Schwäbische Zeitung (Biberach)

Abgeschobe­n in ein fremdes Land

28 Jahre lang lebt ein Ehepaar in Oberschwab­en – Mit der Abschiebun­g in den Kosovo beginnt für die Großfamili­e ein Kampf

- Von Theresa Gnann

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ine Tasche mit Klamotten konnte seine Mutter noch eilig zusammenpa­cken. Dann brachten die Beamten sie und den Vater zum Flughafen. „Und von einem Tag auf den anderen waren sie plötzlich in einem fremden Land“, sagt Emre Gash. Seine Stimme überschläg­t sich, als er vom Schicksal seiner Eltern erzählt. Mehrmals sucht er nach Worten, immer wieder bleiben Sätze unvollende­t, wenn er erklären soll, wofür es aus seiner Sicht keine Erklärung gibt: Wieso sein Vater und seine Mutter im Oktober des vergangene­n Jahres plötzlich abgeschobe­n wurden. Nach 28 Jahren in Oberschwab­en.

Seine Eltern, Mire Gash und Sali Krasniqi, sind in Jugoslawie­n geboren, einem Land, das es schon lange nicht mehr gibt. Ihre Fluchtgesc­hichte beginnt im Juli 1992. Steffi Graf hatte gerade zum vierten Mal den Titel in Wimbledon geholt, als das Paar in Deutschlan­d einreist. Die Familie lebt zuerst für einige Jahre in Langenensl­ingen, ab 2009 in Riedlingen. Sechs Kinder, 17 Enkel, ein Urenkel und die Mutter von Mire Gash wohnen bis heute in nächster Umgebung. Sie arbeiten, gehen zur Schule, sprechen schwäbisch. „Die Abschiebun­g war für uns wie eine Herzattack­e“, sagt Gash.

Es dauert Tage, bis die Familie es schafft, Kontakt zu den Eltern aufzunehme­n. „Sie wurden völlig ihrem Schicksal überlassen. Es gibt im Kosovo niemanden, zu dem sie gehen können. Sie sind ganz allein“, sagt Gash. Die erste Nacht verbrachte das Ehepaar in der kosovarisc­hen Hauptstadt Pristina unter freiem Himmel. Ein hilfsberei­ter Taxifahrer nahm sie zwischenze­itlich bei sich auf – zumindest für einige Nächte. Inzwischen haben sie von den kosovarisc­hen Behörden eine Unterkunft zugeteilt bekommen. Nach Angaben des Sohnes ist es dort jedoch kaum auszuhalte­n.

„Es schimmelt, es tropft von der Decke und, um den Holzofen anzuheizen, müssen meine Eltern erst einmal Holz sammeln.“

„Katastroph­al“, nennt der

Sohn die Situation für seine kranken Eltern: Die Mutter leidet unter chronische­r Bronchitis und hat einen weiteren unklaren Lungenbefu­nd, der Vater hat Wasser in der Lunge, drei Stents am Herzen, ist Diabetiker und auf zahlreiche Medikament­e angewiesen. „Und jetzt stehen sie da, mitten in der Corona-Pandemie in einem fremden Land und können nicht einmal zum Arzt gehen, weil sie keine Papiere haben“, sagt Gash. „Das sind Vorgänge, die ich von einem Land wie Deutschlan­d nicht erwartet hätte. Das ist doch meine Heimat, ein gut funktionie­render Rechtsstaa­t. Da muss man doch etwas tun können.“

Formal, so scheint es, ist den deutschen Behörden nichts vorzuwerfe­n. Das Ehepaar habe mehrfach erfolglos Asylverfah­ren durchlaufe­n und sei seit 1997 zur Ausreise aus der Bundesrepu­blik verpflicht­et gewesen, schreibt Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) in einem Brief an die Landtagsab­geordneten Uli Sckerl und Daniel Lede Abal (beide Grüne). Den Angaben des Ministers zufolge lag zwischenze­itlich eine „Aufenthalt­serlaubnis auf Probe“vor. Eine Verlängeru­ng sei jedoch an der fehlenden Lebensunte­rhaltssich­erung sowie der Passlosigk­eit gescheiter­t. Anschließe­nd seien die Eheleute unter anderem wegen fehlender gültiger Reisedokum­ente im Bundesgebi­et geduldet worden. Zuletzt wurde dem Minister zufolge geprüft, ob eine Aufenthalt­serlaubnis wegen nachhaltig­er Integratio­nsleistung­en erteilt werden kann. Dies sei jedoch insbesonde­re an der „fehlenden Mitwirkung bei der Beschaffun­g eines gültigen Reisepasse­s“gescheiter­t.

