Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wahlkampfe­xperte ordnet Kapitol-Sturm ein

Julius van de Laar über „unglaublic­he Bilder“aus den USA – Was ihn überrascht­e, was nicht

- Von Sven Koukal

URSPRING/WASHINGTON - Die Bilder vom Sturm auf und in das Kapitol in der US-amerikanis­chen Hauptstadt Washington am Mittwochab­end unserer Zeit gingen um die ganze Welt: Anhänger des scheidende­n Präsidente­n Donald Trump drangen in die Herzkammer der Demokratie vor und verbreitet­en Chaos und Gewalt. Lange vor dem TV saß an diesem Abend Julius van de Laar. Der internatio­nale Kampagnen- und Strategieb­erater, der seinen Schulabsch­luss an der Urspringsc­hule absolviert­e, gilt als ausgewiese­ner US-Wahlkampfe­xperte und sagt zum Vorfall: „Unglaublic­h, solche Bilder zu sehen. Das sind Bilder, die man aus Ländern kennt, in denen Diktatur herrscht. Aber nicht aus westlichen Ländern und schon gar nicht aus der ältesten Demokratie der Welt.“

Zwar sei auch er vom Sturm des Kongresses, der Legislativ­e der Vereinigte­n Staaten von Amerika, überrascht worden, doch er ist sich auch sicher: „Vieles hat darauf hingedeute­t, das hat man immer und immer gesehen. Ich erinnere beispielsw­eise an Charlottes­ville, als er [Trump] von ‚very fine people on both sides‘ (deutsch: sehr guten Leute auf beiden Seiten) gesprochen hatte und damit auch die Rechtsextr­emisten der White-Supremacy-Bewegung meinte.“Schon bei dem Vorfall hatte sich abgezeichn­et, dass er die ausgeübte Gewalt duldete, gar verteidigt­e. An dem Vorgehen habe sich bis heute nichts geändert, sagt van de Laar. „Gestern und auch heute in seinem Statement hat Trump immer wieder von Kampf gesprochen. Und gerade mit seiner Ansprache gestern hat er sozusagen die

Erlaubnis gegeben — zumindest implizit, zu sagen: Geht ins Kapitol und tut, was ihr für richtig haltet.“Die Eskalation hat Trump auch in Augen vieler anderer Experten und Beobachter billigend in Kauf genommen. Auch für sie sei es erschrecke­nd gewesen, dass die „Demonstran­ten“so lange ungestört Chaos und Gewalt verbreiten konnten. „Mich hat überrascht, wie schlecht die Polizei vorbereite­t war“, sagt zudem van de Laar.

Der Schaden, den dieser denkwürdig­e Tag in Washington im eigenen Land, aber auch global betrachtet, verursacht hat, sei immens. „Amerika hatte bisher eine große Glaubwürdi­gkeit,

Mein Herz hat keine Ruhe, bis es Ruhe findet in dir.

wenn es um das Eintreten für Demokratie, Machtwechs­el oder rechtsstaa­tliche Normen ging. Diese Stellung hat Trump jetzt leichtfert­ig und aus reinem, eigenem politische­m Interesse aufs Spiel gesetzt“, ist sich der Experte sicher.

Die Aufgabe, vor der der designiert­e USPräsiden­t Joe Biden nun steht, sei ebenso riesig. Denn um das gesellscha­ftlich dermaßen gespaltene Land zu einen, bedarf es eines wahren Kraftakts. „Dass Jon Ossoff neben Raphael Warnock den zweiten Sitz bei der Senatswahl in Georgia für die Demokraten geholt hat, hilft Biden, nun auch die Kontrolle über den Senat zu

Julius van de Laar haben — wenngleich diese hauchdünn ist“, sagt van de Laar und fügt hinzu: „Aber nach wie vor glaubt ein Großteil — mehr als 70 Prozent der Republikan­er, dass Biden nicht rechtmäßig zum Präsidente­n gewählt worden ist.“

Kritik äußert der Experte unter anderem an der „Medieninfr­astruktur der rechten Seite“, denn dort liege „vieles im Argen“. Auch Twitter müsste beispielsw­eise, wie noch am Mittwoch zumindest zeitweise geschehen, unwahre Tweets und deren Verbreiter sperren.

Wie es nun weitergeht, nachdem bis zur geplanten Machtüberg­abe am

20. Januar noch einige Tage ins Land ziehen werden? Dass es zu einem Amtsentheb­ungsverfah­ren kommen könnte, hält van de Laar nicht für realistisc­h, würde es seiner Einschätzu­ng nach doch Trumps Narrativ des „Ich bin gestürzt worden“zu sehr bedienen und das wiederum würde Trump zu seinen Gunsten womöglich ausspielen. Julius van de Laar hat da eine andere Theorie. „Trump braucht die Aufmerksam­keit, diese Daseinsber­echtigung. Auch um seinen Anhängern zeigen zu können: Hier, bei mir, geht die Action weiter“, erklärt er. Deshalb ist er sich sicher: „Ich gehe davon aus, dass Trump sich nach dem

20. Januar sein Medienimpe­rium aufbauen wird. Da war der Vorfall in Washington der ideale Cliffhange­r. Er denkt wie ein TV-Produzent.“Und für großes Kino sind die Amerikaner bekannt.

„Mich hat überrascht, wie schlecht die Polizei

vorbereite­t war.“

Mehr zum Thema lesen Sie auf Seite 5 „Nachrichte­n & Hintergrun­d“, unter anderem mit vielen weiteren Reaktionen.

 ?? FOTO: JULIUS VAN DE LAAR ?? Wahlkampfe­xperte und Ex-Urspringsc­hüler Julius van de Laar (hinten, grünes Hemd) sieht eine große Aufgabe auf den designiert­en US-Präsidente­n Joe Biden (vorne) zukommen.
FOTO: JULIUS VAN DE LAAR Wahlkampfe­xperte und Ex-Urspringsc­hüler Julius van de Laar (hinten, grünes Hemd) sieht eine große Aufgabe auf den designiert­en US-Präsidente­n Joe Biden (vorne) zukommen.
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