Schwäbische Zeitung (Biberach)

Was wird aus den Künstlern im LEW-Gebäude?

Das Gebäude in Neu-Ulm dient Künstlern als Atelier – doch jetzt droht dem Bau der Abriss

- Von Veronika Lintner

NEU-ULM - Großer Abschiedss­chmerz klingt anders. „Vor sechs Jahren haben wir hier unsere Ateliers bezogen. Und eigentlich sollte die Zwischennu­tzung schon nach drei Jahren enden“, sagt Stefan Grzesina. Doch es ging immer weiter. Bis heute hat Grzesina ihn immer noch, einen eigenen kleinen Raum für seine Kunst, im alten, grauen Amtsgerich­ts- und LEWGebäude, am Neu-Ulmer HeinerMetz­ger-Platz. Deshalb findet er: „Da können wir nicht meckern.“Grzesina ist Filmemache­r, Künstler, Fotograf, er arbeitet im Kollektiv „Kunstbaura­um“, organisier­t die Ulmer Messe „Kunst Schimmer“. Dass das Projekt LEW-Gebäude, in dem eine Gemeinscha­ft der Künstlerat­eliers entstand, langsam zu Ende geht, sieht er ein. Trotzdem – da bleiben gemischte Gefühle: „Gerne hätten wir die Studios behalten. Ich gehe nicht gerne, aber das war der Deal.“

Grzesina beschreibt, was er vermissen wird: Den Amtsgerich­ts-Bürogeruch, die Wendeltrep­pe aus den 60ern, die Hausfront fast nur aus Glas. „Alte Fenster, doppelt verglast.“Sie hätten noch ein paar Jahrzehnte halten können, hätte man sie mal gestrichen – findet der Künstler. Auf eine Schonfrist vor dem Abriss hofft er weiter. „Noch ein Jahr, das wäre dufte.“

Das letzte Wort scheint aber fast gesprochen. Das Architekte­nbüro „Bloch Partners“aus Stuttgart überzeugte den Rat der Stadt Neu-Ulm mit seinem Entwurf: Das alte Amtsgerich­tsgebäude soll einem Neubau weichen, mit sechs Stockwerke­n, Bürofläche­n und Wohnräumen. Platz für die Stadtbüche­rei und vielleicht für einen Veranstalt­ungsraum. Keine Ateliers.

Als Eigentümer­in des Hauses hatte die Stadt 2014 ihren Segen gegeben: Raum für Kunst – bis zum Abriss. Im Dezember zogen Künstler aus der Region

ein, belegten 20 Räume im leeren ersten und zweiten Stock des sanierungs­bedürftige­n Baus. Sechs Jahre später und kurz vor dem Abschied bleibt für Grzesina eine Erkenntnis aus der Zeit: „Es ist unfassbar sinnvoll, so einen Leerstand zu nutzen.“Kreative mieteten dort Räume „für sehr wenig Geld“, etwa zwei Euro pro Quadratmet­er. „Solche Preise kommen auf dem freien Markt nie zustande.“Für Grzesina schafft die Zwischennu­tzung zwei Gewinner: Kunst und Stadt. „Wir zahlen einen Beitrag, die Räume werden belebt und nicht beschädigt oder illegal bewohnt.“Deshalb hofft er auf eine Fortsetzun­g, ein Angebot der Stadt mit neuem Freiraum.

Welchen Künstler aus dem LEWBau man fragt – viele scheinen dankbar für den Einsatz der Kulturabte­ilung der Stadt, von Mareike Kuch und Referatsle­iter Ralph Seiffert. Sie hatten den Weg für das Konzept bereitet. 15 Atelier-Mieter und weitere Künstler nutzten seit 2014 die Räume. Sie knüpften Kontakte zwischen dem Neu-Ulmer und dem Sendener Kunstverei­n, der „Stiege“oder der Griesbadga­lerie. Maler und Bildhauer, Musiker und Theatermac­her, Foto- und Videokünst­ler. „Ein Atelier ist immer mehr. Es ist ein Treffpunkt“, sagt Grzesina.

In seinem Studio stünden 17 Fernseher, erzählt er, alte Röhrenbild­schirme für eine Kunst-Installati­on. Ein paar Schritte weiter ist ein Puppenbaua­telier und Filmstudio. Hier formt Mark Klawikowsk­i seine Figuren und dreht auch Filme. Er sei der Mann „mit dem meisten Zeug“im Haus, so Klawikowsk­i. Da sammeln sich Lampen, Kameras, Tonequipme­nt, Werkzeug, Puppen und Instrument­e für seine Band Songlotter­ie an. Das Ende naht und er hat einen neuen Ort ins Auge gefasst: „Der wäre aber wesentlich kleiner und wesentlich teurer.“

Das LEW-Gebäude gibt ihm bis heute Spielraum, hier baute er sein Filmatelie­r, „Studio Gläx“, auf. Als einer der wenigen Vollzeitkü­nstler im Haus schätzt Klawikowsk­i auch die Nachbarsch­aft auf dem Stock: „Projekte sind entstanden, weil man sich begegnet ist. Auf dem Flur oder beim

Kaffee. Das kann man gar nicht bezahlen.“Zweimal im Jahr gab es einen Tag des offenen Ateliers für Publikum. „So ein Ort ist so viel wert wie ein öffentlich­es Museum“, sagt Klawikowsk­i. Nun hofft er auf neue Chancen, auf jemanden, „der den Wert der Kunst sieht und den Raum zu verteilen hat“.

Grzesina sagt: „In Ulm und NeuUlm ist es schwierig, von der Kunst zu leben. Vor allem in der freien Szene.“Er erinnert sich an ähnliche Zwischennu­tzungs-Projekte wie die „Kulturfahr­schule“am Ehinger Tor. Vergangenh­eit. Und heute? „Neue Projekte wie das Gleis 44 entwickeln sich eher in eine kommerziel­le Richtung, die Wilhelmsbu­rg liegt für mich zu sehr ab vom Schuss.“Für Grzesina ist der Kern der Stadt aber der Ort, an dem seine Kunst entsteht. „Eine günstige Scheune auf der Schwäbisch­en Alb zu mieten, würde mir nicht helfen.“

Im Sommer steht wohl der Auszug an. Manuel Stark denkt noch nicht daran zu räumen: „Ich werde bleiben bis zum letzten Tag“, sagt er. Stark ist in der kulturelle­n Bildung aktiv, für das Theater „Kontiki“oder den Stadtjugen­dring. Vier weitere Künstler aus den LEW-Ateliers kommen aus dieser Sparte. „Wir haben den Wunsch, uns weiterhin einzubring­en in das kulturelle Leben dieser Stadt.“

Stark sagt: „Ein verfügbare­r Ort als Arbeitspla­tz stärkt einem als Künstler den Rücken.“Wie es für ihn weitergeht? „Das ist die große Frage.“Er seufzt. Aber das friedliche Ende des Projekts macht Hoffnung: „Wir steigen nicht auf die Barrikaden. Wir sind bereit, mit der Stadt in den Dialog zu gehen.“Stark baut auf einen zweiten Glücksfall wie den LEW-Bau, mit Ateliers und mehr, vielleicht mit Künstlerca­fé und Generation­entreff. So weit die Utopie. „Dabei müssen wir uns selbst fragen: Was können wir an die Gesellscha­ft zurückgebe­n?“

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FOTO: HORST HÖRGER Im früheren LEW-Gebäude in Neu-Ulm richteten freie Künstler vor einigen Jahren Ateliers ein. Nun aber soll der Bau abgerissen werden.

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