Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zukunft für den Einzelhandel ist düster
IHK Ulm rechnet damit, dass viele Unternehmer pleitegehen – Finanzielle Hilfe notwendig
●
BIBERACH - Die aktuellen Zustände für Einzelhändler und Gastronomen sind katastrophal. Die Lage im Corona-Lockdown spitzt sich immer weiter zu, viele Unternehmen kämpfen ums Überleben. Eine Wiedereröffnung oder zumindest eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Außerdem lassen die versprochenen finanziellen Hilfen von Bund und Land immer noch auf sich warten. Die Industrieund Handelskammer (IHK) Ulm schlägt jetzt Alarm und befürchtet, dass viele Unternehmer pleitegehen werden. Die Zukunft ist ungewiss, auch die des Biberacher Einzelhandels.
Friedrich Kolesch ist nicht nur Biberacher Einzelhändler, sondern auch Vizepräsident der IHK Ulm. Er blickt mit Sorge auf das aktuelle Geschehen: „Für viele Betriebe zählt jeder Tag. Denn nach dem herausfordernden Jahr 2020 ist das Eigenkapital vielfach aufgebraucht. Die Lage spitzt sich mit jedem Tag, den die Unternehmen geschlossen haben müssen, zu, obwohl diese hinreichend Hygienekonzepte entwickelt und umgesetzt haben und unter den Mitarbeitern praktisch keine Erkrankungen vorgekommen sind.“Insbesondere Teile des Handels – vor allem die Modebranche – sowie Gastronomie, Hotellerie und zahlreiche kleinere Dienstleister würden mit dem Rücken zur Wand stehen. „Wir befürchten, dass es zu vielen Pleiten kommen wird“, so Friedrich Kolesch. „Die Verlängerung des Lockdowns ist eine Katastrophe und für uns nur schwer nachvollziehbar.“
Was das künftig für die Innenstädte bedeutet, ist noch nicht absehbar. Von einem Aussterben der Innenstädte, will Josef Röll, Einzelhandelsund Innenstadtexperte bei der IHK Ulm, nicht sprechen, „Aber für den Einzelhandel in den Innenstädten ist es wichtig, dass die Kundschaft, die sich während des Lockdowns aus dem Internet versorgt hat, wieder in vollen Umfang zurückkommt.“Ein wichtiges Plus für die Innenstädte sei dabei die Kombination von Gastronomie und Handel. „Bei Städten wie Biberach kommen noch das attraktive Stadtbild und die gute Erreichbarkeit dazu“, so Röll.
Dennoch würden die Betriebe durch die Krise aktuell sehr geschwächt: „Das trifft auch die gesündesten Betriebe. Besonders hart sind Unternehmen in der Modebranche getroffen. Sie hatten kaum Gelegenheit, ihre Winterware zu verkaufen“, so der IHK-Handelsexperte. „Diese wird jeden Tag, der geschlossen ist, weniger wert – bis sie unverkäuflich ist. Wer kauft einen Weihnachtsbaum nach Weihnachten? Der Verkaufserlös wird aber gebraucht, um die neue Ware im Frühjahr zu bezahlen. Diese Wertverluste, die Liquiditätsengpässe verursachen, werden mit dem teilweisen Ausgleich der Fixkosten nicht berücksichtigt.“
Über die Corona-Hotline gehen bei der IHK viele Anrufe ein. Der Druck, der auf den Unternehmerinnen und Unternehmern liegt, sei deutlich spürbar, so Röll. „Gerade bei kleineren Unternehmen sind viele Kredite mit dem Haus, der Wohnung oder sonstigen privaten Vermögen abgesichert. Da ist die Existenzangst geradezu greifbar.“
Dieses Jahr würde die Biberacher Einzelhändlerin Sonja Battista mit ihrem Laden „Bücherwürmle“ihr zehnjähriges Bestehen feiern. „Ich weiß aber leider nicht, ob ich die zehn Jahre vollmachen kann, wenn es so weitergeht“, sagt die 64-jährige Biberacherin. Da sie noch kein Überbrückungsgeld vom Staat erhalten habe, reichen ihre Rücklagen möglicherweise noch bis März. „Danach ist irgendwann Schluss und ich muss den Laden schließen“, sagt Sonja Battista. Sie hofft, dass es nicht so weit kommt, weil sie ihre Arbeit liebt. „Ich habe noch zwölf Monate bis zur Rente, es wäre bitter, wenn ich kurz vorher aufhören müsste.“
Glücklich und dankbar ist sie ihren Vermietern, vom Geschäft wie auch ihrer privaten Wohnung: „Die sind mir in der ganzen Corona-Zeit sehr entgegengekommen“, sagt Sonja Battista. „Da könnten sich andere ein Beispiel nehmen.“
Ein bisschen Geld kommt bei Sonja Battista unter dem Motto „Click & Collect“rein. Für ihre Kunden hat sie viele ausgewählte Büchern in ihre Schaufenster gestellt, diese und weitere können auf ihrer Internetseite (www.buecherwuermle.de) abgerufen werden. Die Kunden können sie anrufen oder per E-Mail bestellen und dann einen Abholtermin vereinbaren. „Das ist zwar nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber es bleibt einem ja sonst nichts anders übrig.“
Ähnlich sieht das auch Friedrich Kolesch: „Die Entscheidung der Landesregierung, dass Abholservices in Baden-Württemberg nun erlaubt sind, begrüßen wir zwar, das reicht jedoch bei Weitem nicht aus. Für viele – insbesondere kleine – Unternehmen geht es mittlerweile um Haus und Hof, sie sind am Ende angelangt. Ganze Existenzen stehen hier auf dem Spiel.“
Die aktuell vom Lockdown betroffenen Betriebe würden laut Kolesch ein Sonderopfer in der Corona-Pandemie bringen. „Wenn diese Branchen zum Schutz der Bevölkerung komplett schließen müssen, fordern wir im Gegenzug eine echte Entschädigung für die betroffenen Unternehmen. Diese muss sämtliche anfallenden Kosten sowie den Wertverlust der Ware, die zunehmend unverkäuflich wird, umfassen“, so der IHK-Vizepräsident. „Der nur teilweise Ausgleich von Fixkosten reicht auf Dauer selbst bei jahrelang gut geführten Unternehmen nicht zum Überleben.“
Weiterhin kritisiert die IHK Ulm, dass die Hilfszahlungen und Entschädigungen für den November und Dezember 2020 nur schleppend in Gang gekommenen sind: „Die Hilfszahlungen müssen nun zügig und vollumfänglich bei den Betroffenen ankommen. Zudem erwarten wir von Bund und Land konkrete Zusagen für weitere finanzielle Hilfen für die kommenden Monate, da viele Betriebe nun weiter nicht wirtschaften dürfen“, fordert IHK-Hauptgeschäftsführer Max-Martin W. Deinhard.