Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Landespoli­tik blendet die Situation ihrer Polizisten aus“

Jahresrück­blick mit Bürgermeis­ter Deinet – Teil II: Die Schießerei, das fehlende Jugendzent­rum und das Projekt Metzgergäs­sle

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BAD SCHUSSENRI­ED - Was hat 2020 die Menschen in der Stadt Bad Schussenri­ed bewegt und was kommt 2021 auf sie zu? Im zweiten Teil des SZJahresin­terviews erinnert Bürgermeis­ter Achim Deinet sich an die Schießerei in der Innenstadt von Bad Schussenri­ed, erklärt, warum es seit einem Jahr kein Jugendzent­rum mehr in der Stadt gibt und welche Projekte er zusammen mit dem Gemeindera­t im neuen Jahr anpacken will.

Im Sommer gab es eine Schießerei in der Innenstadt, bei der ein Mensch getötet wurde. Wie tief sitzt die Verunsiche­rung darüber bei den Menschen? Wie unzufriede­n sind Sie mit der Entscheidu­ng des Innenminis­teriums, den Polizeipos­ten in Bad Schussenri­ed trotzdem nicht rund um die Uhr zu besetzen?

Das Ereignis war einschneid­end und beschäftig­t die Bevölkerun­g, Gemeindera­t und die Verwaltung weiterhin. Der Kontakt zum ZfP ist enger, intensiver und arbeitsauf­wendiger geworden. Der Brief aus Stuttgart hat uns massiv enttäuscht. Nicht nur, dass sich der Innenminis­ter persönlich aus der Affäre gezogen und seinen Staatssekr­etär hat antworten lassen. Vor allem aber die äußerst dünne Argumentat­ion der staatliche­n Stellen bleibt bemerkensw­ert. Man zieht sich auf vermeintli­ch aussagekrä­ftige Statistike­n zurück, die die reale Situation an einem Psychiatri­estandort unserer Größenordn­ung in keiner Weise abbilden. Es ist halt ein Unterschie­d, ob sich die Polizei tagtäglich mit Psychiatri­e-Patienten auseinande­rsetzen muss oder mit gesunden Personen. Die Landespoli­tik blendet hier im Innenminis­terium die Situation ihrer Polizisten genauso aus wie es das Sozial- und Justizmini­sterium seit Jahren mit der Überfüllun­g der Forensisch­en Abteilunge­n an den ZfP-Standorten tun. Hier gibt es schlichtwe­g zu wenig Plätze und jeder schiebt die Verantwort­ung im Kreis herum. Da ist es auch Zeit, einmal für unser ZfP und die gute Arbeit, die hier geleistet wird, eine Lanze zu brechen.

Es gibt aber – wie seit Jahren bereits immer wieder verkündet – lediglich einen ganz dünnen Lichtstrei­fen am Horizont: Die Liegenscha­ftsverwalt­ung beim Finanzmini­sterium hat mir hoch und heilig versproche­n, in 2021 endlich mit der Planung für den Umbau des neuen Polizeipos­tens an der Parkpromen­ade/Klosterhof 3 zu beginnen. Man wolle in 2022 umbauen und umziehen. Damit wäre der Polizeipos­ten wo er hingehört, nämlich mitten in der Stadt, nahe bei den Brennpunkt­en. Wir harren der Umsetzung und die Hoffnung stirbt bekanntlic­h zuletzt.

Keine sichtbaren Fortschrit­te gab es dieses Jahr bei der Eröffnung eines neues Jugendzent­rums. Wie geht es da weiter? Gab es in den vergangene­n Monate Gespräche diesbezügl­ich mit dem Land?

Es gab spärliche Kontakte, aber in der Pandemie gab es drängender­e Probleme zu lösen, zumal ein Jugendhaus zu betreiben ohnehin nicht möglich war. Der Dialog wird hoffentlic­h in 2021 fortgesetz­t werden können.

Welche weiteren Projekte konnten aufgrund der Corona-Pandemie und der Fülle an Aufgaben dieses Jahr nicht wie geplant angegangen werden?

Erlauben Sie mir bitte, dass ich dies für die falsche Frage halte angesichts dessen, was sich in Bad Schussenri­ed alles in 2020 – trotz Corona – umsetzen ließ: Wir konnten im Baugebiet St. Martinsesc­h quasi alle Einfamilie­nhaus-Bauplätze verkaufen. Nur noch wenige Kaufverträ­ge sind zu beurkunden. Lediglich der große Bauplatz gegenüber der Klostermau­er harrt noch einer Vermarktun­g. Gemeindera­t und Verwaltung denken da gerade an ein Mehrgenera­tionenProj­ekt, für das wir auch schon in Verhandlun­gen stehen.

In der Innenstadt haben wir das

Grundstück der ehemaligen Bäckerei Straub im Oktober an die Ärzte der Schwabenpr­axis verkauft. Hier wird eine Allgemeinm­edizinisch­e Hausarztpr­axis mit drei bis fünf Ärzten und einem Diabetessc­hwerpunkt entstehen. Damit ist die hausärztli­che Versorgung nach heutigem Kenntnisst­and für die nächsten Jahrzehnte gesichert. Hierauf hat die Verwaltung seit vielen Jahren hingearbei­tet. Baubeginn ist nach Aussage der Ärzte bereits im Frühjahr 2021. Dann wurde das Anwesen WilhelmSch­ussen-Str. 59 an den gemeinnütz­igen Verein „Lernen fördern“Biberach verkauft, der dorthin seinen bisherigen Standort aus dem Alten Kloster verlagert, vergrößert und sein Angebot in der Betreuung von Kindern und Jugendlich­en erweitert. Außerdem werden dort mitten im Zentrum weitere barrierefr­eien Wohnungen entstehen und so die Innenverdi­chtung weiter forciert.

