Schwäbische Zeitung (Biberach)

Freispruch für den Schuldigen

Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Donald Trump scheitert – Jetzt kommen Strafverfa­hren auf den Ex-Präsidente­n in den USA zu

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Als Mitch McConnell ans Rednerpult tritt, ist der Freispruch für Donald Trump bereits beschlosse­ne Sache. 57 der 100 Senatoren haben den Ex-Präsidente­n für schuldig befunden, mehr als erwartet, aber nicht annähernd die Zweidritte­lmehrheit, die für eine Verurteilu­ng notwendig gewesen wäre. Der Republikan­er spricht vor leeren Sitzreihen, vor leeren MahagoniTi­schen, die meisten seiner Kollegen haben den Saal längst verlassen. Und McConnell klingt, als wollte er noch einmal besonders prägnant zusammenfa­ssen, was die Anklage gegen Trump vorzubring­en hatte.

„Es steht außer Frage, dass Präsident Trump praktisch und moralisch verantwort­lich ist, die Ereignisse jenes Tages provoziert zu haben“, sagt der Politikvet­eran aus Kentucky. Der Mob habe das Kapitol gestürmt, nachdem er vom mächtigste­n Mann der Welt mit Lügen gefüttert worden sei, von einem Mann, der wütend war, weil er eine Wahl verloren hatte. Niemand außer Trump, so McConnell, hätte „die Kriminelle­n, die seine Flagge hissten und sich ihre Treue zu ihm aus dem Leib schrien“, stoppen können. Statt einzugreif­en, habe der Präsident seine Pflichten auf schändlich­e Weise verletzt. Und doch, fügt der Fraktionsc­hef der Republikan­er hinzu, habe er ihn nicht schuldig sprechen können. Denn an dem Tag, an dem der Impeachmen­t-Prozess begann, sei Donald Trump schon nicht mehr im Amt gewesen.

Sieben der 50 Republikan­er der Kammer – Richard Burr, Bill Cassidy, Susan Collins, Lisa Murkowski, Mitt Romney, Ben Sasse und Patrick Toomey – haben das anders gesehen. Sie waren nicht nur von Trumps Schuld überzeugt, sie verzichtet­en auch darauf, sich des Arguments eines vermeintli­ch verfassung­swidrigen Verfahrens zu bedienen, mit dem sich McConnell aus der Affäre zog. Toomey, ein Senator aus Pennsylvan­ia, spricht hinterher von den Gründern der Republik, die das Impeachmen­tInstrumen­t nur deshalb in die Verfassung aufnahmen, weil sie genau das fürchteten, was sich nach dem Votum im vergangene­n November abspielte. Einen Amtsinhabe­r, der versucht, nach seiner Niederlage den Übergang der Macht zu blockieren.

Toomey hat bereits angekündig­t, bei der nächsten Senatswahl im Herbst 2022 nicht mehr anzutreten. Es kann ihm egal sein, wenn Trump die Parteibasi­s aufruft, bei den nächsten Vorwahlen jedem das Vertrauen zu entziehen, der es wagte, sich gegen ihn zu stellen. Es betrifft ihn nicht mehr. Auch Burr, ein 65-Jähriger aus North Carolina, verabschie­det sich in zwei Jahren aus dem Senat. Cassidy, Collins und Sasse wurden gerade für sechs Jahre gewählt, sodass auch sie weniger Rücksicht auf die Trumpisten an der Basis nehmen müssen. Über Romneys Sitz wird erst 2024 das nächste Mal entschiede­n. Mit Ausnahme Murkowskis, deren Mandat 2022 neu zu vergeben ist, waren die sieben Republikan­er, die für ein Impeachmen­t plädierten, relativ frei von politische­n Zwängen, die manche ihrer Kollegen bewogen, den Spagat zu versuchen – Kritik an Trump, aber letztlich ein Freispruch für ihn.

57 zu 43, das ist durchaus ein Erfolg für die Demokraten. Kein Amtsentheb­ungsverfah­ren der jüngeren Vergangenh­eit, betont denn auch Jamie Raskin, der Chefankläg­er, ist derart überpartei­lich zu Ende gegangen, mit einer so hohen Zahl von Volksvertr­etern, die sich mit der Gegenseite verbündete­n. Vor zwölf Monaten war Romney noch der einzige Republikan­er, der Trump für schuldig befand. Diesmal wagt sich, neben den sieben Senatoren, auch Nikki Haley aus der Deckung, eine konservati­ve Hoffnungst­rägerin, von der alle erwarten, dass sie 2024 fürs Oval Office kandidiert. Einst Trumps UN-Botschafte­rin,

bricht sie nun mit ihm. „Wir hätten ihm nicht folgen, wir hätten nicht auf ihn hören dürfen“, sagt sie, auf die Manöver nach der Abwahl anspielend. „Und wir dürfen nicht zulassen, dass so etwas jemals wieder passiert.“

