Schwäbische Zeitung (Biberach)
Unterwegs mit dem Baumhöhlensucher
Im Forstbezirk Oberland werden Bäume mit Baumhöhlen markiert, um deren Fällung zu verhindern
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BAD SCHUSSENRIED - Wenn Luis Sikora durch den Wald spaziert, guckt er die meiste Zeit nach oben. Denn auch wenn er ein großer Freund des Walds ist, so läuft er doch an den meisten Tagen nicht zu seinem Vergnügen durchs Grün, sondern um dabei Baumhöhlen zu finden und diese Bäume dann zu markieren. Seit dieser Woche ist der Experte für Dendroavifaunistik im Revier rund um Hopferbach bei Bad Schussenried unterwegs und sucht nach Nistplätzen von Spechten, Fledermäusen, Tauben und Käfern.
Treffpunkt an diesem kalten Mittwochnachmittag ist das Waldstück hinter dem kleinen Ort Fünf Häusern. Sikora hat sich mit Matthias Holzapfel, Revierleiter für den staatlichen Forst in diesem Bereich, und André Kappler vom Forstbezirk Oberland, verabredet. Gemeinsam erläutern die drei, worum es bei diesem Projekt geht. Der Staatswald ist ein Nutzwald. Das heißt, die Förster haben Vorgaben, wie viel Holz sie jedes Jahr aus dem Wald schlagen sollten. Lange Zeit, erzählt Holzapfel, habe dieser wirtschaftliche Nutzen im Vordergrund gestanden. Mittlerweile sei der Natur- und Tierschutz deutlich stärker in den Fokus gerückt – und dazu zähle eben auch, bewusst dafür zu sorgen, dass alle Tiere, die im Wald leben, ausreichend Lebensraum erhalten.
Sikora hat den Auftrag, in den nächsten zwei Jahren Stück für Stück die Wälder des Forstbezirks Oberland zu durchwandern und jene Bäume zu markieren, in denen Baumhöhlen oder andere Nistplätze vorhanden sind. Vorrangig suche er dabei nach Spechthöhlen, denn diese würden, sobald der Specht ausgezogen sei, von vielen anderen Tieren nachgenutzt. „Der Schwarzspecht ist sehr wählerisch, wenn es um seine Behausung geht. Manchmal nutzt er die gleiche Höhle viele Jahre lang, manchmal zieht er aber auch schnell wieder aus, wenn es ihm zu feucht wird oder der Baum zu morsch ist. Dann nutzen Hohltauben, Fledermäuse, Käfer und bis zu 50 andere Tierarten diese Höhle“, erläutert der Experte. Es sei ein Irrglaube, dass der Specht jedes Jahr sich eine neue Höhle baue. Spechte seien treu, sowohl was das Gebiet angehe, als auch den Baum.
Sikora weist auf eine Buche hin, bei der auf 18 Meter Höhe zwei Löcher zu erkennen sind. Das untere, erklärt er, sei eine etwa zehn Jahre alte Spechthöhle, die der Vogel aus irgendeinem Grund nicht mehr als Heim akzeptiere. Darum habe er sich wenige Meter weiter oben eine zweite gebaut und nun wahrscheinlich auch bezogen. Der Baum sei von einem Pilz befallen, der das Holz im Inneren morsch werden lasse. Beim Klopfen erkenne der Specht dies und wisse daher genau, welcher Baum sich für eine Höhle eigne und wo er seinen Schnabel ansetzen muss. Sikora markiert den Baum, indem er zuerst mit einem scharfen Messer ein spezielles Zeichen in den Baum ritzt und dieses dann mit hellblauer Farbe nachzeichnet. So wissen Förster und Waldarbeiter, dass dieser Baum möglichst stehenbleiben sollte.
„Für uns ist das eine große Hilfe, denn das Waldstück, das ich betreue, ist sehr groß, und da kann ich nicht auf alles gleichzeitig achten“, sagt Förster Holzapfel. Allerdings sei es ein stetiges Abwägen, wie viele Bäume dann am Ende wirklich stehen bleiben. Die Nistbäume dürften nicht zu nahe an Straßen und anderweitig genutzten Wegen stehen. Ziel ist es, im Forstbezirk Oberland zwei solcher Nistbäume pro Hektar zu erhalten. In den vier Tagen, die Sikora mittlerweile in diesem Bereich unterwegs sei, habe er 63 Bäume markiert. Dabei geht es nicht nur um Höhlen in luftiger Höhe. Diese können sich auch am Fuß des Stammes befinden. Wenn zum Beispiel bei Waldarbeiten ein Baum an dieser Stelle beschädigt wurde, kann dort eine Höhle entstehen, die Tiere dann nutzen. Oder aber, wenn der Baum von einem Pilz befallen ist und deswegen fault.
Parallel dazu entstehen in den Staatswäldern an vielen Stellen sogenannte Alt- und Totholzrefugien für Tierarten, die nicht in Höhlen nisten (SZ berichtete). „Es ist eine Herausforderung, dabei ein Gleichgewicht zu finden, zwischen den Zielen, die der Staat mit einem Nutzwald verbindet und den Vorgaben, die sich aus dem Tier- und Naturschutz ergeben“, sagt André Kappler. Der Wald verändere sich täglich, durch den Einfluss des Menschen und durch das sich wandelnde Klima. Es gehe darum, einen Mittelweg zu finden und so dafür zu sorgen, dass der Wald auch in hundert Jahren noch gesund sei und als natürlicher Lebensraum für viele verschiedene Tierarten erhalten bleibe.