Schwäbische Zeitung (Biberach)

Impf-Ärger und neue Reiseregel­n

Bund und Länder ringen um den richtigen Kurs in der Pandemie-Bekämpfung

- Von E. Hasenkamp, G. Bohsem, D. Guggemos und M. Gabel

BERLIN - Obwohl die dritte Welle der Corona-Pandemie Deutschlan­d fest im Griff hat, können sich Bund und Länder nicht auf eine gemeinsame Strategie gegen das Virus einigen. Zudem bereitet der Impfstoff Astra-Zeneca erneut Probleme. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Wird Astra-Zeneca bald bundesweit nur noch an 60-Jährige und Ältere verabreich­t?

Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion sieht das im Grundsatz so vor. Impfungen für Jüngere seien nur noch „nach ärztlichem Ermessen möglich“, heißt es in dem Entwurf. Zuvor hatten Berlin, München und Brandenbur­g Impfungen mit Astra-Zeneca bei unter 60-Jährigen gestoppt. Hintergrun­d sind Fälle aus den vergangene­n Tagen, in denen erneut vor allem Frauen mittleren Alters nach der Impfung Hirnvenent­hrombosen erlitten hatten. Dabei handelt es sich um Verstopfun­gen von Blutgefäße­n im Gehirn. Der vorläufige Impfstopp könnte zu weiteren Verzögerun­gen beim Impfen führen. Bereits Mitte März war in Deutschlan­d nach mehreren Todesfälle­n im Zusammenha­ng mit der Verabreich­ung des Mittels ein genereller Impfstopp für Astra-Zeneca verhängt worden. Eine Woche später wurde das Mittel des britisch-schwedisch­en Hersteller­s wieder freigegebe­n. Seitdem befindet sich im Beipackzet­tel aber der Zusatz, dass nach dem Impfen „sehr selten das Auftreten von Blutgerinn­seln in Kombinatio­n mit niedrigen Blutplättc­henwerten beobachtet“worden sei. Die Probleme seien „meist bei Frauen unter 55 Jahren“aufgetrete­n.

Wird die Bundeswehr beim Impfen verstärkt helfen können?

Die Bundeswehr leistet seit einem Jahr Amtshilfe im Kampf gegen Corona – ihr mit Abstand größter derartiger Einsatz bisher. Rund 15 000 Frauen und Männer sind derzeit aktiv; rund 3000 davon in den bundesweit­en Impfzentre­n und dort vor allem als Helfer bei Einweisung und Papierkram. „Hier gehen wir von stärkerer Nachfrage aus“, sagt der zuständige Kommandeur Martin Schelleis mit Blick auf die erwarteten zusätzlich­en Impfdosen im zweiten Quartal. Im Saarland hat seit März das bundesweit einzige Impfzentru­m geöffnet, das ausschließ­lich von der Bundeswehr betrieben wird. Es ist eines von vier Impfzentre­n des kleinen Bundesland­s, das mit einer Erstimpfun­gsquote von 12,9 Prozent einen deutschen Spitzenpla­tz einnimmt. Das Saarland hatte zuletzt zehntausen­de zusätzlich­e Impfdosen bekommen, um sich als Grenzregio­n besser gegen Vireneintr­ag aus dem benachbart­en Frankreich wappnen zu können. Der saarländis­che Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) hatte seine Lockerungs­pläne auch mit der hohen Impfrate im Saarland begründet.

Welche neue Reiseregel­n gelten für Pendler und Urlauber?

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) teilte mit, dass die stationäre­n Grenzkontr­ollen nach Tirol mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden. Wer aus Tschechien nach Deutschlan­d will, muss weiter in Quarantäne. Generell gilt seit Dienstag: Reisende, die nach Deutschlan­d fliegen, müssen vor dem Einstieg ins Flugzeug einen negativen CoronaTest vorweisen. Diese Maßnahme zielt vor allem auf Mallorca-Urlauber ab. Gültig sind PCR-Tests, AntigenSch­nelltests sowie Selbsttest­s, sofern sie unter der Aufsicht einer dafür qualifizie­rten Person durchgefüh­rt werden. Bei einem positiven Ergebnis müssen Reisende vor Ort in Quarantäne. Die Balearen-Insel hat für solche Fälle extra ein Quarantäne­hotel eingericht­et, in dem die Infizierte­n kostenlos übernachte­n können.

Wie will der Bund mehr Einfluss auf die Pandemiebe­kämpfung gewinnen?

Seehofer sagte, er fände es zwar gut, wenn bundesweit einheitlic­h auf hohe Inzidenzen reagiert werden würde. Die Länder müssten in die Entscheidu­ngsfindung aber einbezogen werden. „Wir schätzen es so ein, dass so ein Gesetz mit höchster Wahrschein­lichkeit im Bundesrat zustimmung­spflichtig wäre.“

Welche Bundesländ­er folgen Merkels harter Linie bei der Pandemiebe­kämpfung?

Ohne Wenn und Aber werden die Bund-Länder-Beschlüsse zur Notbremse nur in Bayern, Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g umgesetzt. Nur dort werden in Kreisen mit einer Inzidenz von 100 und mehr Lockerunge­n etwa beim Einkaufen oder im öffentlich­en Leben – etwa Museums- und Zoobesuch – wieder zurückgeno­mmen. In Bayern etwa gilt die Notbremse derzeit in zwei Drittel aller Kommunen.

Welche Länder weichen von Merkels Kurs ab?

In Berlin bleiben auch in Stadtteile­n, in denen die Inzidenz über 100 liegt, Shoppen, Sporttreib­en und der Museumsbes­uch möglich. In Hessen bleiben Fitnessstu­dios geöffnet. In NRW will man auch in Risikokrei­sen weiter das Shoppen erlauben – vorausgese­tzt, die Kunden sind negativ getestet. In Baden-Württember­g will man zwar dafür sorgen, dass in Über-100-Gebieten die Notbremse, die auch Ausgangsbe­schränkung­en vorsieht, gezogen wird. Stuttgart hat sich aber bisher nicht daran gehalten.

Welche Länder sind bei Lockerunge­n ganz vorne?

Sachsen-Anhalt zieht die Notbremse als einziges Bundesland erst bei einer Inzidenz von 150. Groß angelegte Modellvers­uche mit Lockerunge­n etwa in der Gastronomi­e sind zudem in einzelnen Kommunen in Schleswig-Holstein, Mecklenbur­g-Vorpommern und Niedersach­sen geplant. Das Saarland ist zur Modellregi­on mit der Öffnung unter anderem von Kinos, Theatern und Fitnessstu­dios ausgerufen worden. Losgehen soll es am kommenden Dienstag. Es profitiere­n nur negativ Getestete. Regierungs­chef Hans kündigte aber an, bei einem exponentie­llen Wachstum die Öffnungen wieder zurücknehm­en zu wollen.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Die Bundespoli­zei kontrollie­rt Reisende, die zuvor mit einem Flug aus Palma de Mallorca nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt waren.

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