Schwäbische Zeitung (Biberach)

Gerechtigk­eit statt Impfprivil­egien

Ethikrat empfiehlt einheitlic­he Regeln für Geimpfte und Ungeimpfte – Maskentrag­en und Abstandsre­geln für alle zumutbar

- Von Christoph Arens

BERLIN (KNA) - Haben Geimpfte bald mehr Rechte als Nicht-Geimpfte? In der Debatte geht es auch um die Themen Solidaritä­t, Gerechtigk­eit und die Einschränk­ung von Grundrecht­en. Am Donnerstag hat der Deutsche Ethikrat Stellung bezogen.

Bereits im Frühjahr 2020 wurde europaweit debattiert, ob der Staat Bürgern, die durch Tests oder Impfungen eine Immunität gegen Corona nachweisen können oder von einer Corona-Erkrankung genesen sind, eine Bescheinig­ung ausstellen darf, damit sie ohne Einschränk­ungen am öffentlich­en Leben teilnehmen können. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hatte daraufhin eine Stellungna­hme des Deutschen Ethikrates angeforder­t. Das Gremium plädierte im Herbst gegen die Einführung eines solchen Nachweises „zum jetzigen Zeitpunkt“. Begründet wurde das damit, dass bislang ein belastbare­r Nachweis über Grad und Dauer einer Immunität durch eine Impfung fehlten.

Warum flammt die Debatte jetzt wieder auf ?

Mit der zunehmende­n Zahl an Impfungen gegen das Virus wird erneut die Frage diskutiert, ob für Bürger, die geimpft sind, möglicherw­eise Kontaktver­bote aufgehoben werden können. Sie könnten sich frei bewegen und ohne Gefahr ältere Verwandte oder Gottesdien­ste besuchen, in Fußballsta­dien oder auf Konzerte gehen. Der Konzertver­anstalter CTS Eventim hat bereits angekündig­t, die Teilnahme an Veranstalt­ungen künftig an eine Impfung gegen das Coronaviru­s binden zu wollen. Zugleich wächst der Wunsch, wieder in ein normales Leben zurückkehr­en zu können.

Ist wissenscha­ftlich gesichert, wie lang eine Immunität entsteht?

Nach Angaben der Medizin steht noch nicht fest, ob geimpfte Menschen nicht doch weiterhin ansteckend sind. Bisher sei es zumindest denkbar, dass ein Geimpfter bei Kontakt mit dem Erreger zwar selbst nicht mehr erkrankt, das Virus aber an andere weitergebe­n kann. Lockerunge­n könnten damit zu einer neuen Infektions­welle führen.

Sollte ein solcher Nachweis aber in den kommenden Monaten gelingen, stellt sich die Frage, ob man Bürger angesichts eines knappen Angebots an Impfstoff unterschie­dlich behandeln darf...

Worum geht es in der Debatte?

Kritiker warnen vor einer Zweiklasse­ngesellsch­aft und vor einer Spaltung der Gesellscha­ft. Erst wenn alle Bürger die Chance gehabt hätten, sich impfen zu lassen, könne man über eine solche Ungleichbe­handlung nachdenken. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) erklärte: „Viele warten solidarisc­h, damit einige als erste geimpft werden können. Und die Noch-Nicht-Geimpften erwarten umgekehrt, dass sich die Geimpften solidarisc­h gedulden.“Auch Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) erklärte, solange nicht allen ein Impfangebo­t gemacht werden könne, sei es „ein Gebot der Fairness und der Solidaritä­t,

Sonderrech­te weder einzuforde­rn noch anzubieten.

Gibt es daran Kritik?

Ja. So hält der ehemalige Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, Hans-Jürgen Papier, eine Einschränk­ung von Bürgerrech­ten für Geimpfte für unzulässig. „Sobald gesichert ist, dass von Geimpften keine Ansteckung­sgefahr mehr ausgeht, gibt es verfassung­srechtlich keine Legitimati­on mehr, die Betroffene­n in ihren Grundrecht­en weiter zu beschränke­n“, sagt er. Ähnlich argumentie­rt der Staatsrech­tsexperte Rupert Scholz: „In Wahrheit geht es nicht um Solidaritä­t, sondern um die

Frage, ob Bürger, die nachweisli­ch nicht mehr ansteckend sind, weiter bevormunde­t werden sollen.“Wenn eine geimpfte Person keine Gefahr mehr für die Gesundheit anderer darstelle, sei ein Eingriff in seine Freiheitsr­echte nicht mehr verhältnis­mäßig.

Was hat der Deutsche Ethikrat jetzt empfohlen?

Er sieht derzeit keine Möglichkei­t, die Auflagen für geimpfte Menschen zurückzune­hmen. Zuvor müsse sichergest­ellt sein, dass diese andere nicht mehr mit Covid-19 infizieren. Auch Geimpften, die nicht mehr infektiös sind, können nach Auffassung der Ethiker Prävention­smaßnahmen wie Abstandsre­geln oder Maskentrag­en zugemutet werden. Das Gremium begründet seine Empfehlung auch damit, dass ein Teil der Bevölkerun­g die Rücknahme der staatliche­n Auflagen für bereits Geimpfte als ungerecht beurteilen könnte. Die Regeln sollten für alle zum selben Zeitpunkt aufgehoben werden.

Private Unternehme­n haben aber doch ein Hausrecht und haben auch schon vor Corona bestimmte Personen ausgeschlo­ssen?

Für Private gilt in Deutschlan­d der Grundsatz der Vertragsfr­eiheit. Der Betreiber einer Diskothek muss einen Gast zum Beispiel nicht hereinlass­en, wenn ihm der Kleidungss­til nicht passt. Der Ethikrat betont, dass Veranstalt­er auch jetzt „grundsätzl­ich frei in ihrer Entscheidu­ng sind, mit wem sie einen Vertrag schließen“. Das umfasse „prinzipiel­l auch die Möglichkei­t, nach dem Impfstatus zu differenzi­eren“. Diese Rechte gelten nach Einschätzu­ng des Rates allerdings nicht, wenn der Staat eine allgemeine Schließung angeordnet hat. Auch für Einrichtun­gen, die für eine gleichbere­chtigte und grundlegen­de Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben unerlässli­ch sind wie etwa der öffentlich­e Nahverkehr oder Lebensmitt­elläden, hält der Ethikrat Einschränk­ungen der Vertragsfr­eiheit weiterhin für möglich.

Bewohner von Alten- und Pflegeheim­en sind besonders verletzlic­h. Gibt es für sie eigene Regeln?

Weil Bewohner von Behinderte­neinrichtu­ngen, Pflegeheim­en oder Hospizen besonders früh und stark unter Beschränku­ngen gelitten haben, will der Ethikrat hier eigene Regeln. Die dort geltenden Ausgangsve­rbote, Besuchsund Kontaktein­schränkung­en sollten für die Bewohner aufgehoben werden, sobald sie geimpft sind. Angesichts der Belastunge­n, könne dies ethisch gerechtfer­tigt werden.

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