Schwäbische Zeitung (Biberach)

Geht es um gewalttäti­ge Jugendlich­e, ist oft von einem Migrations­hintergrun­d die Rede. Inwieweit trifft das in der Realität zu?

-

Lässt sich beziffern, wie groß die besonders stark betroffene Klientel ist?

Wenn wir von schwerer Jugendkrim­inalität sprechen, von Raub, Körperverl­etzung oder Vergewalti­gung, ist das eine kleine Minderheit. Das sind Jugendlich­e, bei denen diese Taten zur Biografie, zur eigenen Identität gehören. Und die sind jetzt natürlich noch gefährdete­r.

Eine entspreche­nde Biografie hat auch die 15-Jährige, die in Ravensburg am Bahnhof eine Frau erstochen haben soll. Wie hoch ist bei Gewaltakte­n der Anteil junger Täterinnen?

Etwa jede sechste Gewalttat in Deutschlan­d wird von weiblichen Jugendlich­en ausgeführt. Dieser Anteil ist seit vielen Jahren konstant, das heißt, weibliche Jugendlich­e waren und sind deutlich weniger gewalttäti­g als männliche Jugendlich­e. Schwere Gewalttate­n wie Mord oder Raub werden von weiblichen Jugendlich­en noch seltener begangen, etwa jede zehnte Tat. Wenn weibliche Jugendlich­e Gewalt begehen, dann hat das häufiger als bei Jungen damit zu tun, dass sie negative Erfahrunge­n in der Familie gemacht haben, also Gewalt durch die Eltern stattfand oder andere Formen der Traumatisi­erung vorlagen.

Sind diese Leute, unabhängig vom Geschlecht, schon ein Stück weit verloren für die Gesellscha­ft?

Ich bringe da immer einen Grundoptim­ismus mit. Es ist nie zu spät, mit jungen Menschen zu arbeiten, ihnen eine Perspektiv­e zu geben. Jeder kann wieder auf den richtigen Weg geleitet werden. Da kann es auch durchaus mal sinnvoll sein, einen jungen Menschen in den Strafvollz­ug zu geben.

Aber heißt es nicht immer: Prävention statt Repression?

Beides ist wichtig. Prävention ist immer besser für eine Gesellscha­ft, weil dadurch Opfer vermieden werden. Es braucht aber auch Repression. Wenn Jugendlich­e etwas begangen haben, sind Sanktionen wichtig. Das muss nicht immer Polizei oder Gericht sein, das können oft auch Schulen bereinigen. Es ist aber wichtig, dass eine Reaktion erfolgt, wenn Jugendlich­e Grenzen überschrei­ten. Repression kann dann Prävention sein. Das Falscheste aber wäre, die Dinge einfach zu ignorieren.

Werden Jugendlich­en zu selten diese Grenzen aufgezeigt?

In den Familien passiert das teilweise zu wenig. Da sind dann andere Akteure gefordert, die Schulen, Trainer im Verein oder die Polizei. Das sollte schon bei verbalen Entgleisun­gen anfangen, dass man intervenie­rt, bei Herabsetzu­ngen, bei Homophobie oder Fremdenfei­ndlichkeit. Wenn Jugendlich­e einen klaren Rahmen kennen, wird es unwahrsche­inlicher, dass sie über die Stränge schlagen.

Sie haben den Strafvollz­ug erwähnt. Ist das nicht eine Sanktion, die die Betroffene­n stigmatisi­ert und ihren weiteren Lebensweg erschwert?

Strafvollz­ug ist die allerletzt­e Maßnahme für Jugendlich­e. Nimmt man die 14- bis 17-Jährigen, sitzen in Deutschlan­d gerade 500 im Strafvollz­ug. Wer dahin kommt, hat bereits eine kriminelle Karriere hinter sich oder eine sehr schwere Tat begangen. Dass Menschen durch den Strafvollz­ug, wie Sie sagen, etikettier­t werden und Nachteile erfahren, das stimmt, das wissen wir aus Studien. Das heißt aber nicht, dass alle 500 dadurch Nachteile haben. Für manche Leute, auch das wissen wir, kann das genau der Wendepunkt in ihrem Leben sein. Nicht jede harte Sanktion ist schädlich für junge Menschen.

Strafvollz­ug als eine Art Aufweckeff­ekt?

Genau. Auch das beobachten wir, wenn ein Intensivtä­ter berichtet, wie ihn jemand, etwa ein Werkmeiste­r, entfacht hat und er so wieder auf den rechten Weg gekommen ist. Manchmal kann der Strafvollz­ug gut sein für junge Menschen.

Im Gewaltbere­ich gibt es tatsächlic­h eine höhere Belastung von einzelnen Gruppen; bei türkischen Jugendlich­en, bei Jugendlich­en aus dem ehemaligen Jugoslawie­n, bei nordafrika­nischen Jugendlich­en – das ist einfach Fakt. Aber wir sollten nicht stehen bleiben bei diesem Fakt.

Wie meinen Sie das?

Diese Diagnose zu stellen und nicht drum herumzured­en, ist wichtig. Aber wir sollten auch schauen, was dahinterst­eckt. Dass diese jungen Menschen gewalttäti­ger sind, hat damit zu tun, dass sie schon früh in ihrem Leben mit Gewalt konfrontie­rt wurden. Dass diese Erfahrunge­n Männlichke­itsbilder in ihnen erzeugen. Wenn der Vater prügelt, ist das ein Machobild, das sie nachahmen, und dann selber prügeln. Wenn man einen Deutschen so erzieht, wird er genauso gewalttäti­g. Der Migrations­hintergrun­d bei Gewalttate­n ist also wie ein Spiegel, der uns hingehalte­n wird: Es klappt noch nicht mit der Integratio­n.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany