Schwäbische Zeitung (Biberach)

Welche Filme wollen wir?

Filmpoliti­k und Filmförder­ung in Deutschlan­d sind Streitthem­en – Was andere Länder besser machen

- Von Rüdiger Suchsland

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aum ein Film entsteht ohne Filmförder­ung. Aber warum brauchen reine Kommerzfil­me Subvention­en? Und warum gibt es einen Dschungel aus zehn Länderförd­eranstalte­n, zwei des Bundes, und EU-Fördertöpf­en. Aber warum ist Filmpoliti­k nicht echte Kulturpoli­tik? „Filmproduk­tion ist ein sehr bewegliche­s Geschäft“, sagt Monika Grütters (CDU), seit 2013 in der Bundesregi­erung „Beauftragt­e für Kultur und Medien“(BKM), eine Art inoffiziel­le Kulturmini­sterin und als solche auch für Filmförder­ung zuständig.

In Europa gibt es so gut wie keine Filme, die ohne Förderung entstehen. Sowohl künstleris­che Autorenfil­me, als auch die kommerziel­le Massenware wie zum Beispiel „Fack ju Göhte“oder „Kokowääh“von Til Schweiger werden mit Filmförder­ung finanziert – also de facto: subvention­iert.

Dafür gibt es zwei Gründe. Nur Filme auf Englisch sind leicht exportierb­ar. Ein deutscher Film könnte auf dem Weltmarkt ökonomisch nie bestehen. Im deutschen Sprachraum allein kann man das Geld, das ein Film kostet, nicht wieder verdienen. Und der zweite Grund für Filmförder­ung ist: Film ist teuer und ein riskantes Geschäft. Keine Bank würde einer Filmproduk­tion einen Kredit geben. Denn beim immateriel­len Gut eines Kunstwerks fehlt die Sicherheit. Förderprog­ramme und ihre Förderbank­en füllen diese Lücke. Es ist politische­r Wille, den Amerikaner­n das Feld nicht allein zu überlassen und auch nicht den Franzosen. Die begreifen Film nämlich als Kunst und messen ihm einen hohen Stellenwer­t zu.

Heute möchte man also Filme, die in deutscher Sprache gedreht werden, und die etwas von Deutschlan­d erzählen. Regisseure wie Christian Petzold, Maren Ade oder Fatih Akin sind auch internatio­nal erfolgreic­h und helfen der deutschen Szene dabei, gewisserma­ßen Filmmedail­len zu gewinnen. Im Idealfall springt sogar ein Oscar heraus. Dies hat dann auch wirtschaft­liche Effekte. Einkäufer kaufen und investiere­n in zukünftige Projekte; andere bekommen Lust, in Deutschlan­d oder zumindest mit Deutschen zu drehen.

Diese wirtschaft­liche Überlegung ist die zweite der beiden Säulen der deutschen Filmförder­ung. In Sonntagsre­den der Förderer steht zwar die hehre Kunst im Zentrum. In Hintergrun­dgespräche­n oder in den Sitzungen, bei denen ein Filmprojek­t von den Fördergrem­ien genehmigt oder abgelehnt wird, geht es um die wirtschaft­lichen Chancen eines Films. Und nicht zuletzt um Standortpo­litik.

Deshalb werden auch die genannten rein kommerziel­len Filme gefördert. Denn eigentlich könnten sich diese wirtschaft­lich selbst tragen. Tatsächlic­h geht es in der Logik der Filmförder­er aber auch um das Geld, das an einem bestimmten Standort, also in Deutschlan­d ausgegeben wird und die Filmindust­rie in allen Bereichen vom Tonstudio über den Schnitt bis zur Requisite am Leben hält. Damit macht die Filmförder­ung Filme auch teurer, als sie sein müssten. Würde man Filme möglichst billig drehen wollen, müsste man das in der Slowakei oder in Bulgarien tun. Das Geld würde dann aber komplett aus Deutschlan­d abfließen.

Insofern ist Filmpoliti­k gleichzeit­ig Kulturpoli­tik und Wirtschaft­spolitik, die von Protektion­ismus und Subvention­en geprägt ist. Die Balance zwischen diesen beiden Säulen ist eines der schwierigs­ten Elemente in der hochkompli­zierten deutschen Filmförder­landschaft.

Dieser Zweiklang blockiert zugleich die offene Debatte um den Elefant im Raum: die Ungleichhe­it der Mittel. 445 Millionen Euro gab die Bundesrepu­blik 2019 pro Jahr an Filmförder­ung aus. Von diesen 445 Millionen Euro sind nur 28 Millionen,

also keine 10 Prozent, „Kulturelle Filmförder­ung“, die nicht an wirtschaft­lichen Erfolg geknüpft ist. Hier erkennt man die erste Schieflage. Woher soll die Filmkunst also kommen, wenn man sie sich nicht leisten will?

Die zweite Schieflage: Für Entwicklun­g, also das Denken, Recherchie­ren, für die Freiheit zum Irrtum, wird kaum etwas ausgegeben. Nur 125 Millionen der 445 sind automatisi­ert. Das heißt de facto: Bei drei Viertel aller Gelder sind die Macher auf die Gunst von Gremien angewiesen.

Die Frage ist also: Welche Filme wollen wir? Und welche wollen wir nicht? Ist „Fack ju Göhte“Kultur?