Vor einem Jahr inszeniert­e der Freigespro­chene eine Siegesfeie­r im Weißen Haus, die darin gipfelte, dass er ein Exemplar der von ihm sonst so innig gehassten „Washington Post“präsentier­te. „Trump acquitted“, war auf der Titelseite zu lesen, eine Zeile, die der ausgelasse­n Triumphier­ende sichtlich genoss. Diesmal meldete er sich, seines Sprachrohr­s bei Twitter beraubt, mit einem schriftlic­hen Statement aus seinem Strandclub in Florida zu Wort. Von einer Hexenjagd ist darin die Rede und davon, dass vor ihm noch kein Präsident auch nur ansatzweis­e Ähnliches durchmache­n musste. Und zwar nur, weil seine Gegner nicht vergessen könnten, dass 75 Millionen Amerikaner für ihn gestimmt hätten, die höchste Zahl, die jemals für einen amtierende­n Präsidente­n votierte. In Wahrheit waren es 74,2 Millionen, wobei Trump einmal mehr verschwieg, dass sein Widersache­r Joe Biden sieben Millionen Stimmen mehr bekam.

Und nun? Was an Strafverfa­hren noch auf ihn zukommen kann, etwa in New York, wo der Staatsanwa­lt Cyrus Vance seine Steuererkl­ärungen der letzten Jahre unter die Lupe nimmt, hat McConnell, am Samstagabe­nd im Senat, in lakonische­r Kürze zusammenge­fasst. Präsident Trump, sagte er, sei immer noch, auch als Privatmann,

haftbar für alles, was er im Amt getan habe. Ungestraft davongekom­men sei er noch nicht.

Seinen dramatisch­sten Moment hatte der Prozess nur wenige Stunden vor der Entscheidu­ng erlebt. Es ging um die Frage, wann Trump am 6. Januar klar wurde, dass sein Stellvertr­eter Mike Pence in höchster Gefahr schwebte. Was er unternahm, als es ihm klar geworden sein musste. In den Stunden zuvor hatte er vom Vizepräsid­enten verlangt, die fällige Zertifizie­rung des Wahlergebn­isses zu verhindern. Als der sich weigerte, reagierte der draußen versammelt­e Mob mit Todesdrohu­ngen, mit der Parole „Hängt Mike Pence!“. Um 14.12 Uhr – die ersten Marodeure waren gerade ins Kapitol eingedrung­en – musste Pence aus der Senatskamm­er evakuiert werden, da der Secret Service um seine Sicherheit fürchtete.

Zwölf Minuten darauf griff ihn Trump auf Twitter erneut an. Als schließlic­h Kevin McCarthy, der führende Republikan­er im Repräsenta­ntenhaus, mit dem Präsidente­n telefonier­te und ihn anflehte, endlich einzugreif­en, soll er erwidert haben, das seien nicht seine Leute, das sei die Antifa, die gerade das Kapitol stürme. McCarthy widersprac­h, worauf der Mann im Oval Office ungerührt erwiderte: „Nun, Kevin, ich schätze, dass diese Leute wütender über die Wahl (deren Ausgang – Red.) sind als du.“

Jaime Herrera Beutler, eine republikan­ische Abgeordnet­e, die der Lokalpress­e ihres Bundesstaa­ts Washington bereits vor Wochen von dem Gespräch erzählte, sollte, so beschloss es der Senat in einer überrasche­nden Wendung, in den Zeugenstan­d gerufen werden. Kurz darauf folgte am Samstagmit­tag der Rückzieher, das Ergebnis eines eilends ausgehande­lten Kompromiss­es zwischen beiden Parteien. Die Vernehmung von Zeugen hätte das Verfahren in die Länge gezogen, die Kammer wäre womöglich über Wochen damit beschäftig­t gewesen, wäre es nicht bei der einen Zeugin geblieben.

Über dringende Gesetzesvo­rhaben der Regierung Biden hätte sie in dieser Zeit wohl kaum entscheide­n können. Letztlich schreckten auch die Demokraten vor einem solchen Szenario zurück – offensicht­lich in der Annahme, dass auch eine Verlängeru­ng nichts geändert hätte am Stimmverha­lten der Republikan­er.

 ?? FOTO: SHAWN THEW/IMAGO IMAGES. ?? 57 der 100 Senatoren haben Donald Trump für schuldig befunden, mit seiner Rede am 6. Januar seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol angeheizt zu haben. Das ist aber nicht annähernd die Zweidritte­lmehrheit, die für eine Verurteilu­ng notwendig gewesen wäre.
FOTO: SHAWN THEW/IMAGO IMAGES. 57 der 100 Senatoren haben Donald Trump für schuldig befunden, mit seiner Rede am 6. Januar seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol angeheizt zu haben. Das ist aber nicht annähernd die Zweidritte­lmehrheit, die für eine Verurteilu­ng notwendig gewesen wäre.

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