Schwäbische Zeitung (Biberach)
Sollten Sportler bevorzugt geimpft werden?
Auch wenn die Verantwortlichen des FC Bayern München mit ihren jüngsten Äußerungen öfter daneben als richtig lagen und vor allem die
Art und Weise nicht selten zu beanstanden war, kann man dem Vorschlag zumindest einen wahren Gedanken nicht absprechen. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hatte gesagt: „Lässt sich beispielsweise ein Spieler des FC Bayern impfen, wächst das Vertrauen in der Bevölkerung.“Nun kann man im ersten Affekt draufhauen und den Bossen einmal mehr Abgehobenheit vorwerfen, ihnen unterstellen, sie wollen nur ihr Produkt schadlos halten und die Gelddruckmaschienerie irgendwie am Laufen. Millionäre, die sowieso alles dürfen, Verbote ignorieren und sich nun auch noch beim Impfen vordrängeln. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Die Frage bei allem ist nämlich, wann diese Impfung erfolgen soll. Zum aktuellen Zeitpunkt ergibt das natürlich wenig Sinn. Achtzigjährige, die in Telefonschleifen für die Terminvergabe festhängen und mitunter aus Impfstoffmangel vertröstet werden müssen, während die Modellathleten sich mal eben fix ihre Dosis abholen, wäre ein Schlag ins Gesicht jedes gerechtigkeitsliebenden Menschen. Doch wird es – hoffentlich bald – auch eine andere Zeit geben. Eine Zeit, in der ausreichend Impfstoff vorhanden ist und es vor allem darum geht, genügend Menschen für das Unterfangen zu gewinnen. Denn nur wenn ein Großteil geimpft und damit immun ist, wird das Coronavirus endgültig geschlagen und kann die Normalität zurückkehren. Hierbei könnten Sportstars helfen. Denn in Zeiten, in denen Impfverweigerung weit verbreitet ist und das Risiko oft kleingeredet wird, könnten „die da oben“ein gutes Beispiel sein. Auch wenn es für viele schwer vorstellbar ist, aber Sportler und auch Fußballer sind Vorbilder. Ein Robert Lewandowski erreicht bei Instagram mit einem Bild 20 (!) Millionen Menschen, ein Lionel Messi hat gar 184 Millionen, die ihm dort folgen. Wenn Sportstars wirklich dabei helfen können, Impfskepsis abzubauen, dann kann es nur ein Motto geben: Arm frei und ran! Dass die Wettbewerbsverzerrung – bei infizierten und wochenlang ausfallenden Profis – ebenfalls abgeschafft würde, wäre ein netter Nebeneffekt. Wenn sich Rummenigge darüber dann am meisten freut, dann sei es drum.
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Nein, neu ist diese Masche wahrlich nicht: Um ihre Ziele zu erreichen, greifen Sportfunktionäre nur allzu gern zur ganz großen Keule. IOC-Präsident Thomas Bach ruft Olympia-Starter zum Impfen auf. Man wolle auch aus „Rücksicht auf das japanische Volk“ein möglichst coronafreies Olympia gewährleisten. BayernBoss Karl-Heinz Rummenigge fordert gar, dass Sportler bevorzugt geimpft werden. Nicht etwa aus Eigeninteresse, um das Millionengeschäft Fußball gefahrlos weiterbetreiben zu können, sondern als Dienst an der Gesellschaft. „Fußballer könnten als Vorbild einen gesellschaftlichen Beitrag leisten“und die Impfbereitschaft steigern.
Nun klingen diese Ansätze auf den ersten Blick gar nicht einmal so unvernünftig. Das Problem ist nur, dass weder Bach, noch Rummenigge, noch viele weitere Sportfunktionäre in der Vergangenheit für ihren Altruismus bekannt waren. Zur Erinnerung: Seine weitgehende Sonderbehandlung in der Pandemie, in der sich Fußballer nach gewonnenen Champions-League-Spielen, für die sie durch halb Europa gereist sind, in den Armen liegen und auch Handballer für eine WM um den Erdball fliegen durften, hat der Sport nicht etwa einer Systemrelevanz, sondern eher erfolgreicher Lobbyarbeit zu verdanken. Im Werben für die eigenen Hygienekonzepte haben Interessensvertreter des Sports unermüdlich die Unbedenklichkeit betont: Es gehe schließlich um junge, fitte, kerngesunde Menschen.
Wenn aber nun ebenjene jungen, fitten, kerngesunden Menschen einen bevorzugten Zugang zu einem Impfstoff erhalten sollen, der vorrangig für ältere, nicht mehr so fitte und besonders gefährdete Menschen gedacht ist, dann ist das ein spalterischer Vorschlag und zeigt, dass die Sportfunktionäre im Zuge jahrelanger Selbstüberhöhung den Kontakt zur Lebensrealität ihres Publikums verloren haben.
Zudem kommen Vorstöße zur absoluten Unzeit. Zu einem Zeitpunkt, in dem weltweit jede Minute zehn Menschen in Zusammenhang mit einer Corona-Infektion sterben und viele ärmere Länder noch nicht einmal mit dem Impfen beginnen konnten, führt eine Bevorzugung der Sportler sicher nicht zu einer größeren Impfbereitschaft – sondern maximal zu einer zunehmenden Abkehr vom Profisport.
„Es gibt nur ein Motto: Arm frei
und ran!“
„Kontakt zur Lebensrealität
verloren.“