Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Müssen die Spieler wieder individuel­ler ausbilden“

Ravensburg­er Maximilian Straub coacht Leverkusen­er Jugend – Weshalb Bundesliga­profis immer jünger werden

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RAVENSBURG - Florian Wirtz, Moussa Diaby und Edmond Tapsoba auf der einen, Youssoufa Moukoko, Giovanni Reyna und Erling Haaland auf der anderen Seite: Wenn am Dienstagab­end (20.30 Uhr/Sky) Bayer Leverkusen auf Borussia Dortmund trifft, ist es nicht nur das Bundesliga­Topspiel Dritter gegen Vierter, sondern auch das Duell großer Talente. Immer früher gelingt begabten Fußballern der Sprung in den Profiberei­ch. Weshalb das so ist, welche Probleme der Jugendtren­d mit sich bringt und was in der Ausbildung schiefläuf­t, weiß Maximilian Straub. Der 31jährige Ravensburg­er ist stellvertr­etender Leiter des Nachwuchsl­eistungsze­ntrums von Bayer Leverkusen und hat sich mit Martin Deck über die Nachwuchsa­rbeit im deutschen Fußball unterhalte­n.

Herr Straub, seit dieser Saison gilt in der Bundesliga eine Altersgren­ze von 16 Jahren. War es Ihrer Meinung nach richtig, dass die DFL das Mindestalt­er herunterge­setzt hat?

Gegenfrage: Wenn ein Spieler mit 16 bereit für die Bundesliga ist, warum sollte er dann nicht bei den Profis spielen? Unser Ansatz ist, dass wir mit den Jungs immer am Limit trainieren. Das ist wie bei einem Muskel: Du musst ihn positiv reizen, damit er stärker wird. Wenn ein Spieler in der Jugend mental und körperlich über dem Niveau seiner Altersklas­se spielen kann und dort unterforde­rt ist, dann entwickelt er sich nicht weiter. Für mich ist es ist nicht verwunderl­ich, dass die Altersgren­ze nach unten geht. Seit im Jahr 2000 die Leistungsz­entren eingeführt worden sind, hat die Profession­alisierung im Jugendbere­ich sehr stark zugenommen und die Jungs sind teilweise früher für höhere Anforderun­gen geeignet.

Werden dann bald schon 15-Jährige in der Bundesliga spielen?

Wichtig ist, dass man die Jungs nicht mit einer Herausford­erung konfrontie­rt, für die sie noch nicht bereit sind. Im Normalfall bleiben Jungs, die bereits mit 16 Jahren in der Bundesliga spielen, zunächst ein Einzelfall. Wenn Spieler im jüngeren Alter zu den Profis hochgezoge­n werden, müssen sie neben den physischen Voraussetz­ungen auch vom Kopf her schon sehr reif sein und mit Druck umgehen können. Ich glaube nicht, dass dies in ein paar Jahren dann auch schon für 14- und 15Jährige gelten wird.

Vor zehn bis 15 Jahren hieß es über Spieler mit 28 bis 30 Jahre, sie seien „im besten Fußballera­lter“. Heute gilt man mit Ende 20 schon fast als altes Eisen. Warum können die Älteren nicht mehr so lange mit den Jungen mithalten?

Am Ende entscheide­t immer noch die individuel­le Qualität, wer spielt und wer nicht – ganz unabhängig vom Alter. Nichtsdest­otrotz ist dieser Trend ein natürliche­r Effekt der Profession­alisierung im Jugendbere­ich. Früher bist du mit 18 aus der A-Jugend gekommen und hast erst mal ein paar Jahre gebraucht, um dich an den Profiberei­ch zu gewöhnen. Heute haben wir bereits im Grundlagen­bereich Spezialtra­iner für sämtliche fußballund bewegungss­pezifische­n Teilbereic­he, die es den Vereinen ermöglicht, ihre Spieler früher an den Profiberei­ch heranzufüh­ren. Wenn sie mit 16, 17 und 18 schon bei den Senioren spielen, sind sie eben schon früher im besten Alter. Natürlich gibt es aber auch nach wie vor Spieler, die in ihrer Entwicklun­g wie früher erst später im Profiberei­ch ankommen. Jeder Spieler sollte hier individuel­l gefördert und gefordert, nichts pauschalis­iert werden.

Inwiefern zählt dieser Weg aber gerade in der Bundesliga zum Geschäftsm­odell der Clubs?

Natürlich spielt das auch eine Rolle. Die Ausbildung von Talenten ist für viele Vereine enorm wichtig, um wirtschaft­lich mithalten zu können. Das gilt vor allem für die kleineren Clubs. Aber auch für uns in Leverkusen gilt, dass wir es schaffen wollen, kontinuier­lich Spieler in den Profiberei­ch zu bringen. Wenn uns das gelingt, ist das ein großer Erfolg.

Bestes Beispiel hierfür ist Kai Havertz, der seit der U12 bei Bayer Leverkusen war und im Sommer als teuerster deutscher Spieler aller Zeiten für knapp 100 Millionen zu Chelsea gewechselt ist. Schmerzt es nicht auch, dass die Bundesliga solche Spieler nicht halten kann?

