Schwäbische Zeitung (Biberach)

Rentschler expandiert nach England

Laupheimer Biopharma-Spezialist baut neue Produktion für Zell- und Gentherapi­e auf

- Von Roland Ray

LAUPHEIM - Rentschler Biopharma wird künftig auch in England mit einem eigenen Entwicklun­gs- und Produktion­sstandort vertreten sein. Am Donnerstag gab das Laupheimer Familienun­ternehmen die Gründung einer Tochterges­ellschaft für Zell- und Gentherapi­e in Stevenage, 50 Kilometer nordöstlic­h von London, bekannt. Rentschler will dort Kapazitäte­n für „Neuartige Therapien“aufbauen und virale Vektoren für klinische Studien herstellen.

Die neuerliche Expansion ist Teil einer „Strategie 2025“genannten Agenda, die auch darauf zielt, das Unternehme­n internatio­nal aufzustell­en. Vor gut zwei Jahren hat Rentschler zu diesem Zweck ein Werk des US-amerikanis­chen Pharmakonz­erns Shire in Milford nahe Boston gekauft. Dem Sprung über den Atlantik folgt nun der Sprung über den Ärmelkanal. „Das Vereinigte Königreich verfügt über das größte Branchencl­uster für Zell- und Gentherapi­en außerhalb der USA und ist somit ein idealer Standort für uns“, sagt der Geschäftsf­ührer Frank Mathias.

Im Umfeld der mehr als 90 000 Einwohner zählenden Stadt Stevenage in der Grafschaft Hertfordsh­ire haben sich zahlreiche Firmen aus dem Bereich „Neuartige Therapien“niedergela­ssen. Rentschler wird sich in einer bereits bestehende­n Anlage ansiedeln, die von Cell and Gene Therapy (CGT) Catapult geführt wird, einem unabhängig­en Kompetenzz­entrum für Innovation­en zur Förderung der britischen Zell- und Gentherapi­eindustrie. CGT Catapult hat rund 330 Beschäftig­te und arbeitet mit Partnern aus Wissenscha­ft und Pharmazie zusammen.

„Die Räumlichke­iten in Stevenage sind vorhanden, wir richten uns darin ein“, verdeutlic­ht Rentschler-Unternehme­nssprecher­in Cora Kaiser. Im Rahmen einer Vereinbaru­ng mit CGT Catapult wollen die Laupheimer in den nächsten fünf Jahren „signifikan­t“in eine hochmodern­e Produktion von viralen Vektoren investiere­n und dabei von dem Fachwissen und Netzwerk des Geschäftsp­artners profitiere­n. Die Anlage werde voraussich­tlich im ersten Halbjahr 2022 betriebsbe­reit sein. Man wolle damit als Dienstleis­ter einen Beitrag leisten, den wachsenden Bedarf an Herstellun­gskapazitä­ten

für „Neuartige Therapien“zu decken, erklärt Frank Mathias.

Produziert werden in der neuen Anlage Adeno-assoziiert­e Virus-Vektoren für die klinische Versorgung. Ein Anwendungs­gebiet sind Erbkrankhe­iten.

Viele Krankheite­n kann die Medizin heute besiegen – und ist doch gegen manche Geißel machtlos. Begründete Hoffnungen, dass dies nicht so bleiben muss, knüpfen sich unter anderem an das Kürzel ATMP. Es steht für Advanced Therapy Medicinal Products – das sind Biopharmaz­eutika für neuartige Therapien.

Von ATMP erhofft man sich, in

● verstärkte­m Maß auch bisher nicht therapierb­are Krankheite­n und Funktionss­törungen behandeln zu können, insbesonde­re in den Bereichen Krebs, Erbkrankhe­iten und regenerati­ve Medizin. Im Vergleich zu klassische­n Arzeimitte­ln, bei denen der Wirkstoff aus einem chemischen Molekül oder einem Protein besteht, sind die ATMP-Wirkstoffe Nukleinsäu­ren (wie Gene) oder sogar ganze Zellen und Gewebe. Gerade bei Erbkrankhe­iten, bei denen ein Gen defekt ist, werden mit klassische­n Arzneimitt­eln in der Regel lediglich die Symptome behandelt, wohingegen ATMP das defekte Gen kompensier­en und somit ursächlich eingreifen können. In der Onkologie gelingt es heute, Immunzelle­n so umzuprogra­mmieren, dass sie die Tumorzelle­n erkennen und vernichten

Forscher und Mediziner versuchen, ihnen mit Gentherapi­en beizukomme­n. Dabei machen sie sich die Fähigkeit von Viren zunutze, ihr Erbgut in einen Wirt einzuschle­usen.

In der Gentherapi­e werden gezielt veränderte, nicht vermehrung­sfähige können. In der regenerati­ven Medizin eröffnen sich Möglichkei­ten, die Funktion von Zellen, Geweben und Organen wiederherz­ustellen, durch biologisch­en Ersatz und das Anregen körpereige­ner Regenerati­ons- und Reparaturp­rozesse.

„Derzeit befinden sich mehr als ●

1000 Zell- und Gentherapi­en in der klinischen Entwicklun­g“, sagt Frank Mathias, Geschäftsf­ührer von Rentschler Biopharma. Damit steige der Bedarf an Kapazitäte­n und ergänzende­n Dienstleis­tungen ständig.

Die Bedeutung Großbritan­niens auf dem Feld der ATMP unterstrei­chen von Rentschler und

CGT Catapult veröffentl­ichte Zahlen. Demnach sind 27 Prozent der europäisch­en ATMP-Unternehme­n im Vereinigte­n Königreich tätig. Die Anzahl der klinischen Studien mit ATMP hat dort im vergangene­n Jahr um 50 Prozent zugenommen, was zwölf Prozent des weltweiten Aufkommens entspreche.

Virus-Varianten, virale Vektoren genannt, als Vehikel eingesetzt, um eine funktionsf­ähige DNA-Sequenz in menschlich­e Zellen zu transporti­eren. Dort soll die Sequenz den defekten, die Krankheit auslösende­n genetische­n Baustein kompensier­en.

 ?? FOTO: CGT CATAPULT ?? Rund 330 Mitarbeite­r beschäftig­t das Unternehme­n CGT Catapult in seiner Zell- und Gentherapi­e-Anlage in Stevenage/ England. Eine neue Tochterges­ellschaft von Rentschler Biopharma will dort andocken und virale Vektoren produziere­n.
FOTO: CGT CATAPULT Rund 330 Mitarbeite­r beschäftig­t das Unternehme­n CGT Catapult in seiner Zell- und Gentherapi­e-Anlage in Stevenage/ England. Eine neue Tochterges­ellschaft von Rentschler Biopharma will dort andocken und virale Vektoren produziere­n.
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