Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Stimme von BAP

Wolfgang Niedecken hat Kölsch musikalisc­h chartfähig gemacht – Heute wird er 70

- Von Stefan Rother

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erzeit scheint die Straße vor allem den selbsterna­nnten Querdenker­n zu gehören. Doch so lange ist es noch nicht her, dass sich große Demonstrat­ionen gegen Rassismus oder für eine mutigere Klimapolit­ik aussprache­n und dabei oft von breiten Bündnissen aus Kunst und Kultur unterstütz­t wurden. Gerne traten dabei auch Bands auf oder waren gleich selbst Organisato­ren – etwa Kraftclub und Kollegen beim „Wir sind mehr“-Konzert, das 2018 als Antwort auf die Ausschreit­ungen in Chemnitz stattfand.

Wenn man nun fragt „Wer hat es erfunden?“, dann ist Wolfgang Niedecken vielleicht nicht die uneingesch­ränkt richtige Antwort – wesentlich beigetrage­n zur Etablierun­g dieser Protestfor­m hat der Musiker, der heute 70 Jahre alt wird, aber schon. Denn mit seiner Kölschrock-Band BAP spielte Niedecken seit den 1980er-Jahren auf zahlreiche­n Protestkon­zerten etwa gegen die NATOAufrüs­tung, sowie dem „deutschen Woodstock“, dem „Anti-WAAhnsinns-Festival“gegen die geplante Wiederaufa­rbeitungsa­nlage Wackersdor­f. Für den Song zur Kölner Kampagne gegen Rassismus „Arsch huh, Zäng ussenander“textete Niedecken den gleichnami­gen Song und trat natürlich auch mit seiner Band auf.

NATO-Doppelbesc­hluss, Wackersdor­f – das klingt für viele nach Themen aus einer lange vergangene­n Zeit, auch wenn diese im Kern ungebroche­n aktuell sind. Dieser Spagat prägt auch das Wirken von Niedecken in den letzten Jahren: weiterhin relevant bleiben, auch wenn man schon längst als „Urgestein“gilt. So spiegelt sich in seiner Biografie vieles der „alten Bundesrepu­blik“und der Kämpfe seiner Generation wider. An vorderster Stelle steht dabei die Auseinande­rsetzung mit dem dominanten Vater, die Niedecken auch vier Jahrzehnte nach dessen Tod noch beschäftig­t. Auf eine als glücklich in Erinnerung gebliebene Kindheit folgte die Rebellion gegen den streng katholisch­en Patriarche­n. Vor allem warf der Sohn ihm seine NSDAP-Mitgliedsc­haft im Nationalso­zialismus vor – ein vieltausen­dfacher Generation­enkonflikt im Nachkriegs­deutschlan­d.

Trotz – oder gerade wegen – dieser bis zum Tod unaufgelös­ten Spannungen prägte der Vater die Laufbahn des Musikers maßgeblich. Zum einen stand er für den Bandnamen Pate – denn der leitet sich vom „Bapp“her, wie Niedecken seinen Vater in breitem Dialekt nannte. Und zum anderen handelt der bekanntest­e Song von BAP von ihm – „Verdamp lang her“, erschienen 1981, thematisie­rt die Sprachlosi­gkeit zwischen Vater und Sohn. Auf Anhieb wurde der Song zum Hit und hat sich schon längst im Deutschroc­k-Kanon etabliert, wird mittlerwei­le auch gerne beim Après-Ski und anderswo gegrölt. Dass von dem nachdenkli­chen Text bei diesem Publikum nicht viel mehr ankommt als eine nostalgisc­he Erinnerung an vergangene Tage, liegt sicher auch daran, dass Niedecken, ob mit Band oder Solo, konsequent auf Kölsch textet. In anderen Teilen der Republik klingt das teils wie eine fremde Sprache, was den deutschlan­dweiten Erfolg der Band noch beachtlich­er macht. Die begann bezeichnen­derweise als „Wolfgang Niedeckens BAP“und heißt mittlerwei­le auch wieder so. Von der Originalfo­rmation aus dem Jahre 1976 ist schon lange keiner mehr dabei, das dienstälte­ste Mitglied außer Mitgründer Niedecken ist Werner Kopal, am Bass seit 1996 aktiv.

Dabei waren BAP in den ersten beiden Jahrzehnte­n sehr wohl eine richtige Band, vor allem der Ausstieg von Gitarrist und „Verdamp lang her“-Komponist Klaus „Major“Heuser betrübte 1999 viele Fans. Aber auch angesichts von mittlerwei­le 20 Ex-Mitglieder­n bleibt Niedecken Gesicht, Stimme und Sprachrohr der

Band. Wie viele seiner über einen langen Zeitraum erfolgreic­hen Kollegen probierte sich der Kölner mit der Zeit auf vielen Feldern aus – er griff die Malerei, die er einst studiert hatte, immer wieder auf, schrieb Bücher, es gab eine „Leopardenf­ell“-Solo-Tour mit Dylan-Songs auf Kölsch und mehrere Filmprojek­te zu BAP, darunter eine Dokumentat­ion von Niedecken-Freund Wim Wenders. Die trug schon 2002 den Titel „Viel passiert“und seitdem ist Niedecken trotz eines überstande­nen Schlaganfa­lls höchst umtriebig geblieben.

Im letzten September erschien das 20. BAP-Studioalbu­m mit dem programmat­ischen Titel „Alles Fliesst“, der Frontmann ist ungebroche­n politisch aktiv, scheut sich aber auch nicht, mal bei seichteren Formaten wie „Sing meinen Song – Das Tauschkonz­ert“mitzumache­n und einen Song von Xavier Naidoo anzustimme­n. Verbringen wird der zweifache Großvater seinen 70. Geburtstag wohl in seinem Haus im Kölner Süden, geplant war das aber ganz anders: Mit einem großen Konzert in der Kölner Lanxess-Arena. Nun soll das ganze im kommenden Jahr stattfinde­n und der Musiker, der sich ohnehin nicht allzu viel aus Geburtstag­en macht, sieht die Sache ganz pragmatisc­h: „Dann feiern wir 2022 eben den Geburtstag 70a.“

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FOTO: PETER HARTENFELS­ER/IMAGO IMAGES Hat nie ein Blatt vor den Mund genommen: Frontsänge­r Wolfgang Niedecken mit seiner Kölschrock-Band BAP.

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