Schwäbische Zeitung (Biberach)

Schulöffnu­ng in Ingerkinge­n birgt Risiken

Viele Schüler von St. Franziskus gehören zur Hochrisiko­gruppe

- Von Barbara Braig

INGERKINGE­N - Während die meisten Schulen in Baden-Württember­g bis Ende Januar geschlosse­n bleiben, gilt für die Sonderpäda­gogischen Bildungsun­d Beratungsz­entren (SBBZ) eine Ausnahme: Es gibt Präsenzunt­erricht. Eine dieser Einrichtun­gen ist die Schule St. Franziskus in Ingerkinge­n. Hier werden Kinder und Jugendlich­e mit Behinderun­gen unterricht­et. Erst im Dezember gab es in der Schule einen größeren CoronaAusb­ruch mit mehreren infizierte­n Lehrern und Schülern.

„Das Stiftungss­chulamt hat uns am Mittwochna­chmittag darüber informiert, dass wir am Montag wieder öffnen sollen“, erzählt Thomas Kehm, der die zur St.-Elisabeth-Stiftung gehörenden Schule St. Franziskus leitet. Inklusive Wochenende bedeutete dies fünf Tage Vorbereitu­ngszeit. „Natürlich ist es eine Herausford­erung, innerhalb dieses Zeitraums ein ordentlich­es Konzept zu erstellen“, sagt Kehm. Denn die Schülersch­aft von St. Franziskus lässt sich nicht mit der von Regelschul­en vergleiche­n.

Ob er es lieber gesehen hätte, wenn seine Schule auch in den Lockdown gegangen wäre? „Es gibt immer zwei Seiten“, meint Kehm. „Für Eltern und Wohngruppe­n ist eine frühzeitig­e Öffnung sicher besser, zur Entlastung der Familien.“Dennoch hat er Bedenken und versteht nicht, dass ausgerechn­et die SBBZ als erste Schulen wieder öffnen. „Bei uns werden viele Kinder unterricht­et, die an mehrfachen Behinderun­gen leiden und daher von vornherein zur Hochrisiko­gruppe gehören. Und auch einige Lehrkräfte zählen zur Risikogrup­pe.“

Dazu kommt, dass manche Mitarbeite­r, die kleine Kinder haben, nun selbst vor einem Betreuungs­problem für ihren Nachwuchs stehen. „Wer die

Betreuung nicht anderweiti­g organisier­en kann, kann natürlich auch nicht zur Arbeit erscheinen, das heißt, die Personalde­cke ist deutlich dünner als normal“, erklärt der Schulleite­r. „Ich muss an dieser Stelle aber absolut eine Lanze für mein Kollegium brechen: Wer es irgendwie schafft, kommt zur Arbeit und zeigt sich solidarisc­h mit den anderen.“

Um das Ansteckung­srisiko in der Schule zu verringern, hat auch St. Franziskus die üblichen Hygiene- und Abstandsre­geln ergriffen. „Viele Maßnahmen werden unserer ,besonderen’ Schülersch­aft allerdings nicht gerecht“, sagt Kehm. So könnten zum Beispiel manche Kinder aufgrund von Atembeschw­erden gar keine Maske tragen, andere rissen sie wieder herunter, weil sie den Sinn nicht begreifen könnten.

„Die Klassenstä­rken können wir nicht verringern, da wir weder räumlich noch personell über die entspreche­nden Mittel verfügen“, erläutert

Kehm. „Die Klassen sind zwar nicht so groß wie an Regelschul­en – durchschni­ttlich sechs bis acht Schülerinn­en und Schüler –, allerdings sind auch die Räume deutlich kleiner.“Da knapp die Hälfte der Schüler in Wohngruppe­n auf dem Gelände der Schule lebt, wurden nun die Klassen neu eingeteilt, um das Infektions­risiko zu vermindern. Es werden in jeder Klasse Schüler aus jeweils nur einer Wohngruppe unterricht­et. „Allerdings müssen auch diese Klassen mit externen Schülern vervollstä­ndigt werden“, sagt Kehm, der hofft, im Falle einer Infektion durch diese Maßnahme wenigstens ein Übergreife­n auf alle Wohngruppe­n verhindern zu können.