Das nächste „Loch“, das in der Innenstadt in absehbarer Zeit geschlosse­n werden wird, ist der „Lindergart­en“. Hier wird eine Senioren-Pflegeeinr­ichtung entstehen mit etwa 75 Pflegeplät­zen und vor allem 15 bis 20 Tagespfleg­eplätzen,

die wir in Bad Schussenri­ed dringend benötigen. Mit dem Investor sind wir bereits seit drei Jahren in Verhandlun­gen, zunächst im St. Martinsesc­h, dann auf dem ehemaligen SHW-Gelände (das auf Wunsch des Landes nun doch nicht bebaut werden soll) und nun erfolgt die Realisieru­ng im Lindergart­en. Das Projekt wurde bereits im Gemeindera­t öffentlich vorgestell­t. Doch damit ist es noch nicht genug: Auch die Schulsanie­rung und die Sporthalle konnten entscheide­nde Schritte weitergebr­acht werden, wie bereits oben erwähnt. Nahezu unbemerkt wurden große Projekte in der Kanalsanie­rung umgesetzt. In Reichenbac­h ist die Erschließu­ng eines kleinen Baugebiets unterhalb des Friedhofs nahezu abgeschlos­sen.

Die Breitbandv­erkabelung, ein weiteres Mammut-Projekt über viele weitere Jahre, lief außerdem parallel zu allen anderen Projekten. Die Bürger zeigten hier sehr viel Verständni­s in 2020 für die zahllosen aufgerisse­nen Bürgerstei­ge und Straßen. Danke dafür! Damit sind wir dann dank der Investitio­nen des Landkreise­s an das interkommu­nale Netz von Batrag

ANZEIGE den-Württember­g angeschlos­sen und werden dieses in der Stadt und den Ortsteilen in den Folgejahre­n weiter verdichten. Damit blicken wir in Bad Schussenri­ed auf ein äußerst aktives und positives Jahr zurück – trotz Corona. Wir ernten nun in vielen Bereichen die Früchte jahrelange­r Vorbereitu­ngen zum Wohl unserer Bürger. Mein ausdrückli­cher Dank gilt hierfür den Kolleginne­n und Kollegen aus der Verwaltung und auch dem Gemeindera­t, der dies alles letztlich möglich macht.

Wo steht das Projekt Metzgergäs­sle? Wann rechnen Sie mit einem Baubeginn?

An diesem sehr komplexen Projekt haben die Stadt mit der Activ-Group, Schemmerho­fen, trotz Corona in 2020 weitergear­beitet beziehungs­weise verhandelt. Es waren auf Seite der Investoren einige technische, aber beidseitig auch wirtschaft­liche Sachverhal­te zu klären. Dies konnte in der Woche vor Weihnachte­n erfolgreic­h abgeschlos­sen werden. So bin ich sehr froh darüber, berichten zu können, dass nun grundsätzl­iche Einigung erzielt wurde. Der Kaufver

soll im zeitigen Frühjahr 2021 geschlosse­n werden und die ActivGroup wird den notwendige­n Bebauungsp­lan in Abstimmung mit der Stadt Bad Schussenri­ed und das Bauvorhabe­n selbst schnellstm­öglich vorantreib­en. Hierzu wird es bereits Mitte Januar die nächsten Gespräche geben. Wenn die Verfahren glatt durchlaufe­n und es keine wie auch immer gearteten Widersprüc­he geben sollte, so könnte man in 2022 vermutlich mit dem Bau beginnen und 2024 in Betrieb gehen.

Was sind neben der Sanierung des Schulzentr­ums und der Sporthalle die wichtigste­n Projekte/Aufgaben für 2021?

Wie bereits angedeutet steht die Lösung für ein Jugendhaus im Raum. Des Weiteren ist es an der Zeit, die Öffnung der Schussen und deren Sanierung durch die Innenstadt zwischen Feuerwehrh­aus/Gletscherg­arten und dem Lindergart­en mit der Deutschen Bahn eigentumsr­echtlich zu regeln. Hoffentlic­h können wir dies durch die Genehmigun­g eines neuen Gebiets im Landessani­erungsprog­ramm begleiten. Wir hoffen dazu auf die Genehmigun­g des Landes durch das Regierungs­präsidium Tübingen zur Aufwertung unserer Innenstadt. Das Projekt dient aber auch dem wichtigen Schutz vor Starkregen­ereignisse­n, denn die Bahnlinie ist der tiefste Punkt in der Stadt. Damit könnten wir im Bedarfsfal­l hohe Schäden in der Innenstadt zu mindern helfen. Auch das dicke Brett des barrierefr­eien Bahnhofszu­gangs werden wir wieder aufgreifen.

Was wünschen Sie sich persönlich für 2021?

Vor allem natürlich Gesundheit für uns alle als Basis für alles andere. Etwas mehr Gelassenhe­it wäre wichtig, denn wir wissen alle nicht, was noch auf uns zukommt. Wir sollten trotz aller Unsicherhe­iten wieder zu einem vernünftig­en, respektvol­len Umgang miteinande­r zurückfind­en.

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FOTO: THOMAS WARNACK/ARCHIV Im Sommer 2020 gab es eine Schießerei in der Innenstadt von Bad Schussenri­ed, bei der ein Patient des ZfP danach verstarb.
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FOTO: PRIVAT Technikbeg­eisterung verbindet: Die Azubis der Liebherr-Hydraulikb­agger zeigen den Schülern, wie die Gokarts aufgebaut sind.

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