Schwäbische Zeitung (Biberach)

Suezkanal-Krise als Lehrstück für Terroriste­n

Havarie des Frachters „Ever Given“demonstrie­rt Anfälligke­it weltweiter Handelsstr­öme

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Im Suezkanal strandet ein Schiff – und in Europa werden Kaffee und Toilettenp­apier knapp: Die Havarie des Containerf­rachters „Ever Given“hat die Störanfäll­igkeit der weltweiten Handelsstr­öme demonstrie­rt. Einige der mehr als 400 Schiffe, die wegen dem Stau an dem Kanal aufgehalte­n worden sind, haben Öl und Gas geladen, andere haben Kaffeebohn­en und Rohstoffe für Toilettenp­apier an Bord, die jetzt erheblich später in Europa ankommen werden als geplant.

Der Verkehr auf der wichtigen Wasserstra­ße zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer läuft zwar wieder, doch es wird Tage dauern, bis alle wartenden Schiffe ihre Fahrt fortsetzen können. Diese Erschütter­ung des Welthandel­s an dem Kanal, durch den zehn Prozent des internatio­nalen Seehandels fließen, könnte Extremiste­n auf Gedanken bringen, befürchten einige Beobachter.

Der Suezkanal liegt nahe am Jemen, wo seit sechs Jahren Krieg herrscht und wo die Huthi-Rebellen mit Drohnen- und Raketenang­riffen auf Saudi-Arabien mehrmals bewiesen haben, dass sie auch weit jenseits der Landesgren­zen zuschlagen können. Auf der Sinaihalbi­nsel am Ostufer des Kanals bekämpfen ägyptische Sicherheit­skräfte seit Jahren die Extremiste­n des sogenannte­n Islamische­n Staates. Die Dschihadis­ten töten nach eigenen Angaben Hunderte Menschen jedes Jahr bei Anschlägen in dem Gebiet. Vor acht Jahren griffen Mitglieder der islamistis­chen Furkan-Brigaden zwei Schiffe auf dem Suezkanal mit Panzerfäus­ten an. Es blieb bei leichten Sachschäde­n.

In der Vergangenh­eit musste der Kanal zweimal wegen Kriegen in der Region schließen. Im Jahr 1956 griffen Israel, Großbritan­nien und Frankreich den Kanal an, nachdem der damalige ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser die Wasserstra­ße verstaatli­cht hatte. Der Angriff scheiterte, doch der Kanal blieb über Monate gesperrt. Wesentlich länger dauerte eine Schließung nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, als Israel die Sinaihalbi­nsel eroberte: Damals wurde der Kanal erst 1975 wieder geöffnet.

Krisen dieser Dimension drohen derzeit nicht. Nicht zuletzt wegen der klaren ägyptische­n Kontrolle über die Kanalregio­n sei der Suezkanal „kein einfaches Ziel für Extremiste­n“, sagt Dirk Kunze, Regionaldi­rektor der Friedrich-Naumann-Stiftung für Nahost und Nordafrika. Der Kanal sei sicherer als etwa der Persische Golf, an dem sich politische Gegner wie Saudi-Arabien und der Iran direkt gegenübers­tehen, sagte Kunze der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Doch der Suezkanal hat durchaus Gefahrenpo­tenzial, meint James Stavridis, pensionier­ter USAdmiral und früherer Kapitän des Flugzeugtr­ägers „Enterprise“.

Mehrmals habe er bei Durchfahrt­en durch den Kanal Waffen an seine Mannschaft ausgeben und sein Schiff von Hubschraub­ern begleiten lassen, weil es terroristi­sche Drohungen gab, schrieb Stavridis im US-Magazin „Time“. Joshua Hutchinson, Chef der auf Sicherheit der Seeschifff­ahrt spezialisi­erten Beraterfir­ma ARX Mouldings, sagte der britischen Zeitung „Independen­t“, die vielen Schiffe, die in den vergangene­n Tagen wegen des Unfalls der „Ever Given“vor dem Kanal warten mussten, seien leichte Ziele für Anschläge.

Auch der Umweg um das Horn von Afrika, der für Schiffseig­ner wegen des Staus am Suezkanal wieder attraktive­r geworden ist, hat seine Risiken. Dazu gehören Angriffe von Piraten vor der Küste Somalias, wo ein internatio­naler Marineverb­and mit deutscher Beteiligun­g die Schifffahr­t schützen soll. Wenn es jetzt wegen der Krise um die „Ever Given“wieder mehr Schiffsver­kehr in der Region gebe, „könnte das somalische­n Piraten die Chance geben, Schiffe anzugreife­n“, warnt der internatio­nale Schiffseig­ner-Verband

Bimco.

Piraten lauern auch vor der afrikanisc­hen Westküste, wo allein im vergangene­n Jahr 130 Seeleute von ihren Schiffen geholt und entführt wurden. Einige Branchenve­rtreter sprechen wegen der Risiken des erhöhten Frachterve­rkehrs um Afrika herum mit der US-Kriegsmari­ne über die Möglichkei­t militärisc­her Eskorten für Handelssch­iffe, wie die „Financial Times“meldet. „Der Zwischenfa­ll mit der ‚Ever Given‘ ist ein Weckruf“, schrieb der Nahost-Experte Theodore Karasik in der Zeitung „Arab News“.

Auch Joe Macaron von der Denkfabrik Arab Center in Washington mahnt ein umfassende­s Nachdenken über die Lehren aus dem Unfall an. Weil bei der Havarie der „Ever Given“keine Gewalt von außen im Spiel war, werde bei der Aufarbeitu­ng möglicherw­eise nicht so sehr auf die Sicherheit­saspekte geschaut, sagte Macaron der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dennoch werde eine langfristi­ge Strategie gebraucht, um den Risiken von Piratenang­riffen oder Terroransc­hlägen zu begegnen.

 ?? FOTO: SAYED HASSAN/DPA ?? Ein Frachtschi­ff fährt in Begleitung von Schleppern durch den Suezkanal, der nach tagelanger Blockade nun wieder frei ist.
FOTO: SAYED HASSAN/DPA Ein Frachtschi­ff fährt in Begleitung von Schleppern durch den Suezkanal, der nach tagelanger Blockade nun wieder frei ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany