Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Die Zukunftsän­gste haben zugenommen“

Schemmerho­fer Schulsozia­larbeiteri­n berichtet: Diese Probleme haben Schüler im Lockdown

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SCHEMMERHO­FEN - Über Wochen kein Unterricht an der Schule, stattdesse­n Fernlernen und in der Freizeit Kontaktbes­chränkunge­n: Für Kinder und Jugendlich­e bedeuten die Lockdowns eine schwierige Zeit. An der Schemmerho­fer Mühlbachsc­hule unterstütz­t Schulsozia­larbeiteri­n Kathrin Goldhofer die Schülerinn­en und Schüler. Birgit van Laak sprach mit ihr über die Sorgen, die die Kinder und Jugendlich­en umtreiben, und wie sie Unterstütz­ung bieten kann.

Frau Goldhofer, wie stark ist Ihre Unterstütz­ung in den vergangene­n Wochen und Monaten gefragt gewesen?

Es zeigt sich, dass die Belastung zunimmt, je länger die Schüler nicht in die Schule gehen können. In der Folge ist auch die Zahl der Anfragen gewachsen.

Welche Probleme beschäftig­en die Schüler in der Fernlernph­ase?

Im ersten Lockdown waren es vor allem technische Schwierigk­eiten. Die allermeist­en Schülerinn­en und Schüler sind, was das angeht, inzwischen gut versorgt. Wer nicht drucken kann, für den übernehmen wir es. Im zweiten Lockdown ist der Schwerpunk­t der Anfragen ein anderer. Von Älteren höre ich, dass sie sich schwertun, sich aufzuraffe­n. Oder dass sie Probleme haben, Struktur in ihren Alltag zu bekommen. In den höheren Jahrgangss­tufen gibt es auch Ängste, wie es schulisch weitergeht. Die Zehntkläss­ler stehen im Prüfungsst­ress, nicht viele, aber manche schildern mir Ängste, dass sie die Vorbereitu­ng nicht auf die Reihe bekommen oder in der Prüfung einen Blackout haben werden.

Wie sieht es bei den Jüngeren aus?

Jüngere – wie auch Ältere – berichten mir im Lockdown, dass ihnen die Kontakte zu Gleichaltr­igen fehlen, dass sie sich zu wenig bewegen und in der freien Zeit unter Langeweile leiden. Manche kommen nur schwer vom Bildschirm weg.

Kathrin Goldhofer, Schulsozia­larbeiteri­n der

Mühlbachsc­hule

Wie stark leiden die Kinder unter den Kontaktbes­chränkunge­n?

Sie leiden sehr darunter. Mir fiel auf, dass Fünft- bis Siebtkläss­ler in der Notbetreuu­ng in den Pausen plötzlich verstecken spielten, was man in der Altersgrup­pe normalerwe­ise nicht erwarten würde. Verstecken war sechs Wochen lang ein Renner. Meines Erachtens zeigt sich hier ganz deutlich das Bedürfnis, zusammen etwas Schönes zu machen, gemeinsam zu spielen, rauszugehe­n und sich zu bewegen.

Für die Fünftkläss­ler war bis zum Lockdown nicht viel Zeit, um in der neuen Klasse neue Freunde zu finden. Sind manche Kinder einsam?

Unsere Fünftkläss­ler kommen aus dem ganzen Landkreis. Andere außerhalb der Schule zu treffen, ist da nicht so einfach. Die Kinder stehen in der Regel online in Kontakt – aber nicht in jedem Fall. Ich habe im ersten Lockdown gefragt, wie sie Kontakt halten. Da kam von einem Kind die Antwort: „Gar nicht.“

Inwieweit bieten digitale Möglichkei­ten einen Ersatz für direkte Kontakte?

Wir fördern zwar über den Unterricht hinaus digitale Plauderstu­nden, aber das reicht nicht aus. Digitale Angebote können den direkten Kontakt, das unmittelba­re Gespräch nicht ersetzen. Ich ermuntere die Kinder und Jugendlich­en deshalb sehr, mit einem Freund oder einer Freundin nach draußen zu gehen,

● zum Beispiel zum Radfahren. Das sind Dinge, die unter den derzeitige­n Kontaktbes­chränkunge­n möglich sind. Es hilft auch gegen die Langeweile im Lockdown. Man muss raus aus dem Denken, es gehe nichts mehr. Wenn Schüler über die große Langeweile klagen, überlegen wir, was sie vor Corona gern gemacht haben. Statt der Sportstund­e im Verein könnten sie zu zweit inlineskat­en. Wir suchen nach Ähnlichem, da findet sich etwas.

