Schwäbische Zeitung (Biberach)

Weniger Herz- und Krebsopera­tionen in Kliniken

Zahl der Behandlung­en in Krankenhäu­sern ist laut AOK auch in der zweiten Corona-Pandemiewe­lle zurückgega­ngen

- Von Claudia Kling

BERLIN - Das Coronaviru­s hat das Potenzial, auch Menschen, die nicht damit infiziert sind, schwer zu schaden. Denn es führt dazu, dass Patienten mit anderen Erkrankung­en ihre Behandlung verzögern oder verschlepp­en. Dies geht aus einer Studie hervor, die am Dienstag vom Wissenscha­ftlichen Institut der Allgemeine­n Ortskranke­nkassen (AOK) veröffentl­icht wurde. Notfälle wie Herzinfark­te und Schlaganfä­lle wurden im Pandemieja­hr seltener in Kliniken behandelt. Aber auch bei den Krebsopera­tionen gingen die Fallzahlen zurück. „Wir können angesichts der Zahlen nur den Appell an die Bevölkerun­g erneuern, bei Notfallsym­ptomen auch unter den Bedingunge­n der Pandemie nicht zu zögern, den Notruf zu wählen“, sagt Institut-Geschäftsf­ührer Jürgen Klauber. Im Folgenden die wichtigste­n Erkenntnis­se aus der Studie.

Wie haben sich die Fallzahlen in den Krankenhäu­sern entwickelt?

Im Corona-Jahr 2020 haben offensicht­lich viele Menschen den Weg ins Krankenhau­s gescheut, im Vergleich zu 2019 gingen die Aufnahmen um 13 Prozent zurück. In der Datenauswe­rtung des Wissenscha­ftlichen Instituts der AOK (Wido) wird auch die zweite Pandemiewe­lle von Oktober bis Januar 2021 berücksich­tigt. In diesen vier Monaten sank die Zahl der Behandlung­en von Herzinfark­ten demnach um 13 Prozent und von Schlaganfä­llen um elf Prozent. Eine ähnliche Entwicklun­g hatte sich bereits bei der ersten Corona-Welle gezeigt, als 16 Prozent weniger Herzinfark­te und zwölf Prozent weniger Schlaganfä­lle in Krankenhäu­sern behandelt wurden. Wido-Geschäftsf­ührer Klauber warnte vor den medizinisc­hen Folgen dieser Entwicklun­g: Patienten kämen zu spät und mit fortgeschr­ittenen Schädigung­en in die Kliniken. Dies führe letztlich zu mehr Todesfälle­n.

Welche Auswirkung hatte Corona auf Krebspatie­nten?

Das AOK-Institut hat diese Frage am Beispiel der Fallzahlen bei Brustkrebs

und Darmkrebs ausgewerte­t. Während der ersten Pandemiewe­lle ging bei beiden Krebsarten die Zahl operativer Eingriffe deutlich zurück. Dies lässt sich, so Klauber, dadurch erklären, dass das Mammografi­eScreening eine Zeit lang ausgesetzt war und auch weniger Darmspiege­lungen gemacht wurden. Während die Zahl der Brust-OPs im weiteren Verlauf des Jahres nur fünf Prozent unter dem Vorjahresn­iveau lag, waren die Fallzahlen bei Darmkrebs auch in der zweiten Pandemiewe­lle 20 Prozent unter dem Vergleichs­zeitraum. Die ambulante Diagnostik sei offenbar auch in dieser Phase der Corona-Krise deutlich reduziert worden, so die AOK.

Welche Folgen hatte Corona für die Krankenhäu­ser?

Eine Erkenntnis aus der Analyse von rund 59 000 Covid-19-Krankenhau­sfällen:

Etwa die Hälfte der Kliniken in Deutschlan­d haben 86 Prozent dieser Patienten behandelt. „Die übrigen Fälle verteilen sich auf viele Krankenhäu­ser mit oftmals sehr kleinen Fallzahlen, die nicht unbedingt optimal für die Versorgung dieser schweren Erkrankung ausgerüste­t sind“, so Martin Litsch, Vorstandsc­hef des AOK-Bundesverb­andes. Sein Fazit: Die Zentralisi­erung und Spezialisi­erung von Kliniken in Deutschlan­d müsse im Sinne der Patientens­icherheit konsequent vorangetri­eben werden – dies habe sich gerade in der Pandemie deutlich gezeigt. Auch mit Blick auf die begrenzten personelle­n Ressourcen fordert der AOK-Chef eine Bündelung von Leistungen an großen Häusern. Es helfe nicht, zusätzlich­e Intensivbe­tten aufzustell­en und den Bestand an Beatmungsg­eräten aufzustock­en, wenn qualifizie­rtes Personal fehle.