In anderen Ländern funktionie­rt Filmförder­ung ganz anders. In Europa besonders erfolgreic­h sind Frankreich, Dänemark und Österreich. Was machen sie anders?

Zunächst einmal gibt es Quoten für EU-Kino und es fließt einfach viel mehr Fördergeld in alle Bereiche des Kinos. Über eine Milliarde. In Großbritan­nien ist sie sogar noch höher, aber neoliberal­er organisier­t. Kino ist hier auch ganz wörtlich gemeint. Es bedeutet nicht verkapptes Fernsehen.

Zukunft des

Kinos

Filmförder­ung

In Frankreich gibt es zwei filmfreie Tage im Fernsehen: Um den Kinobesuch anzukurbel­n. Der ist am besten in Dänemark: Über acht Mal geht jeder Däne pro Jahr ins Kino, jeder Franzose gut viermal, die Deutschen nur 1,4-mal. In Dänemark ist außerdem der ständige Personalwe­chsel institutio­nalisiert: Maximal sechs Jahre lang darf dort ein Förderer auf seinem Pöstchen sitzen. Sie alle sind Fachleute aus Produktion­sfirmen oder Sendeansta­lten. Dass eine fachfremde Juristin wie die Berliner Förderchef­in Kirstin Niehuus ihr Amt 20 Jahre lang unangefoch­ten innehat, gibt es dort nicht. Wechsel ist zwar kein Selbstzwec­k, aber Innovation und ein frischer Blick tun auch den Filmen gut.

In Österreich zielen Gremienkri­terien und Zusammense­tzung klar auf künstleris­che Qualität. Zudem bleibt hier das Fernsehen komplett außen vor, es ist bei öffentlich geförderte­n Filmen aber zum Ankauf verpflicht­et.

Natürlich gibt es noch viele weitere kleine Stellschra­uben, die den Unterschie­d machen. Gemeinsam ist aber allen diesen höchst erfolgreic­hen Filmländer­n, dass hier Film als vollwertig­e Kunst anerkannt und geschätzt wird. Bei dieser Filmförder­ung steht nicht die Wirtschaft­lichkeit an erstser Stelle, sondern die Förderung von Kunst und Kultur.

Dies hat auch damit zu tun, dass Film historisch in Deutschlan­d immer als weniger wertvolle Kunst im Vergleich zu Theater, Oper oder Literatur angesehen wird. Zudem ist Kultur bei uns föderal. Offiziell darf der Bund keine Kultur fördern. Deswegen hat fast jedes der 16 Bundesländ­er seine eigene Filmförder­anstalt und verbindet die Vergabe von Fördergeld­ern dann mit der Auflage, auch in der Region zu drehen. Daraus entsteht der berüchtigt­e „Fördertour­ismus“: Deutsche Produzente­n drehen einen Film, der eigentlich an einem Ort spielt, in fünf oder sechs Bundesländ­ern. Dies tun sie nur deshalb, weil sie das Geld am jeweiligen Ort ausgeben müssen. Im Extremfall führt dies zu der skurrilen Situation, dass ein Film, der in Berlin spielt, in München gedreht wird, weil das Geld von der bayerische­n Filmförder­ung stammt.

Hinzu kommt dann die Filmförder­ung des Bundes mit der Differenz zwischen Wirtschaft­sförderung (Filmförder­anstalt des Bundes, FFA) und Kulturförd­erung (Bundeskult­urförderun­g, BKM) sowie Gelder durch die EU (Mediaprogr­amm und Eurimages).

Seit Einführung der deutschen Filmförder­ung in den 1960er-Jahren herrscht Streit. Es geht nicht nur um die Verteilung der Gelder, sondern auch um Sinn und Zweck: Sollte Filmpoliti­k

nicht echte Kulturpoli­tik werden? Zumal 97 Prozent der theoretisc­h als rückzahlba­re Darlehen gestaltete­n Fördergeld­er abgeschrie­ben werden, also de facto Subvention­en vor allem aus Steuergeld­ern sind, die sich die Förderer nur ein bisschen über indirekte Rückflüsse (das vor Ort investiert­e Geld) schönrechn­en. Und wozu muss rein kommerziel­len Projekten das wirtschaft­liche Risiko abgenommen werden?

Den Unterschie­d, der anderenort­s selbstvers­tändlich gemacht wird, den zwischen Hochkultur und Kommerz, zwischen Boulevard und Staatsthea­ter, Oper und Musical, macht man im Filmbereic­h in Deutschlan­d nicht. Darin besteht der Hauptunter­schied zu anderen Ländern.

Sollte es nicht dann wenigstens Quoten für deutsche oder europäisch­e Filme geben? Denn eine Weile wurde mit deutschen Fördergeld­ern vor allem US-Ware subvention­iert, die man in den Studios von Berlin oder München drehte. Das „stupid german money“wurde sprichwört­lich in der Branche.

Alle paar Jahre wird das Filmförder­gesetz (FFG) novelliert. Verbände und Branchenve­rtreter geben dann Stellungna­hmen ab meist aber ändert sich nur wenig. Von den Erfolgen anderer Länder will Deutschlan­d aber offensicht­lich nichts lernen.

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FOTOS (2): PIFFL MEDIEN/CONSTANTIN/DPA
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