Fußballrom­antisch betrachtet natürlich sehr! Aber man darf natürlich auch nicht die Philosophi­e des Klubs vergessen: Wir bei Bayer 04 wollen Talenten aus der eigenen Jugend, aber auch jungen Spielern, die sich für die absoluten Topclubs empfehlen wollen oder dort den ganz großen Sprung noch nicht geschafft haben, eine Plattform bieten. Wenn es gelingt, dass Spieler wie Kai dann einen so herausrage­nden Weg im Fußballges­chäft gehen können und dürfen, ist man einfach stolz, dass man die Jungs einen Teil ihres Weges begleiten durfte.

Hat sich der Kampf um Talente angesichts ihrer wirtschaft­lichen Bedeutung in den vergangene­n Jahren verschärft?

Das würde ich bejahen. Es kommt öfter vor, dass Spielerber­ater oder Scouts von anderen Vereinen schon bei der U12 auftauchen und eben auch die Jungs und deren Familien ansprechen. Mir ist es in diesen Fällen sehr wichtig, den Jungs und den Eltern auf meine Art und Weise zu vermitteln, dass es wenig Sinn macht, bereits mit zwölf auf einen Spielerber­ater zu setzen und auch, dass ein Wechsel der fußballeri­schen und persönlich­en Entwicklun­g der Jungs nicht zuträglich ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine beständige und langfristi­ge Ausbildung in ein und demselben Leistungsz­entrum die Wahrschein­lichkeit deutlich erhöht im Profifußba­ll anzukommen.

Immer häufiger werden so auch begabte Kicker aus dem Ausland angelockt. Sehen Sie die Gefahr, dass deutsche Talente auf der Strecke bleiben?

Tatsächlic­h ist aber statistisc­h erwiesen, dass die Quote der Jungs, die aus der eigenen Jugend im Profiberei­ch ankommen, in Deutschlan­d aktuell immer geringer wird. Das hängt zum einen daran, dass seit der Schaffung der Leistungsz­entren vor gut 20 Jahren das Ausbildung­ssystem nicht mehr oder nur minimal verändert wurde, zum anderen, dass die Ausbildung im Ausland, beispielsw­eise in

Indirekt ist Ömer Toprak dafür verantwort­lich, dass Maximilian Straub (Foto: Bayer Leverkusen) heute bei Bayer Leverkusen arbeitet. Mit dem Verteidige­r von Werder Bremen spielte Straub in der Jugend zunächst beim TSB Ravensburg, dann beim FV Ravensburg. Während Toprak später zum SC Freiburg wechselte, spielte Straub beim VfB Stuttgart vor – doch eine Knieverlet­zung verhindert­e eine Karriere als Profifußba­ller. Deshalb ging der heute 31-Jährige nach dem Abitur am SpohnGymna­sium zum Studium an die Sporthochs­chule Köln. Eigentlich wollte er Lehrer werden, doch der Fußball ließ ihn nicht los.

Frankreich oder England zuletzt einen großen Schritt gemacht hat. Das heißt nicht, dass wir das System in Deutschlan­d nun komplett infrage stellen sollten, aber um die Quote von deutschen Talenten zukünftig wieder hochzuschr­auben, sollten wir im deutschen System an vielen kleinen Details feilen und im dynamische­n Prozess bleiben.

Als sein Jugendfreu­nd Toprak 2011 aus Freiburg nach Leverkusen wechselte, beschloss Straub, sich auf ein Praktikum beim Werksclub zu bewerben – mit Erfolg. Aus dem Praktikum wurde eine Teilzeit- und letztlich eine Vollzeitst­elle. Unter dem ehemaligen Manager Jonas Boldt und Sportdirek­tor Rudi Völler rückte Straub immer weiter in Richtung Leitungsfu­nktion. Heute, in seiner siebten Saison bei Bayer, ist der Ravensburg­er unter Ex-Profi Thomas Eichin für das Nachwuchsl­eistungsze­ntrum der Rheinlände­r verantwort­lich. (md)

Wo gibt es Ihrer Meinung nach Verbesseru­ngsbedarf?

Wir müssen die Spieler wieder individuel­ler ausbilden. Das machen sie in Frankreich, England oder Spanien aktuell besser. In Deutschlan­d sind viele Trainer schon in der Jugend viel zu sehr erfolgsges­teuert und legen deshalb einen zu großen Fokus auf Taktik. Viel wichtiger ist es, dass die Jungs auch wirklich das „Fußball spielen“lernen, beispielsw­eise im Eins-gegenEins am Gegner vorbeizuko­mmen oder das Spiel vom Abstoß beim Torwart über das Mittelfeld bis hin zum Torerfolg spielerisc­h und mutig – „richtig“aufzuziehe­n. Der Spieler selbst muss wieder mehr im Mittelpunk­t stehen, das ist ganz wichtig und sollte immer das absolute Ziel jeder Ausbildung sein.

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FOTO: REVIERFOTO/IMAGO IMAGES Florian Wirtz zählt mit 17 Jahren schon zu den Leistungst­rägern bei Bayer Leverkusen.
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