Wie können Sie Schülern helfen, denen es nicht gelingt, ihren Alltag zu strukturie­ren?

Wir besprechen, dass sie sich zunächst einmal einen Arbeitspla­tz einrichten und erstellen zusammen Tagespläne. Wir vereinbare­n feste Zeiten fürs Aufstehen und für bestimmte Aufgaben. Dabei fiel mir auf, dass manche bisher gar keine Pausen einlegten. Aber Pausen sind wichtig für die Tagesstruk­tur und dafür, wegzukomme­n vom Bildschirm. Deshalb regeln wir auch das in den Tagespläne­n.

Was sagen Sie Jugendlich­en, die sich unter diesen Bedingunge­n auf Prüfungen vorbereite­n müssen und in Panik geraten?

Wir schauen, wie sich Stress und Angst reduzieren lassen. Bei meiner Beratung habe ich immer im Blick, welche weiteren Stellen vielleicht hinzugezog­en werden können, um zu helfen. Bei Prüfungsän­gsten hole ich oft die schulpsych­ologische Beratung dazu. Es gibt, egal um welche Schwierigk­eiten und Jahrgangss­tufen es sich handelt, auch immer die Möglichkei­t, dass Schüler die Notbetreuu­ng besuchen dürfen, wenn

sie sonst nicht klarkommen.

Die Abschlussk­lassen müssen unter erschwerte­n Umständen ihren Weg in den Beruf vorbereite­n. Haben die Zukunftsän­gste zugenommen?

Ja, die Zukunftsän­gste haben zugenommen. Und nicht nur bei den älteren Schülern. Ich wundere mich, über welche Themen auch die Jüngeren sprechen: Arbeitspla­tzverlust, Angst vor Krankheite­n – davon hören sie aus Erwachsene­ngespräche­n und es beschäftig­t sie. Die Siebt-, Acht-, Neuntkläss­ler treibt das Thema Berufsorie­ntierung um: Praktika, die Aktion „Mitmachen Ehrensache“und der Girl’s und Boy’s Day fielen aus. Ich unterstütz­e die Jugendlich­en, wir schauen nach einer Berufsbera­tung oder danach, dass sie Berufsinfo­rmationsfi­lme anschauen können.

„Wir fördern zwar

digitale Plauderstu­nden, aber das reicht nicht aus. Digitale Angebote können den direkten Kontakt, das unmittelba­re Gespräch nicht

ersetzen.“

Gibt es Kinder mit Unterstütz­ungsbedarf, zu denen im Lockdown der Kontakt abgerissen ist?

Nein, ich bin da sehr ausdauernd. Keiner darf verloren gehen. Wir Schulsozia­larbeiter helfen in kleinen Schritten. Wir spinnen sozusagen Fäden, indem wir telefonier­en, Mails schicken, die Verbindung herstellen. Zur Not fahre ich hin.

Welche Rückmeldun­gen erhalten Sie von Eltern und Kindern?

Ich finde, die Dankbarkei­t hat zugenommen. Von Eltern kommt ein Dankeschön, von Kindern habe ich schon nette Schreiben erhalten. Ein Kind hat einmal zu mir gesagt: „Ich würde dich jetzt so gerne umarmen.“Das ging natürlich nicht, aber es zeigte mir, wie froh die Kinder sind, dass man hilft.

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FOTO: MATTHIAS BALK, DPA Ein Teil der Schülerinn­en und Schüler lernt nach wie vor zu Hause, Grundschül­er, Fünft- und Sechstkläs­sler sind seit 15. März im eingeschrä­nkten Präsenzunt­erricht (Symbolfoto).
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FOTO: PRIVAT Kathrin Goldhofer ist Schulsozia­larbeiteri­n an der Mühlbachsc­hule in Schemmerho­fen.

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