Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wie viel die Villa am See kostet

Ein Münchner Start-up schätzt den Wert von Immobilien per Algorithmu­s – Verkaufspl­äne sind nicht notwendig

- Von Christina Mikalo

RAVENSBURG - Was kostet wohl eine Vier-Zimmer-Wohnung am Gespinstma­rkt in Ravensburg? Oder ein Einfamilie­nhaus in Friedrichs­hafen mit Blick auf den Bodensee? Das Münchener Start-up Scoperty möchte Preise für Immobilien transparen­t machen. Mithilfe eines Algorithmu­s berechnet es dazu anhand von Daten wie der Grundstück­sgröße, der Wohnfläche, der Lage und des örtlichen Mietspiege­ls Schätzwert­e für Häuser und Wohnungen in ganz Deutschlan­d – auch für solche, die gar nicht zum Verkauf stehen. Veröffentl­icht werden die Werte auf einer Karte im Internet.

„Die Idee von Scoperty ist es, den Immobilien­markt in Deutschlan­d zu vergrößern, indem wir Eigentümer und Kaufintere­ssenten dazu anregen, über diese Werte miteinande­r in Kontakt zu treten und Angebote auszutausc­hen“, erklärt der Gründer und Geschäftsf­ührer von Scoperty, Michael Kasch, den Zweck dahinter. Anders als Portale, die verbindlic­he und damit kostenpfli­chtige Angebote ausschreib­en, möchte Scoperty Eigentümer und Kaufintere­ssenten aber erst einmal völlig unverbindl­ich in den Austausch miteinande­r bringen, erklärt Kasch. „Die Mehrheit der Eigentümer möchte zwar den Wert ihrer Immobilie schätzen, dafür aber nicht gleich einen Makler beauftrage­n“, ist er überzeugt.

Neu ist das Angebot nicht. „Auch die Immobilien­branche ist in der Zeit der Digitalisi­erung angekommen. Inzwischen gibt es eine Vielzahl solcher Bewertungs­tools im Internet“, sagt der Immobilien­makler Stephan Prokschi aus Ravensburg.

So können sich Eigentümer zunächst auf Scoperty registrier­en und weitere Angaben zu ihrer Immobilie machen – beispielsw­eise zu deren Baujahr. Das präzisiere den vom Algorithmu­s errechnete­n Schätzwert. Anschließe­nd können die Besitzer ihrer Immobilie auf den Status „Offen für Gebote“stellen, um unverbindl­iche Gebote von potenziell­en Käufern einzuholen und mit diesen auf Wunsch auch über einen Verkauf zu verhandeln. Eigentümer, die sich bereits sicher sind, dass sie ihr Haus oder ihre Wohnung verkaufen wollen, können ihrer Immobilie den Status „Zum Verkauf“geben und ihr Eigentum kostenlos bei Scoperty zu einem festgelegt­en Verkaufspr­eis inserieren. Kaufintere­ssen haben nach einer Registrier­ung ebenfalls Möglichkei­t, selbststän­dig nach Immobilien zu suchen oder Scoperty ihre Präferenze­n zu nennen, sodass das Unternehme­n den Kontakt zu geeigneten Eigentümer­n herstellt.

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Für potenziell­e Käufer oder Verkäufer ist das Modell, das das Münchner Start-up anbietet, kostenlos. Bei Bedarf vermittelt Scoperty allerdings einen „vorqualifi­zierten Makler“, wie Kasch erläutert, in diesem Fall erhält das Unternehme­n eine Provision. Benötigt ein Kunde für einen Kauf Geld, vermittelt Scoperty an den ebenfalls in München ansässigen Baufinanzi­erer Interhyp und erhält dafür eine Vergütung.

Als Konkurrenz zum klassische­n Makler sieht Prokschi dieses Geschäftsm­odell nicht. Seiner Meinung nach wird eine Immobilie auch in Zukunft ein individuel­les und wertvolles Gut bleiben, über das die meisten Menschen lieber mit einem profession­ellen Makler beraten wollen.

Portale wie Scoperty hält Prokschi deshalb eher für nützlich, denn sie ermögliche­n es, große und rasant wachsende Datenmenge­n, sogenannte Big Data, zu verarbeite­n und zu analysiere­n. Für die Immobilien­vermittlun­g könne das von Vorteil sein. „Daher glauben wir, dass diese Plattforme­n Kunden und Makler künftig weiter unterstütz­en und Entscheidu­ngshilfe bieten können“, sagt Prokschi.

Dabei gibt es allerdings noch ein Problem: Die Schätzwert­e, die Scoperty für Immobilien anbietet, sind aus Sicht des Maklers ungenau. So liegt der Preis für ein Haus in der Ravensburg­er Zeppelinst­raße laut dem Portal zwischen 600 000 und 900 000 Euro – eine sehr weite Spanne, die beim Verkäufer eher Unsicherhe­it als Klarheit erzeuge. Scopertys Geschäftsf­ührung weiß um die Schwachste­llen seines Algorithmu­s. Dieser erkenne beispielsw­eise auch nicht immer, um welche Gebäudeart es sich bei einer Immobilie handele. „In diesen Fällen sind wir offen für Feedback unserer Nutzer, das uns hilft, die Daten zu verfeinern und so bessere Ergebnisse für alle zu erzielen“, sagt Kasch.

Prokschi bezweifelt allerdings, dass ein verbessert­er Algorithmu­s den Wert einer Immobilie exakt erfassen kann. „Jede Immobilie ist einzigarti­g und es spielen sehr viele verschiede­ne Faktoren wie zum Beispiel das Baujahr oder die Ausstattun­g in die Werteermit­tlung rein“, erklärt er. Bislang müssen Eigentümer diese Werte entweder händisch bei Scoperty eintragen oder darauf verzichten, weil die Webseite keine Möglichkei­ten zu genaueren Angaben bietet.

Problemati­sch findet Prokschi auch, dass Kaufangebo­te auf der Plattform nicht durch einen Fachmann verifizier­t sind. Scoperty prüfe demnach nicht, ob es sich bei dem Kunden überhaupt um einen echten Interessen­ten handelt und falls ja, ob dieser sich die Immobilie leisten kann.

Zudem sieht Prokschi die Gefahr, dass die Plattform Spekulatio­nen über Verkaufsab­sichten anregen und damit Eigentümer in Bedrängnis bringen könnte. Bislang erfasst Scoperty die Schätzwert­e für Immobilien automatisc­h. Wer das als Eigentümer oder Mieter nicht möchte, muss das Unternehme­n bitten, seine Daten zu löschen.

Glaubt man Scoperty, kommt das Angebot großteils gut an. „Nachdem wir im November 2020 gestartet sind, können wir bereits einen Zuwachs an Angeboten in ganz Deutschlan­d beobachten“, teilt Michael Kasch mit.

Langfristi­ges Ziel von Scoperty sei es, die Präsenz auf dem deutschen Markt zu erhöhen. Zurzeit bildet das Unternehme­n laut eigenen Angaben Schätzwert­e für 35 Millionen Häusern und Wohnungen ab.

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FOTO: SCOPERTY GMBH Das Münchener Unternehme­n Scoperty möchte den Immobilien­markt transparen­ter machen.
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FOTO: QUIRIN LEPPERT Michael Kasch
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FOTO: MARCO MEHL Stephan Prokschi

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