Schwäbische Zeitung (Biberach)
Jubiläumsfest der Bahnhofsmission fällt aus
Coronabedingt wurden die Festivitäten in Aulendorf verschoben, nun wird zum 80. Geburtstag gefeiert
AULENDORF (sz) - 75 Jahre ist es her, dass die Bahnhofsmission Aulendorf erstmals ihre Türen öffnete. Die Einrichtung nahm ihren Betrieb damals in Form der Einrichtung eines Übernachtungsheims für Frauen und Kinder auf. Von da an war und ist die Bahnhofsmission eine Helferin für Reisende und andere Menschen in Not. Eigentlich ein Grund zu feiern. Wie die Einrichtung aber mitteilt, wird das Jubiläumsfest wegen der Corona-Pandemie nun ganz ausfallen, nachdem die Feierlichkeiten bereits mehrmals verschoben werden mussten. Das Fest soll zum 80-jährigen Bestehen nachgeholt werden, teilt die Mission mit.
Die aktuelle Situation ist nicht die erste schwierige, die die Bahnhofsmission zu bewältigen hat, und so wirft sie einen Blick auf die Anfänge ihrer Arbeit: Eine schlimme Zeit, das Jahr 1945. Während europaweit die Menschen schon während des Krieges und der deutschen Besatzung größte Not litten, wurde in der schwäbischen Provinz das ganze Ausmaß des Elends erst mit dem Kriegsende und dem Zusammenbruch der Kriegswirtschaft offenbar. Zur materiellen Not kam die seelische: Angst vor den Besatzungsmächten; Unsicherheit über die Zukunft; Sorge um die Angehörigen, die vermisst wurden oder krank waren. Angaben der Bahnhofsmission zufolge war der Bahnknoten Aulendorf ein Brennpunkt dieser Not: Am 24. April 1945 nahmen französische und marokkanische Soldaten den Ort ein. „Täglich kamen Soldaten, Flüchtlinge und Ausgebombte an, ebenso bisherige Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Lagerinsassen. Wegen der kriegsbedingt zerstörten Infrastruktur und mangelnder Versorgung mit Kohlen mussten massenhaft Durchreisende in Aulendorf übernachten“, heißt es in der Pressemitteilung. Gaststätten, Pensionen und Notquartiere seien in den ersten Monaten und Jahren immer voll gewesen, manche Menschen hätten anfangs sogar auf den Gehsteigen geschlafen. Für Frauen und Kinder sei die Situation besonders prekär gewesen. „Wohl auf Initiative des Aulendorfer Stadtpfarrers Hetzler trafen sich Verantwortliche von Kirche und Kommune am 1. September 1945 mit Margarete Mayer vom Katholischen Mädchenschutzverein, um über die Gründung eines Übernachtungsheims für Frauen und Kinder zu sprechen. Schließlich wurde die gelernte Kinderkrankenschwester
Adelheid Kellermann dazu eingestellt, um sich um den Aufbau und die Betreuung des Heimes zu kümmern. Sie war somit die erste und langjährige Leiterin der Bahnhofsmission Aulendorf “, berichtet die Einrichtung weiter.
Zwei Tage vor der geplanten Eröffnung am 2. November 1945 beschlagnahmte die französische Militärregierung die bereits eingerichteten Räume im Wirtschaftssaal des Brauhauses. Auf Intervention des Landrats sei daraufhin im Post- und Telegrafenamt (ehemaliges NSDAPParteigebäude) ein kleiner Schlafsaal mit Stock- und Kinderbetten (20 Schlafplätze) sowie ein Zimmer für Leitung und Küche eingerichtet worden. Am 2. Januar 1946 wurde der Betrieb des Übernachtungsheims schließlich aufgenommen, nachdem im Dezember die Räume renoviert und bereits zuvor Teppiche, Kochgeschirr, Möbel, Lebensmittel und Heizmaterial gespendet worden waren. In den ersten Monaten sei der Schlafsaal ständig überfüllt gewesen; teilweise hätten die Menschen im Sitzen geschlafen.
Neben der Versorgung kümmerten sich die Helferinnen um das gesundheitliche Befinden der Frauen und Kinder, die durch Mangelernährung und Krankheiten geschwächt waren, und vor allem auch um deren seelisches Wohlergehen. Im Laufe des Jahres 1946 habe sich dann auch die „klassische“Hilfe der Bahnhofsmission für Reisende am Gleis etabliert. Erst nach der Währungsreform 1948, als die Übernachtungszahlen deutlich zurückgingen, sei das ihre vorrangige Aufgabe geworden. Im Januar 1949 wurde dann im Gasthaus Real ein Zimmer mit sechs Betten bezogen. Darüber, wann die Übernachtungen völlig eingestellt wurden, gebe es keine verlässliche Angabe.
„Wie so oft, waren die ersten Jahre die turbulentesten. Dennoch hat die Bahnhofsmission trotz aller Veränderungen nichts an ihrer Sinnhaftigkeit eingebüßt“, heißt es in der Pressemitteilung weiter.
So rückten im Laufe der Zeit immer wieder neue Personengruppen in den Fokus: Schüler, Gastarbeiter, Kurgäste, sozial Bedürftige, Spätaussiedler, DDR-Bürger oder Geflüchtete. Die Sorge um die materielle Not und das seelische Wohlbefinden der Menschen präge bis heute die Arbeit der Bahnhofsmission, die im August 1956 einen neuen Raum am Bahnhof bezog, der bis heute ihr Quartier ist.