Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die olympischen Ringe locken
Der Ulmer Sportmediziner Jürgen Steinacker hat Flug und Quartier in Tokio längst gebucht
●
ULM - Die Flüge und das Quartier in Tokio sind längst gebucht. Professor Jürgen Steinacker, seit zwei Jahrzehnten Leiter der Sport- und Rehabilitationsmedizin an der Ulmer Uniklinik, rechnet fest damit, dass er knapp eine Woche vor der Eröffnungsfeier am 23. Juli zu den Olympischen Spielen in die japanische Hauptstadt reisen wird. „Eine Absage kann ich mir nicht vorstellen“, erklärt der Wissenschaftler und hält es dabei ganz mit dem dieser Tage wiedergewählten IOC-Präsidenten Thomas Bach: Nicht ob die Spiele stattfinden sei die noch offene Frage, sondern wie, hatte Bach sinngemäß erklärt.
Natürlich sei die Situation wegen Corona schwierig, sagt der Ulmer Wissenschaftler: „Aber noch einmal verschieben geht nicht, es ist heuer die letzte Möglichkeit.“Dabei träfe eine Absage nicht, wie vielfach argumentiert werde, insbesondere Sponsoren oder Fernsehsender. Steinacker ist überzeugt: „Leiden würden die Sportlerinnen und Sportler.“Zum einen diejenigen, die seit Jahren auf dieses Ziel hin trainieren: „Zum anderen die, deren Disziplinen wesentlich von den Olympia-Einnahmen profitieren.“
Die sogenannten Randsportarten eben. Oder, freundlicher formuliert, solche, die in der Regel nur selten in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rücken. Wie das Rudern etwa, dem sich der 65-Jährige nicht nur beruflich verbunden fühlt. „Früher habe ich gemeinsam mit Raimund Hörmann, Dieter Wiedenmann und Johannes Käufer trainiert“, erinnert sich der gebürtige Schorndorfer an seine sportliche Glanzzeit beim renommierten Ulmer Ruderclub Donau (URCD): „Zwei von uns wurden Olympiasieger, ich lieber Sportmediziner.“
Und schon bald Arzt der RuderNationalmannschaft, ein paar Jahre später dann Mitglied der Sportmedizinischen Kommission des Weltruderverbands FISA. Die FISA hat den 1985 „summa cum laude“promovierten Mediziner schließlich im August 2016 zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Was ihn in dieser Funktion in Tokio erwartet, kann er bei seinem inzwischen vierten OlympiaEinsatz nur bedingt abschätzen. „Das größte Problem wäre eine extreme Hitze“, sagt der erfahrene Fachmann. Schwierigkeiten könnte freilich auch ein jederzeit möglicher Taifun aufwerfen, insbesondere für die Wasserqualität der Regattastrecke.
Weniger Überraschungen erwartet Jürgen Steinacker dagegen in Sachen Corona. „Die Pandemie haben wir im Griff“, erklärt der Sportmediziner, alle notwendigen Schutzmaßnahmen seien vorbereitet, schon im Frühjahr 2020 wurden Rahmenempfehlungen speziell für seine Sportart erarbeitet. Unproblematisch ist aus Sicht der Experten das Rudern ohne Mund-Nasen-Schutz. „Virusübertragungen sind hier unwahrscheinlich“, sagt der Ulmer Wissenschaftler, eher denkbar seien sie bei sozialen Kontakten,
im Zimmer etwa, beim Essen oder bei Massagen. Dem werde freilich mit bewährten Maßnahmen stark vorgebeugt: Maskenpflicht auf dem gesamten Wettkampfgelände, Abstand, Desinfektionen. Überdies bewegten sich die Aktiven zumeist schon vorab in einer sicheren „Blase“. Zudem plädiert der Professor für eine schnellstmögliche Impfung der Aktiven: „Ich gehe davon aus, dass bis zum Sommer genügend Impfstoff für alle Impfwilligen zur Verfügung steht.“Dann sei diese Maßnahme auch moralisch zu rechtfertigen.
Unabhängig davon habe der Rudersport schon bisher mit ausgefeilten Hygienekonzepten eine Übertragung von Covid-19-Viren wirksam verhindert, unter anderem bei Europameisterschaften in Duisburg, Belgrad und Posen. Gleichwohl rechnet das URCD-Ehrenmitglied in Tokio mit ganz speziellen Spielen: „Wir unterliegen vor Ort ja auch starken Beschränkungen, wir dürfen nur die eigenen Veranstaltungen besuchen und sind ansonsten auf das Hotel fixiert.“Allerdings wird das Thema Corona den Wissenschaftler auch
Jürgen Steinacker nach seiner Rückkehr nicht loslassen. An der Ulmer Uni verantwortet er neben weiteren durchaus praxisrelevanten und sportspezifischen Themen auch ein Forschungsprojekt zum aktuellen Dauerbrenner. Die Fragestellungen betreffen postvirale Müdigkeitssymptome als Langzeitschäden von nicht richtig verarbeiteten Infekten. Jürgen Steinacker: „Das ist jetzt durch Corona natürlich in den Vordergrund getreten.“
„Ich gehe davon aus,
dass bis Sommer genügend Impfstoff für alle Impfwilligen zur
Verfügung steht.“