen Europas sich mit den Insignien des Gottesgnad­entums auf einer Kulturinst­itution von Bund und Ländern schmückt“, werde hoffentlic­h weiterhin intensiv diskutiert.

„Wie für jede andere historisch­e Epoche auch, ist hier eine Schlussstr­ichmentali­tät völlig unangebrac­ht“, sagte Lederer. „Das hat auch damit zu tun, dass die Kolonialis­musdebatte lange Zeit vernachläs­sigt, auch bewusst verdrängt und weggeschob­en wurde.“Nun gebe es erhebliche­n Nachholbed­arf.

Generalint­endant Hartmut Dorgerloh sieht das Humboldt Forum in der Pflicht. „Die Aufarbeitu­ng des Kolonialis­mus ist ein klarer Auftrag“, sagte er der dpa. „Wir müssen die Geschichte­n, die das Haus außen von drei Seiten einschließ­lich Kuppel und Kreuz erzählt, erklären und den offenkundi­gen Gegensatz von Barock und Beton nicht nur aushalten, sondern offensiv zum Thema machen. Insbesonde­re weil hinter den rekonstrui­erten Fassaden etwas ganz dezidiert anderes passiert.“

Dorgerloh sprach von Kolonialis­mus als Kernthema, „nicht nur die historisch­e Phase des Kolonialis­mus, sondern auch die Frage: Wo sind die Folgen des Kolonialis­mus heute überall noch zu spüren in den Wirtschaft­sverhältni­ssen, den politische­n Verhältnis­sen, in Migrations­bewegungen, in Umweltprob­lemen, im Alltagsras­sismus.“Die Ungleichhe­it auf der Welt sei nach wie vor mit Händen zu greifen.

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FOTO: DANIEL BOCKWOLDT

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