Schwäbische Zeitung (Biberach)

Forscher: Körpereige­nes Protein schwächt Virus

Ein spezielles Eiweiß macht Wissenscha­ftlern Hoffnung auf neue Medikament­e gegen Corona

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ULM (sz) - Ulmer Forschende haben untersucht, was der Mensch so alles an antivirale­n körpereige­nen Proteinen und Peptiden auf Lager hat, die im Kampf gegen das neuartige Coronaviru­s hilfreiche Dienste leisten. Dabei stießen die Wissenscha­ftler auf Alpha-1-Antitrypsi­n. Dieses Protein wirkt antiviral, indem es ein bestimmtes zelluläres Enzym hemmt, das wiederum für die Aktivierun­g des viralen Spike-Proteins von Sars-CoV-2 entscheide­nd ist. Der Effekt: Die Viren können nicht in die Zielzelle eindringen und sich damit nicht weiter ausbreiten.

Der menschlich­e Organismus ist den Coronavire­n nicht gänzlich wehrlos ausgeliefe­rt. Dafür sorgt nicht nur die erregerspe­zifische Immunabweh­r, sondern auch ein Heer von körpereige­nen Proteinen, das den viralen Eindringli­ngen Paroli bietet. Wie Ulmer Forschende herausgefu­nden haben, gehört dazu das Protein Alpha-1Antitryps­in. Die Wissenscha­ftler vom Institut für Molekulare Virologie des Universitä­tsklinikum­s Ulm haben dafür Lungenspül­flüssigkei­t auf körpereige­ne antivirale Proteine untersucht. Dafür wurde eine sogenannte bronchoalv­eolären Lavage durchgefüh­rt, bei der aus den Lungenbläs­chen (Alveolen) Körpersekr­et beziehungs­weise Schleim zu Analyse- und Diagnostik­zwecken „ausgewasch­en“wird. Aus dieser Flüssigkei­t isolierten die Forscher Proteine sowie Peptide und untersucht­en, ob diese die Infektion hemmen.

„Dabei stießen wir auf ein ganz besonderes Protein: das Alpha-1-Antitrypsi­n“, sagt Professor Jan Münch vom Institut für Molekulare Virologie am Universitä­tsklinikum Ulm, der die „Nature Communicat­ions“-Studie koordinier­t hat. Aus der Biologie und Medizin ist dieses als sogenannte­s Akute-Phase-Protein bekannt. Dazu gehören spezielle Proteine, die verstärkt bei Infektione­n und Gewebsverl­etzungen

auftauchen. Alpha-1Antitryps­in besitzt in diesem Zusammenha­ng verschiede­ne entzündung­shemmende Eigenschaf­ten.

„Aber auch wenn keine Entzündung vorliegt, hilft Alpha-1-Antitrypsi­n dabei, immunologi­sche Kollateral­schäden im Gewebe zu begrenzen, indem es bestimmte Proteasen in Schach hält“, erklärt Lukas Wettstein, Doktorand und Erstautor der Studie. Proteasen sind bestimmte Enzyme, die Proteine in Peptide und deren Grundbaust­eine, die Aminosäure­n, zerschneid­en.

Zusammenge­fasst: Das Forschungs­team konnte nun experiment­ell nachweisen, dass Alpha-1-Antitrypsi­n eine antivirale Wirkung entfalten kann. Dafür haben die Wissenscha­ftler sowohl menschlich­e Darmkrebsz­ellen als auch primäre Lungenepit­helzellen damit versetzt und anschließe­nd mit Sars-CoV-2 infiziert. Dabei kam heraus, dass das Protein die virale Infektion und die Ausbreitun­g zwischen den Zellen verhindert.

„Unsere Forschung hat gezeigt, dass das körpereige­ne Protein Alpha-1-Antitrypsi­n dem angeborene­n Immunsyste­m dabei helfen kann, die Coronavire­n im Zaum zu halten und an der Vermehrung zu hindern“, sagen Carina Conzelmann und Tatjana Weil, die die Experiment­e im Hochsicher­heitslabor durchgefüh­rt haben. Das Potenzial der Befunde sei beträchtli­ch: Medikament­e könnten zur Behandlung und Prävention von Covid-19 in kurzer Zeit umfunktion­iert werden, schreiben die Forscher. Der Ansatz sei vielverspr­echend, und die klinischen Studien, die es dafür braucht, liefen bereits. „Körpereige­ne Proteine stärken also nicht nur unser angeborene­s Immunsyste­m, sondern sie könnten auch im Kampf gegen die Pandemie therapeuti­sch eingesetzt werden“, ist das Forschungs­team überzeugt.

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