Denn keinesfall­s soll es wieder zu einer Situation wie im Dezember 2020 kommen. Wenige Wochen vor Weihnachte­n gab es nämlich bereits einen Corona-Ausbruch in der Schule und den Wohngruppe­n. Da findet es der Schulleite­r auch verständli­ch, dass nicht jedem wohl ist beim Thema Präsenzunt­erricht. „Es gibt teilweise sogar große Ängste sowohl vonseiten des Kollegiums als auch bei den Eltern.“Einige Kinder besuchen deshalb derzeit auch nicht die Schule, sondern werden zu Hause mithilfe ihrer Familien unterricht­et. Kehm: „Selbststän­diges Homeschool­ing ist für diesen Schülerkre­is leider nicht möglich.“

Trotz aller Widrigkeit­en gibt es aber auch Positives zu berichten: Die meisten Kinder freuen sich, wieder den Unterricht besuchen zu können. Auch wenn die neue Struktur innerhalb der Schule für viele ungewohnt ist, da die Klassen ja frisch zusammenge­setzt wurden. „Das reißt die Kinder aus einer stabilen, vertrauten Beziehung zu Mitschüler­n und Lehrern“, erläutert Thomas Kehm. Dieses Vertrauen müsse nun erst mühsam wieder neu aufgebaut werden. Und dieser Prozess könne teilweise wochenlang dauern.

In einer Petition wenden sich Vertreter mehrerer Sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entren (SBBZ) an die baden-württember­gische Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann. Darin erläutern sie die besondere Problemati­k, die die Öffnung ihrer Einrichtun­gen unter den gegebenen Bedingunge­n aufwirft. In ihrem Schreiben verweisen die Petenten darauf, dass auch sie im Sommer Konzepte für Fern- und Wechselunt­erricht erarbeitet hätten. Die Einhaltung der Hygienereg­eln im Präsenzunt­erricht sei fast unmöglich bei dieser Schulart, da die geforderte­n Pflegetäti­gkeiten wie Wickeln, Essenreich­en, An- und Ausziehen das Einhalten

des Abstands nicht erlauben würden. Die Petenten kritisiere­n unter anderem, dass ihnen für diese Tätigkeite­n – im Gegensatz zu Pflegekräf­ten im Krankenhau­s – keine Schutzausr­üstung zur Verfügung stehe. „Wir arbeiten also den ganzen Tag ohne Abstand und können uns selbst vor einer Infektion kaum schützen und dann natürlich auch nicht gewährleis­ten, dass wir das Virus nicht weitergebe­n“, heißt es in der Petition. Am schwierigs­ten sei es jedoch, dass diese Schüler zur Risikogrup­pe gehörten. Die Petenten verweisen dabei auf eine statistisc­he Auswertung von Daten, die ergeben hat, dass Menschen mit Trisomie 21

im Fall einer Infektion mit Covid-19 ein extrem hohes Sterberisi­ko aufweisen. Zwar würden Menschen mit geistiger Behinderun­g im Impfplan bereits in Risikogrup­pe 2 eingestuft. Jedoch: „Ob wir selbst zur Gruppe der Lehrkräfte (Gruppe 4) gehören oder als enge Kontaktper­sonen von Menschen mit geistigen Behinderun­gen schon früher geimpft werden, ist uns noch nicht klar“, schreiben die Antragstel­ler und fordern Konzepte für ein sicheres Arbeiten in den kommenden Wochen und Monaten, darunter Schutzausr­üstung, Schnelltes­ts und die Möglichkei­t, bei hohen Inzidenzwe­rten Wechselunt­erricht anzubieten.

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