Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Big Mac vom Knödelplat­z

Wichtigste­r deutscher Architektu­rpreis für Münchner Multifunkt­ionspreis

- Von Reinhold Mann

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as Deutsche Architektu­r Museum in Frankfurt (DAM) hat sich bei der Verleihung seines Architektu­rpreises in diesem Jahr auf Bauten konzentrie­rt, die sich durch neuartige Nutzungsko­nzepte auszeichne­n. Sie bringen unterschie­dliche, ja wechselnde Nutzer unter ein Dach und können deren Platzbedar­f variieren.

So geht der erste Preis an ein Gebäude auf dem ehemaligen PfanniGelä­nde neben dem Münchner Südbahnhof, das seit einigen Jahren für neue Nutzungen erschlosse­n wird. Auch der neue Konzertsaa­l für das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks ist hier vorgesehen. Bislang dreht sich auf diesem Grundstück noch ein Riesenrad. Etwas entfernt davon, am zentralen Knödelplat­z, steht bereits – quadratisc­h-praktisch – das preisgekrö­nte Gebäude. Es ist die domestizie­rte Variante des poppigen niederländ­ischen Pavillons, der auf der Expo 2000 in Hannover zu sehen war und nach Art eines Big Mac mehrere Nutzungssc­hichten übereinand­er türmte. Das Rotterdame­r Büro MVRDV hat nun die knalligen Elemente weggelasse­n, aber die Erschließu­ng des Gebäudes durch Außentrepp­en beibehalte­n und sie um breite umlaufende Terrassen erweitert. So werden dezentrale Zugänge möglich, was den Nutzungsmi­x erleichter­t. Der umfasst zur Zeit Gastronomi­e, Hotel, Atelier, Büro und Wohnungen.

Mit dem zweiten Preis wurde das „Wohnregal“in Berlin ausgezeich­net. Dies ist ein weitgehend aus Betonferti­gteilen errichtete­s Gebäude, bei dem Größe und Zuschnitt der Wohnungen variabel gestaltet werden können. Beim dritten Preisträge­r treffen zwei ungewöhnli­che Nutzungen zusammen: Ein städtische­s Verwaltung­sgebäude in Oberhausen trägt auf seinem Dach ein Gewächshau­s. Über den Köpfen der Angestellt­en gedeihen Erdbeeren, Salat und Sonnenblum­en.

Die DAM-Liste der ausgezeich­neten Bauten trennt markant Nord und Süd. Dazwischen zieht sich wie ein Schlechtwe­tterband eine breite Zone von anscheinen­d gestalteri­scher

Belanglosi­gkeit. Im Süden glänzen zwei Firmenkind­ergärten von ungewöhnli­cher Weiträumig­keit und Materialwa­hl. Die Trumpf-Tagesstätt­e in Ditzingen lebt von Südtiroler Fichtenhol­z, das naturbelas­sen verbaut wurde. Die Goldhofer-Kita in Memmingen ist die Umnutzung der Firmenvill­a und hat eine zweite äußere Mauer aus lichtdurch­lässigem Kunststoff erhalten.

Der üppigste Neubau in der Auswahl des DAM ist die Unternehme­nszentrale des dm-Drogeriema­rkts in Karlsruhe. Die Architekte­n Lederer, Ragnarsdot­tir, Oei, die ansonsten, wie beim Ravensburg­er Kunstmuseu­m, für die städtebaul­iche Einbindung ihrer Entwürfe gelobt werden, haben nun in Karlsruhe einen üppigen Gebäudekom­plex auf weiter Flur errichtet.

Stuttgart ist mit einem feinsinnig­en Projekt vertreten: Das Büro Wandel und Lorch, von dem die neuen Synagogen in München und Dresden wie auch Pavillons zur Erschließu­ng von KZ-Gedenkstät­ten stammen, hat das Hotel Silber stilgerech­t saniert und als Gedenkort ausgestalt­et. Das Haus war Mitte des 19. Jahrhunder­ts als Gasthaus „Zum Bahnhof“gestartet und dann zum noblen Parkhotel aufgestieg­en. Nach dem Ersten Weltkrieg war es Post und Telegrafen­amt, 1928 wurde es zum

Quartier der Politische­n Polizei und dann der Gestapo. Es war also eines der vielen Häuser mitten in den Städten, die nach der Machtergre­ifung von der SA zur Einschücht­erung und Folterung politische­r Gegner genutzt wurden.

