Schwäbische Zeitung (Biberach)
Schulöffnung in Ingerkingen birgt Risiken
Viele Schüler von St. Franziskus gehören zur Hochrisikogruppe
●
INGERKINGEN - Während die meisten Schulen in Baden-Württemberg bis Ende Januar geschlossen bleiben, gilt für die Sonderpädagogischen Bildungsund Beratungszentren (SBBZ) eine Ausnahme: Es gibt Präsenzunterricht. Eine dieser Einrichtungen ist die Schule St. Franziskus in Ingerkingen. Hier werden Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unterrichtet. Erst im Dezember gab es in der Schule einen größeren CoronaAusbruch mit mehreren infizierten Lehrern und Schülern.
„Das Stiftungsschulamt hat uns am Mittwochnachmittag darüber informiert, dass wir am Montag wieder öffnen sollen“, erzählt Thomas Kehm, der die zur St.-Elisabeth-Stiftung gehörenden Schule St. Franziskus leitet. Inklusive Wochenende bedeutete dies fünf Tage Vorbereitungszeit. „Natürlich ist es eine Herausforderung, innerhalb dieses Zeitraums ein ordentliches Konzept zu erstellen“, sagt Kehm. Denn die Schülerschaft von St. Franziskus lässt sich nicht mit der von Regelschulen vergleichen.
Ob er es lieber gesehen hätte, wenn seine Schule auch in den Lockdown gegangen wäre? „Es gibt immer zwei Seiten“, meint Kehm. „Für Eltern und Wohngruppen ist eine frühzeitige Öffnung sicher besser, zur Entlastung der Familien.“Dennoch hat er Bedenken und versteht nicht, dass ausgerechnet die SBBZ als erste Schulen wieder öffnen. „Bei uns werden viele Kinder unterrichtet, die an mehrfachen Behinderungen leiden und daher von vornherein zur Hochrisikogruppe gehören. Und auch einige Lehrkräfte zählen zur Risikogruppe.“
Dazu kommt, dass manche Mitarbeiter, die kleine Kinder haben, nun selbst vor einem Betreuungsproblem für ihren Nachwuchs stehen. „Wer die
Betreuung nicht anderweitig organisieren kann, kann natürlich auch nicht zur Arbeit erscheinen, das heißt, die Personaldecke ist deutlich dünner als normal“, erklärt der Schulleiter. „Ich muss an dieser Stelle aber absolut eine Lanze für mein Kollegium brechen: Wer es irgendwie schafft, kommt zur Arbeit und zeigt sich solidarisch mit den anderen.“
Um das Ansteckungsrisiko in der Schule zu verringern, hat auch St. Franziskus die üblichen Hygiene- und Abstandsregeln ergriffen. „Viele Maßnahmen werden unserer ,besonderen’ Schülerschaft allerdings nicht gerecht“, sagt Kehm. So könnten zum Beispiel manche Kinder aufgrund von Atembeschwerden gar keine Maske tragen, andere rissen sie wieder herunter, weil sie den Sinn nicht begreifen könnten.
„Die Klassenstärken können wir nicht verringern, da wir weder räumlich noch personell über die entsprechenden Mittel verfügen“, erläutert
Kehm. „Die Klassen sind zwar nicht so groß wie an Regelschulen – durchschnittlich sechs bis acht Schülerinnen und Schüler –, allerdings sind auch die Räume deutlich kleiner.“Da knapp die Hälfte der Schüler in Wohngruppen auf dem Gelände der Schule lebt, wurden nun die Klassen neu eingeteilt, um das Infektionsrisiko zu vermindern. Es werden in jeder Klasse Schüler aus jeweils nur einer Wohngruppe unterrichtet. „Allerdings müssen auch diese Klassen mit externen Schülern vervollständigt werden“, sagt Kehm, der hofft, im Falle einer Infektion durch diese Maßnahme wenigstens ein Übergreifen auf alle Wohngruppen verhindern zu können.
Denn keinesfalls soll es wieder zu einer Situation wie im Dezember 2020 kommen. Wenige Wochen vor Weihnachten gab es nämlich bereits einen Corona-Ausbruch in der Schule und den Wohngruppen. Da findet es der Schulleiter auch verständlich, dass nicht jedem wohl ist beim Thema Präsenzunterricht. „Es gibt teilweise sogar große Ängste sowohl vonseiten des Kollegiums als auch bei den Eltern.“Einige Kinder besuchen deshalb derzeit auch nicht die Schule, sondern werden zu Hause mithilfe ihrer Familien unterrichtet. Kehm: „Selbstständiges Homeschooling ist für diesen Schülerkreis leider nicht möglich.“
Trotz aller Widrigkeiten gibt es aber auch Positives zu berichten: Die meisten Kinder freuen sich, wieder den Unterricht besuchen zu können. Auch wenn die neue Struktur innerhalb der Schule für viele ungewohnt ist, da die Klassen ja frisch zusammengesetzt wurden. „Das reißt die Kinder aus einer stabilen, vertrauten Beziehung zu Mitschülern und Lehrern“, erläutert Thomas Kehm. Dieses Vertrauen müsse nun erst mühsam wieder neu aufgebaut werden. Und dieser Prozess könne teilweise wochenlang dauern.
In einer Petition wenden sich Vertreter mehrerer Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) an die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann. Darin erläutern sie die besondere Problematik, die die Öffnung ihrer Einrichtungen unter den gegebenen Bedingungen aufwirft. In ihrem Schreiben verweisen die Petenten darauf, dass auch sie im Sommer Konzepte für Fern- und Wechselunterricht erarbeitet hätten. Die Einhaltung der Hygieneregeln im Präsenzunterricht sei fast unmöglich bei dieser Schulart, da die geforderten Pflegetätigkeiten wie Wickeln, Essenreichen, An- und Ausziehen das Einhalten
des Abstands nicht erlauben würden. Die Petenten kritisieren unter anderem, dass ihnen für diese Tätigkeiten – im Gegensatz zu Pflegekräften im Krankenhaus – keine Schutzausrüstung zur Verfügung stehe. „Wir arbeiten also den ganzen Tag ohne Abstand und können uns selbst vor einer Infektion kaum schützen und dann natürlich auch nicht gewährleisten, dass wir das Virus nicht weitergeben“, heißt es in der Petition. Am schwierigsten sei es jedoch, dass diese Schüler zur Risikogruppe gehörten. Die Petenten verweisen dabei auf eine statistische Auswertung von Daten, die ergeben hat, dass Menschen mit Trisomie 21
im Fall einer Infektion mit Covid-19 ein extrem hohes Sterberisiko aufweisen. Zwar würden Menschen mit geistiger Behinderung im Impfplan bereits in Risikogruppe 2 eingestuft. Jedoch: „Ob wir selbst zur Gruppe der Lehrkräfte (Gruppe 4) gehören oder als enge Kontaktpersonen von Menschen mit geistigen Behinderungen schon früher geimpft werden, ist uns noch nicht klar“, schreiben die Antragsteller und fordern Konzepte für ein sicheres Arbeiten in den kommenden Wochen und Monaten, darunter Schutzausrüstung, Schnelltests und die Möglichkeit, bei hohen Inzidenzwerten Wechselunterricht anzubieten.