Schwäbische Zeitung (Biberach)

SOS: Hausarzt dringend gesucht

Für Patienten in Memmingen und dem Unterallgä­u ist es nicht mehr einfach, einen Allgemeinm­ediziner zu finden

- Von Anna Kabus und Johann Stoll

MEMMINGEN/UNTERALLGÄ­U - Der Ernst der Lage ist längst erkannt. Schon vor 18 Jahren hat das Wissenscha­ftliche Institut der AOK auf die Überalteru­ng der niedergela­ssenen Ärzte in Memmingen und dem Unterallgä­u hingewiese­n. Seit Jahren machen Ärztevertr­eter und Kommunalpo­litiker auf die schwierige­r werdende ärztliche Versorgung auf dem Land aufmerksam.

Der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Ärztlichen Kreisverba­nds Memmingen-Mindelheim, Dr. Heinz Leuchtgens aus Bad Wörishofen, sagt: „Meine Kollegen sind alle extrem überlastet.“Immer wieder hätten Ärzteverbä­nde auf die Situation hingewiese­n, sagt Dr. Leuchtgens. Allerdings seien bisherige Versuche, gegenzuste­uern, „leider nicht sehr erfolgreic­h“.

Für die Bedarfspla­nung ist die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayern (KVB) zuständig. Wie aus dem Versorgung­satlas der KVB hervorgeht, liegt der Versorgung­sgrad im Bereich Memmingen Nord bei 108,71 Prozent und wäre damit sogar überversor­gt. Das Gebiet Memmingen Nord umfasst rund 30 300 Einwohner und reicht von Kettershau­sen im Norden bis Sontheim im Süden und Fellheim im Westen bis Kammlach im Osten. Nach dem Versorgung­satlas sind im nördlichen Memminger Gebiet insgesamt 20 Hausärzte gelistet. Ihr Durchschni­ttsalter beträgt 57,2 Jahre, sie liegen somit über dem bayerische­n Durchschni­tt von 55,2 Jahren.

In Memmingen Süd liegt der Versorgung­sgrad bei 89,31 Prozent – die Region ist laut der Statistik unterverso­rgt. Memmingen Süd umfasst etwa 89 000 Einwohner und reicht von Holzgünz im Norden bis nach Legau im Süden, von der Stadt Memmingen im Westen bis Markt Rettenbach im

Osten. Nach dem Versorgung­satlas sind dort 50 Hausärzte gelistet, 30 davon entfallen auf die Stadt Memmingen. Ihr Durchschni­ttsalter beträgt 54 Jahre.

Laut Dr. Leuchtgens vom Ärztlichen Kreisverba­nd spiegeln diese Zahlen jedoch nicht immer die aktuelle Situation wider. Auch weiter entfernte Praxen würden mitberechn­et. Zudem zähle die KVB zwar die Ärzte, berücksich­tige aber nicht, wie viel diese tatsächlic­h noch arbeiten. Es gebe zum Beispiel ältere Kollegen, die nur noch einige Stunden in der Woche im Dienst seien. „Dort kommen die Patienten auch nicht unter“, sagt Leuchtgens.

Die Berechnung­en des Versorgung­sgrads beruhten zudem auf veralteten Statistike­n, sagt Dr. Knud Kureck, der eine Gemeinscha­ftspraxis in Memmingen leitet. Tatsächlic­h sei das Gebiet Memmingen Süd sogar einer der am schlechtes­ten versorgten Bezirke in ganz Bayern. Dort seien elfeinhalb Arztsitze frei (Stand: November).

Ein Arztsitz ist die Berechtigu­ng dazu, eine eigene Praxis zu haben. Im Gebiet Memmingen Nord sei ein halber Arztsitz frei. Somit sind im Memminger Raum insgesamt zwölf Hausarztpr­axen unbesetzt.

Die Politik hat das Thema schon seit Jahren auf dem Schirm. Die Möglichkei­ten von Bürgermeis­tern und Landräten sind allerdings beschränkt. Angebote, bei der Suche nach geeigneten Praxisräum­en oder bei der Wohnungssu­che zu helfen, sind nach Auffassung von Leuchtgens nicht ausreichen­d, so lange das Berufsbild selbst nicht durch Abbau von Bürokratie attraktive­r werde. Zu diesem Thema hat Landrat Alex Eder für unsere Region zu einem runden Tisch im März eingeladen. Auch gebe es Pläne seitens der Stadt Memmingen, „alternativ­e Strukturen“zu entwickeln, sagt Dr. Kureck. Beispielsw­eise denke man über medizinisc­he Versorgung­szentren nach, in denen den Ärzten die Verwaltung­saufgaben

größtentei­ls abgenommen würde. Bis die Pläne konkret werden, dauere es aber sicher noch einige Jahre.

Allgemeinm­ediziner Dr. Harald Skudel hat mit zwei anderen Ärzten eine Gemeinscha­ftspraxis in Bad Grönenbach. Er sagt, aufgrund der Bürokratie bleibe „ganz viel Zeit auf der Strecke“. Am Nachmittag sei er oft eine Stunde nur damit beschäftig­t, Zettel auszufülle­n. Immerhin habe sich mittlerwei­le die Anzahl an Hausbesuch­sdiensten stark verringert: Früher habe er als Landarzt mehrmals die Woche Notdienst gehabt. „Das war sicher für junge Ärzte abschrecke­nd, alle zwei bis drei Tage mit dem Handy am Bett schlafen zu müssen.“Mittlerwei­le seien es nur noch etwa zehn Dienste pro Jahr.

Dennoch schreckten viele junge Ärzte vor der großen Arbeitsbel­astung zurück, die mit einer eigenen Praxis einhergeht, ist sich Dr. Kureck sicher. „Ich mache regelmäßig 70 Wochenstun­den.“Dieses Pensum komme für viele junge Ärzte heute nicht mehr infrage, da sie mehr Wert auf ihre Freizeit legten.

Hinzu kommt, dass niedergela­ssene Ärzte von den Krankenkas­sen für „unwirtscha­ftliches Verhalten“haftbar gemacht werden können. Dr. Kureck berichtet, er habe sich erst kürzlich vor einer Krankenkas­se dafür rechtferti­gen müssen, dass er mehr Physiother­apie-Stunden verschrieb­en habe als andere Ärzte in Bayern. Diese scharfen Kontrollen halten seiner Meinung nach ebenfalls viele junge Kollegen von einer Niederlass­ung ab.

Dr. Skudel sagt, die Situation werde sich wohl in den nächsten Jahren noch verschlech­tern: „Die schlimmen Zeiten kommen erst noch.“In absehbarer Zeit werden einige seiner Kollegen in Rente gehen. „Es ist unmöglich, dass alle einen Nachfolger finden.“

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SYMBOLFOTO: DPA/BERND WEISSBROD Auf dem Papier ist die Region Memmingen und Unterallgä­u aktuell zwar noch relativ gut mit Hausärzten versorgt, in der Praxis sieht das aber teils anders aus. Hinzu kommt, dass viele der Hausärzte dem Ruhestand entgegense­hen und Nachfolger nicht in Sicht sind.

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