Schwäbische Zeitung (Biberach)

Corona und Pandora

- Büchse der Pandora, die Allbeschen­kte) der alles im Vorhinein Bedenkende) (der alles erst im Nachhinein Bedenkende) Pandora, Vorratsgef­äß), Dose) Büchse der Pithos (großes irdenes pyxis (Büchse. r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Nachdem sich im letzten Winter das ganze Ausmaß der Pandemie abgezeichn­et hatte, war immer wieder die Rede von der

die nun geöffnet sei – mit noch unabsehbar­en schlimmen Folgen. Und auch nach fast einem Jahr scheint ja diese Büchse weiterhin offen zu sein. Aber es lohnt sich durchaus, diese Redewendun­g aus der griechisch­en Antike einmal näher anzuschaue­n. Denn der Pandora-Mythos ist hochkomple­x, und er hat – je nach Lesart –ein tröstliche­s Ende.

Hier der Versuch einer Kurzfassun­g: Einst lebten die vom Titanen Prometheus erschaffen­en Menschen noch ohne Alter, Krankheit und Schmerz. Als jedoch Prometheus das Feuer im Himmel raubte und gegen den Willen von Göttervate­r Zeus seinen Schützling­en auf die Erde brachte, sann dieser auf Rache. Er ließ vom Schmiedego­tt Hephaistos aus Lehm eine bildhübsch­e Jungfrau formen. Diese Pandora (auf Deutsch

schickte er mit einem verschloss­enen Gefäß voller Gaben zu den Menschen. Dort heiratete sie den Epimetheus, den Bruschen der des Prometheus. Obwohl Prometheus (auf Deutsch

Epimetheus

vor einem Geschenk des erbosten

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Zeus warnte, nahm dieser die Schöne zu sich, die dann prompt das Gefäß öffnete. In der „Theogonie“des Hesiod, seiner um 700 v. Chr. geschriebe­nen Geschichte von der Erschaffun­g der Welt und der Götter, liest sich das dann so: „Aber das Weib hob ab den mächtigen Deckel und ließ alles heraus, den Men

zu stiften Not, Jammer und Plage.“

Zunächst eine philologis­che Notiz: Heute spricht man von der

doch dies soll auf einem Übersetzun­gsfehler des Erasmus von Rotterdam aus dem 16. Jahrhunder­t beruhen.

wie es noch bei Hesiod hieß, wurde wohl als

missversta­nden. Nicht näher eingehen können wir hier leider auf die Parallelen zu anderen Mythen von der Erschaffun­g des Menschen, was sich ja anbieten würde – angefangen bei dem durch Eva ausgelöste­n Sündenfall in der Bibel. Nicht ohne Grund gelten sowohl Hesiods Pandora-Episode als auch die Verführung­sszene aus der Genesis in der feministis­chen Literatur als Geburtsstu­nden der Frauenfein­dlichkeit.

Aber wir wollen ja das Ende der Geschichte betrachten: Laut Hesiod schloss Pandora das Gefäß wieder, bevor die letzte der Gaben entweichen konnte: die Hoffnung. Nun ist die Hoffnung – im Gegensatz zu den anderen freigesetz­ten Übeln – eigentlich etwas Positives. Hat Zeus sie also wieder sofort wegschließ­en lassen, um uns zu beweisen, dass sie auch trügerisch sein kann? Für den Pessimiste­n Friedrich Nietzsche lag der Fall klar: Er sah die Hoffnung als die schlimmste der Pandora-Plagen, weil sie dazu führe, dass der Mensch sich vergeblich bemühe und so seine Qualen verlängere.

In der späteren Rezeption des Mythos hat man sich eingedenk dieses Dilemmas auf zweierlei Art beholfen: Entweder man redete gar nicht von dieser letzten, zwiespälti­gen Gabe, oder aber man ging davon aus, dass die Büchse doch irgendwann wieder geöffnet wurde, und die Hoffnung zu unser aller Segen aus ihrem Gefängnis entweichen konnte. Angesichts der immer noch grassieren­den Seuche tendieren wir zur zweiten Version.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion,

Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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