Schwäbische Zeitung (Biberach)
Doch alles Gefühlssache
Börsen analysieren die Stimmung der Anleger, um die Marktentwicklung vorherzusagen
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STUTTGART - Immer wenn die Börsen in Rekordlaune sind, fragen sich manche Anleger, warum ausgerechnet sie bei der Party nicht mit dabei sind. Und an zweiter Stelle fragen sie sich, ob es sich denn noch lohnen könnte, auf den fahrenden Zug steigender Kurse aufzuspringen. Eindeutige Antworten kann es nie geben, aber gewisse Hinweise, die unter dem Begriff „Sentiment“(Empfindung, Gefühl) die Stimmung der Investoren auszuloten versucht.
Dafür erhebt die Börse Frankfurt wöchentlich die Markterwartungen von aktiven Anlegern, um Rückschlüsse auf deren Anlageverhalten zu ziehen. Denn erst mit der Einbeziehung psychologischer Einflüsse auf die Finanzmärkte kann man sich dem nähern, was die Welt der Finanzen bewegt, wie Sentiment-Experte und Verhaltensökonom Joachim Goldberg meint. In seinen Analysen geht Goldberg davon aus, dass Anleger selten rational handeln. Sie gehen vielmehr mit ihren finanziellen Engagements eine emotionale Bindung ein, was nach Ansicht der Verhaltensökonomen zu einer starken Verlustaversion führt. Investoren nehmen demnach Buchverluste nicht als Verluste wahr und halten an Wertpapierpositionen im Minus lieber weiter fest, statt die aufgelaufenen Buchverluste weiter zu realisieren. Diese kognitive Voreingenommenheit kann zu einem Herdenverhalten führen und in extreme Marktsituationen münden. Ziel der regelmäßigen Umfragen der Börse Frankfurt ist es daher, Transparenz in den Markt zu bringen und auf mögliche Schieflagen hinzuweisen.
Sentimentanalysen, die auf Umfragen nach den Markterwartungen von Anlegern basieren, lassen also Rückschlüsse auf die Börsenentwicklung und mögliche Kapitalströme zu. ln der Regel hängt die Markteinschätzung der Anleger auch davon ab, wie erfolgreich sie ihre Investments wahrnehmen. Hinter dem Sentiment steckt die Überlegung, dass bullishe Anleger, die mit steigenden Kursen rechnen, bereits Aktien haben, und bearishe Anleger, die mit sinkenden Kursen rechnen, „short gegangen“sind – zumindest im institutionellen Bereich. Aus der Veränderung im Zeitlauf ziehen dann Analysten wie Goldberg Rückschlüsse auf Einstandspreise und versuchen so, Marktschieflagen zu erkennen und Prognosen über die weitere Entwicklung abzugeben. Die Analyse der Ergebnisse wird in der Regel jeden Mittwochnachmittag im Internet unter der Adresse www.boerse-frankfurt.de veröffentlicht.
Anhand ihrer Umfragen ermittelt die Börse Frankfurt regelmäßig sowohl für private als auch institutionelle einen Sentiment-Index, der den absoluten Optimismus im Markt widerspiegelt. Für die Index-Berechnung werden die Optimisten (die Bullen) im Verhältnis zu den Pessimisten (die Bären) gesetzt und mit den neutral gestimmten gewichtet.
Der Index bewegt sich zwischen - 100 (totaler Pessimismus) und + 100 (totaler Optimismus), der Übergang von positiven in negative Werte markiert die neutrale Linie. Gleichzeitig sind für Interessenten die Unterschiede zwischen privaten Anlegern und Profis erkennbar.
Eine andere Art des Stimmungsbarometers stellt die Börse Stuttgart mit dem Euwax-Sentiment zur Verfügung. In die Berechnung dieses Dax-Sentiments fließen alle Orders in Dax-Hebelprodukten (Optionsscheine und Knock-out-Produkte) ein – also jene, die mit sogenannten Calls auf steigende Kurse spekulieren wie auch diejenigen, die mit Puts auf fallende Märkte setzen. „Damit basiert der Euwax-Sentiment nicht auf Umfragen, sondern auf tatsächlich getätigten Transaktionen von Privatanlegern“, sagt Richard Dittrich, Experte für Anlegerthemen an der Börse Stuttgart. In den Index fließen sowohl die Käufe beziehungsweise Verkäufe von Call-Optionsscheinen als auch die Käufe beziehungsweise Verkäufe von Put-Optionsscheinen an der Börse Stuttgart ein. Für die Berechnung werden ausschließlich marktnahe Orders herangezogen, die innerhalb von 60 Sekunden eingestellt und ausgeführt wurden. Ist der Wert des Index positiv, setzt die Mehrheit der Anleger auf einen steigenden Markt. Ein negativer Wert bedeutet, dass Anleger eher von fallenden Kursen ausgehen.
Benannt ist das Stimmungsbarometer nach der Stuttgarter Euwax, die als größter börslicher Marktplatz für verbriefte Derivate in Europa gilt. Der Euwax-Sentiment steht online unter www.boerse-stuttgart.de zur Verfügung.