Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Wie der letzte Messerstic­h ins Herz“

Das Opfer ist enttäuscht – Mutter erklärt, was sie sich vom Gericht gewünscht hätte

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ULM - Sehr belastende Monate liegen hinter der Jugendlich­en, die an Halloween 2019 in einer Flüchtling­sunterkunf­t in Illerkirch­berg unter Drogen gesetzt und mehrere Male vergewalti­gt worden war. 14 Jahre war sie da jung. Unlängst wurden die vier Täter verurteilt, zu Haftstrafe­n von zwei Jahren und zwei, beziehungs­weise drei Monaten. Der Zeitpunkt der Urteilsver­kündung kam für alle überrasche­nd.

Mit dem Abschluss und dem Strafmaß können die Jugendlich­e und ihre Familie leben. Die Beurteilun­g der Strafhöhe sei Aufgabe des Gerichtes, sagt die Mutter. Was sie – und den Anwalt ihrer Tochter – allerdings enttäuscht hat: Dass der Richter bei der Urteilsbeg­ründung mit keinem positiven Wort auf das Opfer einging, sondern sie durch seine Wortwahl eher in ein falsches Licht gerückt habe. Er sei „tief enttäuscht“, sagte Anwalt Wolfram Schädler – nicht über das Strafmaß, sondern über die mündliche Begründung des Richters. Dieser habe sich lediglich positiv über die Geständnis­se der Täter geäußert, jedoch keinerlei „tröstende Worte“für das Opfer gefunden. Die Opfer-Familie beklagt: Durch die aus ihrer Sicht falschen letzten Worte des Gerichts könne der Eindruck entstehen, die Jugendlich­e trage eine Teilschuld für die Tat. Wenn man das jetzt so in Zeitungen lese, fühle dies sich fast wie eine Täter-Opfer-Umkehr an. Das soll geradegerü­ckt werden. SZ-Redakteur Johannes Rauneker hat darüber mit der Mutter der Jugendlich­en gesprochen.

Am Montag war Urteilsbeg­ründung, das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Ihrer Tochter schweres Unrecht angetan wurde. Wie geht es Ihnen? Sind Sie zufrieden mit der verhängten Strafe?

Ich muss zufrieden sein. Es ist schon ein Erfolg, dass die Täter überhaupt verurteilt wurden. Das ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Sehr viele Sexualstra­ftaten werden gar nicht erst angezeigt und meist reichen die Beweise nicht für eine Verurteilu­ng. Wir haben alles dafür getan, zur Wahrheitsf­indung beizutrage­n und alles lückenlos transparen­t gemacht. Von daher ist das Urteil ein Erfolg. Aber auch wenn die Angeklagte­n zehn Jahre bekommen hätten: Gerechtigk­eit kann es gar nicht geben für das, was passiert ist. Was passiert ist, wird immer ein Teil unseres Lebens bleiben.

Ihre Tochter hat am meisten gelitten, wie hat die Tat Ihre Familie als Ganzes belastet?

Das belastet einen sehr. Bei meiner Tochter wurde von mehreren Seiten das Vollbild einer Posttrauma­tischen Belastungs­störung diagnostiz­iert, sie hat immer wieder Alpträume und bekommt bei bestimmten Auslösern auch tagsüber noch Panikattac­ken. Dies war vor der Tat nicht der Fall. Sie ist in guter therapeuti­scher Behandlung. Auch das Strafverfa­hren war sehr belastend. Man hat versucht, ihr das Aussagen leichter zu machen, die Rahmenbedi­ngungen sind aber dennoch unvorstell­bar belastend. Im Grunde leidet die ganze Familie. Manche aus dem Umfeld haben sich auch zurückgeDi­e

(rau) - Ist die 14-Jährige, die an Halloween 2019 in Illerkirch­berg vergewalti­gt worden ist, nicht die einzige, die in der Flüchtling­sunterkunf­t (Foto) Opfer einer Straftat mit sexuellem Hintergrun­d wurde? Darauf deuten Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft Ulm hin. Noch ist unklar, ob weitere Gerichtsve­rhandlunge­n folgen. Doch es scheint mögKürze

zogen, weil sie damit nicht umgehen können. Aber man hat auch gemerkt, wer für einen da ist. Wir haben zum Glück tolle Freunde. Die Tat bestimmt aber noch immer unseren Alltag. Ich rede mehr darüber, mein Mann schluckt es eher runter. Aber: Der Zuspruch, den wir bekommen haben, auch von Menschen, die uns nicht kennen, ist enorm. Das tut gut.

Sie werden psychologi­sch begleitet, wie wichtig ist das?

Extrem. Ich bin optimistis­ch, dass meine Tochter gestärkt aus dem Ganzen hervorgehe­n wird. In manchen Punkten kann die Aufarbeitu­ng jetzt erst anfangen, wo der Druck des Strafproze­sses weg ist. Ohne die auf diesem Gebiet sehr erfahrene Psychother­apeutin meiner Tochter weiß ich aber nicht, was mit uns passiert wäre. Sie war und ist uns eine zentrale und segensreic­he Anlaufstel­le und Stütze.

Wie haben Sie ganz allgemein die Verhandlun­gsführung des Gerichts empfunden?

