Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zernen, sondern von kleinen Biotech-Unternehmen?
Diese Erfolge beruhen auf der innovativen mRNA-Technologie, die vor allem von jungen Biotech-Unternehmen vorangetrieben wurde. Und wenn man ein bis dahin unbekanntes Virus mit einer neuen Technologie bekämpfen will, dann ist ein kleines, wendiges Forschungsunternehmen besser geeignet, als ein großer Konzern.
Warum brauchte Biontech/Pfizer chinesischen Konzern Fosun als Partner?
Die Partnerschaft mit China kam durch Kontakte von Ugur Sahin zu dem wissenschaftlichen Leiter von Fosun zustande. Wir haben so sehr früh Erkenntnisse über das Virus aus China bekommen. Zum anderen hatten wir vor einem Jahr nicht das Geld und Vertriebsnetzwerk und brauchten Partner. Deshalb haben Pfizer und Fosun auch beide in Biontech investiert. Außerdem hätten wir ohne die Infrastruktur von Pfizer die klinische Studie der Phase 3 mit 44 000 Probanden nicht so schnell und gut organisieren können.
Warum haben Sie in Pfizer einen amerikanischen Partner gewählt – Kritiker hätten gerne eine europäische oder deutsche Lösung gesehen?
Wir denken global. Wir hatten mit Pfizer bereits ein Entwicklungsprogramm für einen Grippeimpfstoff laufen. Die Teams im Bereich Infektionskrankheiten kannten sich und haben Grundlagenarbeit bereits absolviert. Das gab den Ausschlag. Bei so einem Projekt brauchen wir Leute, die schnell entscheiden. Das ist bei Pfizer der Fall.
Die Kosten für die beiden Impfdosen von Biontech/Pfizer, die jeder für eine Immunisierung benötigt, liegen in Deutschland zwischen 30 und 40 Euro. Wie hoch wird der Gewinn sein, den Biontech mit seinem Impfstoff erzielt? Und wie teilen Sie sich den Gewinn mit Pfizer?
Die Preise sind nicht überall gleich, sie unterscheiden sich von Land zu Land und hängen auch von der Menge ab, die jedes Land bestellt hat. Die Marge – ganz ehrlich – die ist im Moment für uns ganz schwer zu kalkulieren, denn im Moment ist die Welt nicht normal. Roh- und Hilfsstoffe sind gerade ein sehr knappes Gut, die
Preise sehr volatil. Klar ist, dass unsere Partnerschaft mit Pfizer JointVenture-Charakter hat: Wir teilen Umsatz und Kosten.
Beim Einkauf der Vakzine hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf eine europäische Lösung gesetzt. War das richtig?
Das war meines Erachtens absolut richtig. Wenn wir in Europa die Situation hätten, dass die Menschen in einem Staat geimpft wären und in einem anderen nicht, wäre das Problem nicht gelöst. Die Grenzen müssten geschlossen bleiben, und der Rest des Kontinents läge weiter auf der Intensivstation. Wir müssen Verantwortung übernehmen für Europa und darüber hinaus auch für Staaten, die sich vielleicht nicht allein gegen eine solche Krise stemmen können.
Was halten Sie von der Kritik an Spahn?
Eine globale Pandemie ist nicht das Thema eines Landes. Es geht darum, dass wir bis Oktober so viele Menschen wie möglich geimpft haben werden – unabhängig von einzelnen Staatsgrenzen. Dabei hat zum einen jeder einzelne die Verantwortung, sich zu schützen. Zum anderen müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass es über die Produktion und Logistik überall die Möglichkeit gibt, sich impfen zu lassen. So verstehe ich die Erläuterung von Herrn Spahn, und ich sehe es ähnlich.
Die SPD, die als Koalitionspartner der CDU die Impfstrategie mitgetragen hat, sieht das anders. Sie hat Spahn einen Katalog mit vielen kritischen Fragen vorgelegt.
Was soll ich sagen, nach der Messe ist man immer klüger. Natürlich hätten wir uns aufgrund der generierten Daten zu einem früheren Zeitpunkt mehr Aufmerksamkeit und Vertrauen gewünscht, aber wir sollten nach vorne schauen und an Lösungen arbeiten. Die mRNA-Technologie war im vergangenen Sommer noch für manche unbekannt. Die politisch Verantwortlichen mussten sich einfach die Frage stellen, warum soll eine kleine Biotech-Firma aus Mainz schneller einen besseren Impfstoff haben als etablierte Pharmakonzerne. Und was hätten die Kritiker gesagt, wenn Spahn nur bei uns bestellt hätte – und wir am Ende nicht so schnell gewesen wären.
Die Äußerungen von BiontechChef Ugur Sahin über die angeblich zögerlichen Impfstoff-Bestellungen der EU haben die Debatte noch einmal angeheizt. „Offenbar herrschte der Eindruck: Wir kriegen genug, es wird alles nicht so schlimm, und wir haben das unter Kontrolle“, sagte Sahin. „Mich hat das gewundert.“Was hat er damit gemeint?
Nach meinem Verständnis war sein Punkt, dass er sich über die allgemeine Sorglosigkeit gewundert hat, als im Sommer die Infektionszahlen gesunken sind und niemand mehr richtig an die zweite Welle geglaubt hat. Er war beunruhigt, weil er wusste, dass die Infektionszahlen im Herbst wieder steil ansteigen werden.
Viele Bürger sind verunsichert, weil der Impfstoff so schnell entwickelt wurde. Wie soll die Bundesregierung auf diese Ängste reagieren?
