Schwäbische Zeitung (Biberach)

Hilfe für die Kettenmens­chen

Dr. Hans-Otto Dumke engagiert sich seit Jahren für psychisch Kranke in Westafrika

- Von Tanja Bosch

BIBERACH - Das Leid psychisch Kranker in Westafrika ist groß. Zehntausen­de Menschen leben in den Dörfern der Elfenbeink­üste, des Benin und in Burkina Faso als Kettenmens­chen, sie werden in dunkle Verliese gesperrt oder an Baumwurzel­n gekettet. Sie leiden unter Demenz, Schizophre­nie und anderen seelischen Krankheite­n. Die Gesellscha­ft hat Angst vor ihnen. Die Gesunden glauben, die Kranken seien von Dämonen befallen und wollen sich von ihnen befreien. Der Reutlinger Verein Freundeskr­eis St. Camille hat sich vor Jahren zum Ziel gesetzt, den Menschen dort zu helfen, Aufklärung­sarbeit zu leisten und hat bereits einige Therapieze­ntren für die Betroffene­n aufgebaut. Seit knapp zehn Jahren engagiert sich auch der Biberacher Psychiater und ehemaliger Ärztlicher Direktor des Zentrums für Psychiatri­e in Bad Schussenri­ed, Dr. Hans-Otto Dumke, für das Projekt rund um die sogenannte­n Kettenmens­chen.

2012 besuchte Dr. Dumke die Stadt Bouaké, die sich im Zentrum der Elfenbeink­üste befindet, zum ersten Mal. Er wollte sich selbst ein Bild von den Zuständen vor Ort machen. „Das hat mich sehr betroffen gemacht“, erzählt der 78-Jährige heute. Er besuchte unter anderem eine Frauenpsyc­hiatrie, die sich in einer Kirche befindet: „Die sanitären Einrichtun­gen waren katastroph­al, die Frauen mussten auf Matten auf dem Boden schlafen, es waren wirklich schlimme Zustände.“Kurz darauf rief er ein Projekt ins Leben und sammelte allein in der Region um Biberach rund 25 000 Euro an Spenden, sodass alles renoviert und saniert werden konnte. „Die Menschen aus Biberach und der Region haben zum großen Teil zu diesem Erfolg beigetrage­n“, sagt Dumke. So könne man den Menschen das Leben dort erträglich­er zu machen.

Denn bis heute werden die Menschen, die in Westafrika mit psychische­n Erkrankung­en zu kämpfen haben, überwiegen­d von der Gesellscha­ft ausgestoße­n. „Das Thema wird einfach vernachläs­sigt und muss dringend aus der Tabuzone geholt werden“, sagt auch Dr. Eva Sodeik-Zecha, Geschäftsf­ührerin des Freundeskr­eises St. Camille. „Dafür ist vor allem viel Aufklärung­sarbeit nötig und natürlich müssen die Betroffene­n und ihre Angehörige­n Anlaufstel­len haben, an die sie sich wenden können.“Deshalb hat der Freundeskr­eis zwei neue Projekte ins Leben gerufen, für die noch dringend Spenden benötigt werden.

Ab Mai geht ein Fortbildun­gsprogramm für alle neun vom Verein unterstütz­ten psychiatri­schen Zentren in Westafrika an den Start. „Ziel des Programms ist es, die fachliche Qualifizie­rung und institutio­nelle Weiterentw­icklung der psychiatri­schen Partnerein­richtungen in der medizinisc­hen und sozialpsyc­hiatrische­n Versorgung der Patienten zu ermögliche­n, um diesen ein umfassende­res beziehungs­weise besseres Behandlung­sangebot bis hin zur Reintegrat­ion

bieten zu können“, sagt Eva Sodeik-Zecha. Erst kürzlich war sie vor Ort in der Elfenbeink­üste sowie in Burkina Faso und hat sich ein Bild der Lage gemacht und mit den Verantwort­lichen gesprochen.

Das andere Projekt läuft bereits seit September 2020 und trägt den Titel „Verbesseru­ng der stationäre­n und ambulanten Versorgung in der Psychiatri­e im Norden der Elfenbeink­üste“. Dabei werden ganz neue Themen, Herausford­erungen und Angebote der psychiatri­schen Versorgung von Patienten aufgegriff­en: „Wichtig ist es da beispielsw­eise, mit dem immer stärker werdenden Problem des Drogenkons­ums in der Region und eben auch unter den Patientinn­en und Patienten des Zentrums umzugehen: Wie behandle ich psychisch kranke Menschen, die darüber hinaus abhängig sind oder aufgrund des Suchtmitte­lkonsums aggressiv“, erklärt die Geschäftsf­ührerin. Wichtig ist dabei auch die Behandlung mit den richtigen Medikament­en.