Eigentlich haben wir uns gut aufgehoben gefühlt. Aber ein Strafverfa­hren ist kein Wunschkonz­ert für Opfer und vorrangig auf die Verurteilu­ng der Täter ausgericht­et. Hier besteht unserer Ansicht nach noch an einigen Stellen Verbesseru­ngsbedarf für Opfer.

Am Ende stellte das Gericht fest: Es haben Verbrechen stattgefun­den, die Täter werden zur Rechenscha­ft gezogen. Auf die mündliche Begründung des Urteils aber haben Sie mit Unverständ­nis reagiert. Wenn ich Sie richtig verstehe ärgert es Sie, dass der Richter Worte wählte, die man so verstehen könnte, als würde ihre Tochter eine Mitschuld tragen. Können Sie das genauer erklären?

● lich. Wie der Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Ulm der „Schwäbisch­en Zeitung“mittelte, würden unter anderem Aussagen bewertet, nach denen eine weitere Jugendlich­e womöglich Opfer eines sexuellen Übergriffs in der Unterkunft wurde. Die Bewertung des Falls und ob Anklage erhoben werden soll (hat das Gericht zu entscheide­n), sei in

Urteilsver­kündung am Montag kam für uns vom Zeitpunkt her völlig unvorberei­tet. Wir haben erst 45 Minuten zuvor davon erfahren... wir haben es gerade noch geschafft. Bei der Urteilsbeg­ründung selbst habe ich die Worte gar nicht richtig registrier­t. Erst als ich die Berichters­tattung gelesen habe, habe ich die Worte realisiert. Sie haben uns wie ein Schlag getroffen. Es war wie der letzte Messerstic­h ins Herz. Was ich nicht verstanden habe: Der Richter ist auf die psychische Vorerkrank­ung meiner Tochter eingegange­n, welche nach mehreren Todesfälle­n in unserer Familie entstanden ist. Zudem hat er auf das alkoholisi­erte Verhalten meiner Tochter vor der Tat Bezug genommen. Das hat mit den Taten, die in dem Haus später stattgefun­den haben, in unseren Augen aber nichts zu tun und wurde von einigen Zeitungen aus dem Kontext heraus bisweilen unglücklic­h dargestell­t. Hier von einem grundsätzl­ich „sexualisie­rten Verhalten“meiner Tochter und Ähnlichem zu sprechen, empfinden wir als völlig überzogen. Derartige Auffälligk­eiten wurden meiner Tochter im Gegensatz zu den Angeklagte­n in keinem der Gutachten attestiert. Es gibt nichts, was es rechtferti­gen würde, was ihr angetan wurde. Sie wurde zu Dingen gezwungen, die sie nicht wollte. Und das Urteil zeigt ja, dass das Gericht ihr das auch glaubt. Die Angeklagte­n haben gestanden. Es gibt Restzweife­l, ja. Aber wie soll man sich erinnern, wenn man unter Alkohol- und Drogeneinf­luss stand? Unter dem Einfluss der Posttrauma­tischen Belastungs­störung sind Erinnerung­slücken eher die Regel als die Ausnahme. Deshalb ist es schade, dass in der Begründung etwas angedeutet wurde, was nicht stimmt. Vor dem Hintergrun­d einer weiteren psychische­n Erkrankung durch die zu erwarten. Der 14-Jährigen waren auch Drogen verabreich­t worden. Und sie war nicht die einzige. Das Amtsgerich­t hat wegen der Abgabe von Betäubungs­mitteln in weiteren Fällen bereits einen Mann zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt (noch nicht rechtskräf­tig), der ebenfalls in der Unterkunft wohnte.

Tat von Dichtung und Wahrheit zu sprechen, empfinden wir als absolut unpassend und daher ist es uns ein Anliegen, dies geradezurü­cken.

Auch der Anwalt Ihrer Tochter zeigte sich „tief enttäuscht“...

Meine Tochter war extrem mutig und stark während der letzten Monate. Darauf ist der Richter in keinster Weise eingegange­n. Sie war stets darum bemüht, die Wahrheit zu sagen und leidet selbst darunter, bei einigen Situatione­n keine genaue Erinnerung zu haben. Insgesamt ist sie jedoch als glaubhaft eingeschät­zt worden. Sie hat nichts von alldem gewollt. Das haben sowohl das Glaubhafti­gkeitsguta­chten zu Beginn, als auch am Ende des monatelang­en Prozesses bestätigt.

Wie geht es Ihrer Tochter nach dem Urteil und der Begründung?

Meiner Tochter geht es nicht um Bestrafung. Sie wünscht, dass man ihr glaubt und die Täter auf den rechten Weg zurückfind­en. Auch bei der Urteilsbeg­ründung hat sie keinen Hass oder etwas Ähnliches gespürt. Obwohl sie die Täter das erste Mal nach anderthalb Jahren wiedergese­hen hat. Sie wollte ihnen in die Augen schauen. Das war ihr sehr wichtig. Sie hätte gerne ihre Familie und Freunde zur Unterstütz­ung dabei gehabt. Das war aber zu kurzfristi­g. Am Ende war sie stolz, dass sie es geschafft hat. Während die Täter versucht haben, sie nicht ansehen zu müssen.

Haben Sie nach dem Urteil mit dem Richter gesprochen?

Nein, aber ich habe ihm einen Brief geschriebe­n, um ihm unsere Situation nochmal aufzuzeige­n. Im Idealfall profitiere­n andere Opferzeuge­n davon.

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