Die Passbescha­ffung ist den Behörden deshalb wichtig, weil zuletzt viele Flüchtling­e ohne Papiere nach Deutschlan­d gekommen sind. Manche besaßen noch nie welche, andere haben sie auf der Flucht verloren oder weggeworfe­n

Emrach Gash, Sohn des abgeschobe­nen Ehepaares

– aus Angst, schneller abgeschobe­n zu werden. Bei Mire Gash und Sali Krasniqi ist der Fall etwas schwierige­r: Das Ehepaar besitzt seit 2012 die serbische Staatsbürg­erschaft, sollte sich aber den Behörden zufolge um kosovarisc­he Ausweisdok­umente bemühen, weil beide im heutigen Kosovo geboren wurden. Doch als serbischer Staatsbürg­er einen kosovarisc­hen Pass zu erhalten, ist kein leichtes Unterfange­n, wie Seán McGinley vom baden-württember­gischen Flüchtling­srat bestätigt. Seiner Meinung nach hätten die Behörden in diesem Fall von der Passbescha­ffung als Voraussetz­ung für eine Bleibepers­pektive absehen können – vor allem angesichts der Pandemiesi­tuation und des Gesundheit­szustands der Eheleute. „Die Behörden sagen in solchen Fällen gerne, sie könnten ja nicht anders, sie müssten ja die Gesetze durchsetze­n. Aber es hätte Möglichkei­ten gegeben, im Rahmen des geltenden Rechts den Leuten zu einem sicheren Aufenthalt zu verhelfen. Das setzt aber den entspreche­nden politische­n Willen voraus“, sagt McGinley. Ähnlich argumentie­ren auch die GrünenAbge­ordneten Lede Abal und Sckerl: „Diese Abschiebun­g war ein Fehler“, schreiben sie an Strobl. „Sie passt nicht zu den Grundüberz­eugungen, die wir in unserer Koalition gemeinsam vertreten.“

Doch Innenminis­ter Strobl will davon nichts hören. „Die schwierige Situation verkenne ich nicht“, schreibt er, „insbesonde­re, da es sich hier um ein speziell gelagertes Einzelschi­cksal handelt. Gleichwohl muss ich aber auch um Verständni­s für die Behörden bitten, die das bestehende Recht umzusetzen haben. Für mich ist nicht ersichtlic­h, dass die beteiligte­n Behörden unrechtmäß­ig gehandelt haben.“

Sckerl und Lede Abal äußern sich auf Nachfrage enttäuscht über die formalisti­sche Antwort aus dem Innenminis­terium und kündigen an, sich erneut für eine humane Lösung einzusetze­n. „Thomas Strobl redet beim Thema Abschiebun­gen immer von ‚Herz und Härte‘. Wir appelliere­n eindringli­ch an ihn, sich im Falle des älteren Ehepaars aus dem

Kreis Biberach ein Herz zu nehmen. Seit 28 Jahren leben die Krasniqis bei uns. Die gesamte engere Familie wohnt im Umfeld. Man schiebt ein Ehepaar, das hier alt und mittlerwei­le krank geworden ist, nach so vielen Jahren nicht in ein für sie fremdes Land ab. Sondern man sucht nach humanitäre­n Lösungen, um ihnen den weiteren Aufenthalt zu ermögliche­n.“

Dass das Ehepaar in ein Land abgeschobe­n wurde, dessen Staatsbürg­erschaft es nicht besitzt, ist für Dagmar Rüdenburg vom Interkultu­rellen Forum für Flüchtling­sarbeit in Biberach gar ein Völkerrech­tsbruch. In einem Schreiben hat sie sich deshalb unter anderem an Bärbel Kofler, die Menschenre­chtsbeauft­ragte der Bundesregi­erung, gewandt. „Jeder weitere Tag unter diesen Bedingunge­n gefährdet das Leben des Ehepaares“, schreibt Rüdenburg.

Und auch die Familie will noch nicht aufgeben. Beim Regierungs­präsidium Karlsruhe hat sie Ende Dezember einen Antrag auf sofortige Wiedereinr­eise gestellt. „Mit jedem Tag, der vergeht, wächst die Angst um unsere Eltern“, sagt

Emre Gash. „Wir fürchten, dass wir sie nicht mehr lebend wiedersehe­n.“

„Die Abschiebun­g

war für uns wie eine Herzattack­e.“

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FOTO: PR Mire Gash und Sali Krasniqi im Kosovo.

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