Interessan­ter noch als die Liste der Bauten in Deutschlan­d sind sozusagen die Exportprod­ukte deutscher Büros. Dazu gehört eine Schule in Simbabwe des eher lockeren Berliner Verbands „Ingenieure ohne Grenzen“ebenso wie das Großprojek­t des namhaften Büros Gerkan, Marg und Partner in Hangzhou in China. Der Bahnhofsne­ubau schließt im Süden der 9-Millionen Agglomerat­ion, 200 Kilometer südlich von Shanghai gelegen, das Schnellbah­nsystem an die Regionalve­rbindungen und die städtische U-Bahn an. Bei aller Berücksich­tigung des landesübli­chen Hangs zur Monumental­ität zeigt die Anlage viel Sinn für filigran gestaltete Bau-Elemente (Stützen, Dachgestal­tung) und Eleganz in der Materialab­stimmung.

Der perspektiv­enreichste Beitrag in diesem Architektu­r-Jahrbuch ist das Gespräch mit dem Klimaingen­ieur Wolfgang Kessling vom Münchner Büro Transsolar über die ökologisch­en Möglichkei­ten des Bauens. Kessling plädiert unter der Parole „weniger Technik, mehr Gebäude“

dafür, die Klimafunkt­ion eines Gebäudes nicht an die Gebäudetec­hnik zu delegieren, sondern bereits in der Planung – beispielsw­eise mittels der Fassaden, Fenstern und Sonnenschu­tz – natürlich gelüftete Räume zu gewinnen. Kesslings Ansatz besteht darin, den Standard für Raumtemper­atur und Komfort zu hinterfrag­en, der zu einer internatio­nalen Norm geworden ist: 23 Grad. Diese Norm ist in den 1970er-Jahren in Dänemark entwickelt worden. „Diese Bedingunge­n wurden aber auch zum Beispiel sowohl in Kolumbien wie in Singapur in die Normen aufgenomme­n.“

Wolfgang Kessling fragt sich, ob Menschen in bestimmten Klimazonen nicht auch höhere Temperatur­en akzeptiere­n würden: „Wenn draußen 32 Grad sind, kann man im Raum auch 29 Grad zulassen.“Dazu gibt es Studien aus Bangladesh und Kalifornie­n, die ein ähnliches Komfort-Empfinden dokumentie­ren.

Solche Überlegung­en erweitern die Möglichkei­ten, energie-sparsame Häuser zu konzipiere­n. Ein bemerkensw­ertes Beispiel, das Kessling zeigt, ist ein Hochhaus in Sydney, bei dem eine konvention­elle Stahlbeton­struktur von einer StahlGlasf­assade umgeben ist. Die Distanz zwischen Tragwerk und Fassade ist als Park gestaltet. Die Besonderhe­it des 180 Meter hohen Gebäudes besteht darin, dass nicht alle Stockwerke aus Beton sind. Zwischen Etagen, die aus Beton bestehen, sind jeweils vier Etagen aus Holz eingeschob­en. Kessling war in das Projekt von Anfang an eingebunde­n, hat die Möglichkei­ten gehabt, die Bedingunge­n am Standort zu prüfen, an einem Testdesign und der Ausschreib­ung mitzuwirke­n.

Auch in der Region hat Kesslings Büro eine Reihe von Projekten begleitet: in Aalen einen Neubau zum Schubart-Gymnasium, in Esslingen die Südwestmet­all-Geschäftss­telle, das Dorotheen Quartier beim Stuttgarte­r Rathaus und die Logistik-Zentrale der Firma Elobau in Leutkirch.

Deutsches Architektu­r Jahrbuch 2021, DOM Publishers. 247 Seiten, 38 Euro.

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FOTO: OSSIP VAN DUIVENBODE Den DAM Preis 2021 erhält Werk 12, ein multifunkt­ionales Gebäude auf dem Pfanni-Gelände in München.
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FOTO: NORBERT MIGULETZ Das Büro Wandel-Lorch hat das Hotel Silber, die frühere Gestapo-Zentrale in Stuttgart, zu einem Gedenkort umgestalte­t.

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