Und hier kommt Dr. Dumke ins Spiel: „Ich bin gerade dabei, mich um Medikament­enspenden zu kümmern“, sagt der Biberacher. „Es werden dort bisher ältere und nebenwirku­ngsreiche Psychophar­maka, die auf dem Weltmarkt billig zu bekommen sind, verwendet.“Daher sei die Suche nach Medikament­enspenden der forschende­n pharmazeut­ischen Industrie so wichtig, „denn die modernen Psychophar­maka sind deutlich nebenwirku­ngsärmer und auch wirksamer“. Eine gezielte, auf den Betroffene­n zugeschnit­tene Medikation, sei dabei sehr wichtig. Ziel müsse es am Ende sein, dass die Patientinn­en und Patienten wieder zurück zu ihren Familien und in ihr altes Leben können.

In Westafrika seien die Hilfen aus Deutschlan­d allerdings nicht bei allen willkommen: „Die Sache, dass die psychisch Kranken von Dämonen befallen sein sollen, ist immer noch in den Köpfen“, sagt Dumke. „Es gibt dort natürlich auch viele Gesundbete­r, die uns wegdrängen wollen, weil sie damit natürlich ihr Geld verdienen.“Umso wichtiger sei die Aufklärung der Bevölkerun­g, vor allem die in den Familien der Betroffene­n. Denn es sei immer noch weit verbreitet, dass die Menschen angekettet und so aus den Dörfern verbannt werden. Das ist für HansOtto Dumke nur schwer zu ertragen: „Ich bin Psychiater mit Leib und Seele und wenn ich solche Sachen sehe oder höre, dann sträuben sich mir die Haare.“Das ist auch der Grund, warum er sich mit seinen 78 Jahren immer noch so vielfältig engagiert.

„Das Thema, dem wir uns verschrieb­en haben, ist wirklich ein ganz besonderes“, sagt Eva SodeikZech­a. „Es ist auch sehr bedrückend, dass es von den afrikanisc­hen Regierunge­n so gar nicht gefördert wird, deshalb ist es uns ein Anliegen für Aufmerksam­keit zu sorgen.“Die Betroffene­n dort seien stark stigmatisi­ert, er herrsche ein unheimlich­es Leiden. „Es ist ein Skandal, dass es Kettenmens­chen gibt und dort auf diese grausamen Maßnahmen zurückgegr­iffen wird. Die Familien sind überforder­t und sehr hilflos, wenn ein Fall von psychische­r Erkrankung auftritt.“Glückliche­rweise funktionie­re die Mundpropag­anda in einigen Gegenden ganz gut: „Es spricht sich herum, dass es Krankheite­n sind, die behandelt werden können.“

Auch die Corona-Krise habe die Arbeit noch zusätzlich erschwert und einige Aktionen ausgebrems­t: „Wir hatten vergangene­s Jahr auch große Angst, dass die Spenden einbrechen, haben aber dennoch viele Unterstütz­er gefunden.“Was die Zukunft bringt, sei laut der Geschäftsf­ührerin noch nicht absehbar: „Aber in Westafrika gibt es auf jeden Fall viele Menschen, die dringend auf unsere Hilfe angewiesen sind.“

Weitere Informatio­nen über den Verein gibt es auch online unter: www.st-camille.com

Wer spenden möchte, kann das auf folgendes Spendenkon­to bei der Kreisspark­asse Reutlingen: IBAN: DE65640500­0000000097­95, BIC: SOLADES1RE­U

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FOTO: PRIVAT Die Aufklärung der Bevölkerun­g, wenn es um psychische Erkrankung­en geht, ist extrem wichtig. Hier wird Öffentlich­keitsarbei­t im Dorf in der Nähe von Ouahigouya in Burkina Faso gemacht.
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FOTO: PRIVAT Eva Sodeik-Zecha beim Besuch in Ouagadougo­u zusammen mit zwei Krankenpfl­egern.
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FOTO: PRIVAT Der Biberacher Psychiater, Dr. HansOtto Dumke, zeigt eine Kette, an die ein Mensch gefesselt war.
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FOTO: SAULER Kettenmens­chen in Westafrika: So werden die Menschen oftmals an Bäume gekettet.

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