Schwäbische Zeitung (Biberach)
Genesen, aber nicht gesund
Langzeitfolgen durch Corona-Erkrankung: Auch junge zuvor kerngesunde Leute kann es treffen
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REGION - Die Zahl der Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, steigt kontinuierlich. Und immer mehr berichten, dass sie noch Monate nach der Erkrankung an Langzeitfolgen leiden. Noch gibt es keine wissenschaftlich fundierten Studien, die erklären, warum manche der Betroffenen nach ein paar Wochen wieder gesund sind und andere nicht. Doch zwei Fallbeispiele aus dem südlichen Landkreis Biberach zeigen: Die Krankheit kann jeden treffen. Egal, wie jung und wie gesund man vorher war. Und vor allem die Langzeitfolgen können das Leben für immer verändern.
Robert, der eigentlich anders heißt, ist 28 Jahre alt. Der Schreinermeister war vor seiner Corona-Erkrankung kerngesund. Bis er eines Tages mit Fieber und höllischen Kopf- und Gliederschmerzen aufwachte. „Ich fühlte mich so krank, dass ich es nicht mehr aus dem Bett geschafft habe“, erinnert er sich. Seine Symptome ähnelten einer starken Grippe. Damals, im April 2020, hatte sich das Coronavirus noch nicht stark verbreitet, doch seine Hausärztin ließ ihn dennoch testen. Und der Test war positiv. Zwei Tage ging es dem jungen Mann richtig schlecht. Dann jedoch besserte sich sein Zustand schnell.
Als er wieder mit Arbeiten anfing, dachte Robert, nun sei das Ganze überstanden. Bis ihn ein Kollege eines Tages auf einen starken Geruch in der Werkstatt hinwies – und er merkte, dass sein Geruchssinn weg war. „Das kam schleichend und bis zu diesem Tag war es mir tatsächlich nicht aufgefallen“, erinnert der 28-Jährige sich. Als er seine Hausärztin um Rat fragte, habe diese bloß hilflos mit den Schultern gezuckt. „Sie sagte mir, da könne man nicht viel machen. Entweder käme der Geruchssinn wieder oben eben nicht.“
Bis heute weiß die Medizin nur wenig über die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion. Verlässliche Langzeitstudien gibt es noch nicht. Laut dem Robert-Koch-Institut sind Langzeitfolgen nach bisherigen Erkenntnissen jedoch nichts Ungewöhnliches. Und es kann sowohl Patienten treffen, die schwer erkrankt waren und im Krankenhaus behandelt werden mussten als auch Patienten wie Robert, die einen relativ milden Verlauf hatten. „Wochen und Monate nach der akuten Erkrankung können noch Symptome vorhanden sein oder neu auftreten“, schreibt das Institut auf seiner Internetseite. Aufgrund der Neuartigkeit des Krankheitsbilds und den „sehr unterschiedlichen klinischen Präsentationen“gebe es bis jetzt keine einheitliche Definition für Langzeitfolgen. Je nach akutem Krankheitsverlauf würden sich unterschiedliche Krankheitsbilder in der Folgezeit ergeben. Bei milderen Verläufen seien Müdigkeit, Gedächtnisprobleme, Wortfindungsstörungen oder eben der Verlust des Geruchssinns typische Symptome.
Robert lebt mittlerweile seit mehr als einem halben Jahr ohne Geruchssinn – und hat sich bis heute nicht daran gewöhnt. „Zu riechen ist so ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens, sei es beim Kochen, in der Natur oder bei der Arbeit. Das ist wirklich eine große Veränderung.“Akzeptieren will er diesen Zustand jedoch nicht. Im Internet stieß er auf Tipps, wie man seinen Geruchssinn wieder trainieren kann und seitdem übt er zu Hause, in der Hoffnung, dass dieser irgendwann wiederkehrt. Inzwischen hat er auch erfahren, dass es seit Kurzem spezielle Reha-Einrichtungen und Kliniken gibt, die sich auf Corona-Langzeitschäden spezialisiert haben. Dieser Tipp kam allerdings nicht von seiner Hausärztin, sondern aus dem privaten Umfeld.
Wenn der Frust über seine Erkrankung zu groß wird, ruft er seine kleine Schwester an. Denn Anna, die eigentlich auch anders heißt, erkrankte nur wenige Wochen vor ihm an Corona. Sie gehörte zu den ersten erfassten Fällen im Landkreis Biberach. Die 25-jährige Erzieherin litt ebenfalls an grippeähnlichen Symptomen wie ihr Bruder, war jedoch deutlich länger krank als er. Als das Fieber und der Husten langsam verschwanden, blieb bei der jungen Frau eine starke Kurzatmigkeit zurück. „Ich konnte auf einmal keine Treppen mehr steigen. Jede noch so kleine körperliche Anstrengung war zu viel“, erinnert sie sich an die ersten Wochen nach der Erkrankung.
Ihr Hausarzt riet ihr dazu, ihrem Körper Zeit zu geben. Doch auch Monate später war die Kurzatmigkeit noch da, weswegen die junge Frau einen Lungenfacharzt aufsuchte. Ein Test ergab: Die Corona-Erkrankung hatte die Lunge geschädigt. Annas Lungenvolumen hatte sich verringert. Zudem ergaben die Untersuchungen, dass die 25-Jährige nun an Asthma litt. Zuvor war auch sie kerngesund gewesen. „Das war ein Schock, den ich erst einmal verarbeiten musste, denn ich war vor meiner Erkrankung sehr sportlich gewesen, ging regelmäßig zum Kickboxen, und nun konnte ich auf einmal gar nichts mehr“, erzählt die 25-Jährige. Sie erhielt ein spezielles Lungenspray von ihrem Facharzt, das die Bronchien weiten soll.
Heute geht es der jungen Frau wieder etwas besser. Treppen zu laufen, ist ihr wieder möglich. „Wenn ich den Kindern in der Kita jedoch hinterher springe oder versuche zu rennen, merke ich schnell, dass ich noch nicht ganz gesund bin“, sagt sie. Und wie bei ihrem Bruder, kann ihr kein Arzt sagen, ob sie je wieder ganz gesund wird. Ein Zustand, der nicht leicht zu ertragen ist. „Diese Ungewissheit ist wirklich das Schlimmste“, sagt Anna.
„Nachvollziehen, wie das ist, das kann wohl keiner, der nicht selbst an Corona erkrankt ist“, glaubt Robert. „Wir gehen deswegen im Freundesund Bekanntenkreis offen mit unserer Erkrankung um, denn immer noch gibt es so viele Menschen, die die Corona-Pandemie nicht ernst nehmen“, fügt Anna hinzu. Robert ärgert es, dass zuerst ganz viele Menschen eine schnelle Impfung gefordert hätten und mittlerweile die Impfbereitschaft so stark gesunken ist. „Es ist wirklich eine Krankheit, die ich keinem wünsche. Sich so krank zu fühlen und dann vielleicht für den Rest des Lebens mit den Nachwirkungen zu kämpfen, das will doch wirklich keiner.“