Das geht nur über Transparenz und Offenheit. Wir müssen die Leute aufklären und sie so mitnehmen. Und dazu gehört vor allem, genau zu erläutern, wie sicher der Wirkstoff ist. Denn die Ängste resultieren daraus, dass doch etwas passieren könnte.
Befürworten Sie eine Impfpflicht?
Nein, zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Das wäre das Falsche, weil wir den Bürgern ihre Mündigkeit zugestehen müssen. Möglicherweise ist die Situation im Herbst eine andere, wenn sich Hunderte von Millionen Menschen haben impfen lassen und wir signifikante Zahlen haben, die belegen, wie sicher der Impfstoff ist. In der aktuellen Situation muss man aufklären und auch die neue mRNA-Technik bis ins letzte Detail erläutern.
Sollen Geimpfte sofort nach der Impfung ihre grundrechtlichen Einschränkungen zurückerhalten?
Ich halte die Diskussion in der aktuellen Situation für schlecht, weil wir aufgrund der Impfstoffmenge und der Infrastruktur noch nicht jedem Menschen die Möglichkeit geben können, sich impfen zu lassen. Aber von dem Tag an, wenn theoretisch jeder die Möglichkeit hat sich impfen zu lassen, ist die Debatte zu führen, weil wir jedem wieder ein normales Leben ermöglichen müssen.
Der Impfstoff von Biontech – wie auch der von Moderna und Curevac – basiert auf der mRNA-Technik. Das heißt, sie arbeiten gar nicht mehr mit Viren, sondern nur mit Informationen über das Virus, das in die Boten-Ribonukleinsäre (mRNA) programmiert wird, damit der eigentliche Impfstoff in den Zellen hergestellt wird. Warum eignet sich diese Technik für Impfstoffe?
Die mRNA-Technologie ist eine sehr präzise Methode, um den Körper zu trainieren, sich gegen etwas zu schützen. Wir geben dem Körper die Information, einen kleinen, ungefährlichen Teil des Virus selbst zu bauen. Dieser Dummy dringt in die Zelle ein, und die Zelle lernt dabei, sich gegen den Eindringling zu schützen und ihn zu blockieren. Wir nutzen das System der körpereigenen Abwehrfunktionen, die wir stimulieren.
Für welche Krankheiten kann diese Technik in Zukunft noch verwendet werden?
80 Prozent unserer laufenden Entwicklungen beschäftigen sich mit verschiedenen Krebsarten. Das Ziel ist, dass wir dem Körper beibringen, die Mutationen der Zelle, also den Krebs, zu erkennen und ihn dabei selbst zu stoppen, so wie er beim Impfstoff des Virus stoppt. Bei diesen onkologischen Entwicklungen sind wir teilweise schon bei den klinischen Studien der Phase 2, in denen die Wirksamkeit überprüft wird.
Ihr Erfolg hat die mRNA-Technik in aller Welt bekannt gemacht. Klauen die großen Pharma-Konzerne Ihnen die Technologie nun?
Nein. Aber es wird mehr Unternehmen geben, die versuchen werden, in dieses Feld vorzudringen. Eben weil Biontech – und auch Moderna – den Beweis erbracht haben, dass mit der Technik hochwirksame Medikamente hergestellt werden können. Aber es ist eben auch eine sehr komplexe Technologie. Unser CEO Ugur Sahin erforscht sie schon seit 30 Jahren, wir haben hier im Unternehmen sehr viel Know-how und eine breite Patentbasis.
Der Erfolg von Biontech beruht auf den Forschungen von Ugur Sahin und Özlem Türeci. Doch ohne Investoren wie die Hexal-Gründer Thomas und Andreas Strüngmann hätten Türeci und Sahin ihre Ideen nicht entwickeln können. Wie haben die Mediziner die Strüngmanns überzeugt?
Vor Biontech haben die Strüngmanns schon in die Vorgängerfirma von Sahin und Türeci investiert. Doch da ging es nur um ein einziges Medikament auf Basis von Antikörpern. Sie wollten aber nicht nur ein Medikament entwickeln. Wir waren begeistert von der Art und Weise, wie Sahin und Türeci Wissenschaft betreiben. Nach einer Präsentation saßen wir zu siebt am Tisch und beschlossen, die Projekte auf mRNA Basis nachhaltig zu finanzieren.
Zu wie viel Prozent waren Sie überzeugt, dass die Technik funktioniert?
Das war ein sehr hohes Risiko bei der Gründung von Biontech. Man muss sich aber immer vor Augen halten, dass es bei technologischen Investments neben operativen Herausforderungen und externen Faktoren wie Gesetzgebung und Regulatorik auch immer ein hohes Sachrisiko gibt: Die Natur kann auch einfach dagegen spielen. Bei all diesen unternehmerischen Themen und dazugehörigem Mut und Einsatz gehört am Schluss auch ein wenig Glück dazu.
Geboren in Biberach an der Riss führt seit 2015 die Athos KG. Die Athos KG ist das Family Office von Andreas und Thomas Strüngmann, die 1986 das Pharma-Unternehmen Hexal gegründet und die die mRNA-Forschungen von Ugur Sahin und Özlem Türeci, auf denen der Erfolg von Biontec basiert, finanziert haben. Die Athos KG gehört noch immer zu den Hauptinvestoren von Biontech. Als Ökonom führt der 50-jährige Jeggle den Aufsichtsrat von Biontech. (ben)