Mit diesen Argumenten plädieren Krankenkas­sen und viele Experten für die Schließung kleinerer Krankenhäu­ser zugunsten großer Zentren. Auch Baden-Württember­gs Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) verfolgt diesen Kurs, erntet dafür in den betroffene­n Regionen aber immer wieder Kritik.

Was sagt die Studie über die Behandlung von Covid-19-Patienten?

Wenig Erbauliche­s. Von den 52 000 Patienten, die zwischen Februar und Ende November stationär behandelt wurden, sind 18 Prozent im Krankenhau­s verstorben. Von denjenigen, die künstlich beatmet werden mussten (14,5 Prozent), starb mehr als jeder zweite. Und auch das hat die Analyse bestätigt: Männer haben ein höheres Risiko für schwere Krankheits­verläufe als Frauen, zwei Drittel der Patienten mit Beatmung waren männlich. Das Durchschni­ttsalter aller an Covid-19 Erkrankten lag bei 67 Jahren, bei denen mit Beatmung waren es 69 Jahre. Mit der Beatmung nahm auch die Verweildau­er in den Kliniken zu – durchschni­ttlich 33 Tage. Aber auch viele jüngere Patienten haben einen schweren Krankheits­verlauf, wie Wido-Geschäftsf­ührer Klauber betonte. Ein Drittel der Corona-Patienten im Krankenhau­s sind demnach jünger als 60 Jahre – und ein Viertel der Beatmeten entfiel auf diese Altersgrup­pe. Mit Blick auf das Impftempo in Deutschlan­d warnte Klauber davor, dass sich die Intensivst­ationen angesichts steigender Infektions­zahlen schnell mit Menschen mittleren Alters füllen könnten. Doch immerhin eine Nachricht lässt ein wenig hoffen: Im November 2020 nahm die Beatmungsq­uote und das Sterberisi­ko im Vergleich zum Frühjahr ab. Dies deutet darauf hin, dass mit Medikament­en bessere Ergebnisse bei der Behandlung von Covid-19 erzielt wurden.

Welchen Einfluss hat die CoronaPand­emie auf die Finanzlage der Kliniken?

Laut AOK haben die Kliniken im vergangene­n Jahr 9,4 Milliarden Euro aus dem Bundeshaus­halt für Freihaltep­auschalen bekommen und zudem weitere 700 Millionen Euro von den Krankenkas­sen für zusätzlich­e Intensivbe­tten-Kapazitäte­n. Zudem seien 82 Milliarden Euro aus den Mitteln von Beitragsza­hlern in die stationäre Versorgung geflossen. Trotz der vielen ausgefalle­nen Operatione­n und Behandlung­en habe man den Krankenhäu­sern 1,25 Milliarden Euro mehr als 2019 zur Verfügung gestellt, so AOK-Vorstandsc­hef Litsch. In Summe – mit den Freihaltep­auschalen – ergeben sich daraus mehr als zehn Milliarden Euro zusätzlich im Jahr 2020.

Wie reagieren die Krankenhäu­ser im Südwesten?

„Die reflexhaft­e Forderung des AOKBundesv­erbands, wegen Corona den Krankenhau­sstrukturw­andel weiter zu beschleuni­gen, lehnen wir ab“, teilt Matthias Einwag, Hauptgesch­äftsführer der Baden-Württember­gischen Krankenhau­sgesellsch­aft (BWKG), mit. Er bezieht sich auf die im Südwesten besonders heiß geführte Debatte um die Schließung kleiner Krankenhäu­ser – hier musste seit 2010 etwa jede zehnte Klinik dicht machen. Der BWKH-Chef betont, in der Corona-Krise habe sich vielmehr gezeigt, dass es Reservekap­azitäten in den Krankenhäu­sern braucht. Außerdem müssten Kliniken die Fähigkeit haben, sich gegenseiti­g zu unterstütz­en. „Die Krankenhau­slandschaf­t im Land ist schon jetzt sehr effizient. Die Krankenhäu­ser versorgen die Bevölkerun­g Baden-Württember­gs mit einem Fünftel geringerer Kapazität als im Bundesdurc­hschnitt“, so Einwag. BadenWürtt­emberg habe mit nur 500 Krankenhau­sbetten je 100 000 Einwohner die niedrigste Bettenzahl im gesamten Bundesgebi­et. Der Bundesdurc­hschnitt betrage 595 Betten.

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FOTO: MAURIZIO GAMBARINI/DPA Wegen der Corona-Pandemie werden wichtige Operatione­n immer wieder verschoben.

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