Schwäbische Zeitung (Biberach)
Auswanderin erfindet sich in der Krise neu
Die Ringschnaiterin Claudia Dobler erzählt, was ihr Studium mit fehlenden Touristen in Spanien zu tun hat
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BIBERACH - Zwischen Ungewissheit und Neuanfang – mit diesen Worten lässt sich die Gefühlslage der Ringschnaiterin Claudia Dobler zusammenfassen. Seit 2003 lebt sie in Spanien und arbeitet in der Region Sevilla als Fremdenführerin. Die CoronaPandemie traf die 46-Jährige unmittelbar, weil von heute auf morgen die Touristen weg waren. Vor diesem Hintergrund hat sie für sich beschlossen, in der Krise auch eine Chance für eine berufliche Veränderung zu sehen. Lesen Sie hier, wie Corona das Leben der Auswanderin veränderte:
„Meinen ganz persönlichen Corona-Schockmoment erlebte ich im Juli auf der spanischen Autobahn A 7. Mit meinem Mann und meinen beiden Kindern war ich im Auto in Richtung Deutschland unterwegs. Fliegen konnten wir nicht, weil es kaum Flugverbindungen gegeben hatte. Also setzten wir uns ins Auto. Im Sommer ist die A 7, die Mittelmeer-Autobahn, eigentlich vollkommen überfüllt. Stoßstange an Stoßstange geht es auf der Strecke während der Urlaubssaison nur langsam voran. Doch diesmal war das Gegenteil der Fall – wir hatten freie Fahrt. Klar, darüber hätte ich mich freuen können. Mir wurde in diesem Moment aber bewusst: Die Bewältigung der Krise wird lange dauern.
Wann kehren die Touristen wieder nach Spanien zurück? Wann steuern wieder mehr Flieger Andalusien an? Wann werde ich als Fremdenführerin den königlichen Palast wieder Besuchern zeigen dürfen? Auf diese Fragen weiß ich jetzt, zum
Jahreswechsel, keine Antwort. An der Ungewissheit ändert auch der Impfstoff wenig. Es wird Zeit brauchen, bis der internationale Tourismus wieder in die Gänge kommt. Und es gibt schon jetzt Anzeichen, dass manches nicht mehr so wie vor Corona sein wird. So ist zum Beispiel das Sicherheitskonzept für den königlichen Palast verschärft worden. Mit einer Gruppe von 25 bis 30 Personen bin ich bisher durch die Räume und Anlagen gegangen. Künftig müssen die Gruppen kleiner sein. Was bedeutet das für die Rentabilität von Gruppenreisen? Wird es die überhaupt noch so geben?
Um die Zeit ohne Arbeit zu nutzen, bin ich seit Herbst an der Universität Sevilla eingeschrieben. Kaum hatten die Vorlesungen begonnen, kam ein erneuter Lockdown, der zwar nicht mehr so streng wie im Frühjahr war, aber trotzdem den Alltag stark einschränkte. Seitdem finden die Vorlesungen online statt. Ich absolviere ein einjähriges Masterprogramm für das Lehramt in Geografie und Geschichte, um danach an einer Privatschule unterrichten zu können. In Spanien geht das einfacher als in Deutschland. Ich habe mich dazu entschlossen, damit ich ein zweites Standbein habe und damit nicht nur vom Tourismus abhängig bin.
Anfangs war es komisch, wieder in einer Vorlesung zu sitzen. Mit Block und Stift saß ich da, während die Jüngeren alles in den Laptop tippten. Mittlerweile habe ich mich gut eingefunden und vor Weihnachten die ersten Prüfungen geschrieben. In meinem Studiengang sind einige Mitstreiter, die zuvor ebenfalls in der
Tourismusbranche gearbeitet haben und wegen der Pandemie versuchen, umzusatteln. Sorgen, danach keinen Job zu finden, mache ich mir keine. Ich war schon einmal im Bildungssektor tätig, sodass ich mir durchaus Chancen ausrechne. Zudem nutzt mir der Masterstudiengang auch in meiner Arbeit als Fremdenführerin, weil ich in diesem Beruf viele Schulklassen führe. Die Zeit wird zeigen, wie es weitergeht. Ziel ist, dass ich mein Studium im Sommer erfolgreich beende.
Besonders vermisst habe ich in diesem Jahr Freunde – und Umarmungen. Immer auf Abstand, keine Nähe – das ist nur schwer zu ertragen. Auch fehlte mir, gerade jetzt im zweiten Shutdown, raus in die Natur zu können. Ich möchte nicht klagen, aber sich nur innerhalb seiner Gemeinde mit viel Asphalt bewegen zu dürfen, strengt an. Ich hoffe, wir bleiben auch im neuen Jahr gesund.
Weihnachten haben wir im kleinsten Familienkreis verbracht, alles andere ging einfach nicht. Ausfallen wird die beliebte Parade der Heiligen Drei Könige. Am 5. Januar ziehen sie auf großen Wagen, ähnlich wie die Narren beim Rosenmontagsumzug, durch die Straßen, um Süßigkeiten oder kleine Geschenke an die Kinder zu verteilen. Meine beiden Kinder sind mit zehn und 14 Jahren zum Glück aus dem Alter raus, sodass ich keine Tränen trocknen muss. Die Veranstalter haben sich eine Alternative überlegt. So sollen die Heiligen Drei Könige im Heißluftballon einschweben. Familien sollen sie von ihren Dachterrassen aus sehen können. Das könnte ein schöner und hoffnungsvoller Moment werden.“