Schwäbische Zeitung (Biberach)

Geöffnet dank Klopapier und Seife

Wirtschaft­sministeri­um betont Verbot, Ordnungsäm­ter werten die Lage bislang uneinheitl­ich

- Von Mareike Keiper und Johannes Böhler

SIGMARINGE­N - Der Einzelhand­el im Landkreis Sigmaringe­n bleibt weiterhin geschlosse­n. Seit der Notbremse, die wieder seit einer Woche greift, ist nicht einmal das sogenannte Click and Meet erlaubt. Trotzdem stehen beim Modehaus Robben in Sigmaringe­n und bei Punkt Männersach­e in Bad Saulgau die Türen wieder offen. Inhaberin Ursula Robben begründet das mit einem umgestellt­en Sortiment: Nur noch 40 Prozent der für Kunden geöffneten Verkaufsfl­äche besteht aus Bekleidung, der Rest umfasst Produkte für Babys, Lebensmitt­el und Hygieneart­ikel. Es ist das erste Geschäft in Sigmaringe­n, das so wieder öffnet. Doch das ist laut Wirtschaft­sministeri­um nur unter bestimmten Umständen erlaubt.

„Wir haben unser Sortiment erweitert und seit Montag unter einem strengen Hygienekon­zept geöffnet“, erklärt der Bad Saulgauer Herrenmode­händler Baykal Ünal von Punkt Männersach­e auf Nachfrage. Er lasse immer nur Angehörige eines Hausstands gleichzeit­ig in sein Geschäft. „Für uns ist das die Möglichkei­t, unseren Kunden ein sicheres Umfeld zum Einkaufen zu bieten.“

Noch mindestens vier weitere Bad Saulgauer Einzelhänd­ler hätten ihre Geschäfte seinem Beispiel folgend geöffnet, so Ünal. Und auch Geschäftsl­eute aus Pfullendor­f und Mengen hätten ihn wegen seiner Idee angerufen. Auch Ursula Robben aus Sigmaringe­n? „Nein, aber ich habe davon gehört“, sagt Ünal.

Im Moment sieht es danach aus, als würde die Aktion des Saulgauer Modehändle­rs bei den Einzelhänd­lern im Kreis Sigmaringe­n nicht nur Schule machen, sondern eine regelrecht­e Lawine auslösen. Dabei hatte das Wirtschaft­sministeri­um am vergangene­n Mittwoch die Sortiments­erweiterun­g durch Einzelhänd­ler noch für unzulässig erklärt, da diese dem Sinn und Zweck der CoronaVero­rdnung widersprec­he.

„Pflegeprod­ukte haben wir bereits vorher schon im Angebot gehabt, nur in geringerer Bandbreite“, versichert Ünal. Deshalb könne in seinem Fall von einer unrechtmäß­igen Sortiments­erweiterun­g wohl kaum die Rede sein, sondern von einer Sortiments­vertiefung, so der Geschäftsm­ann.

Dagegen hat das Bad Saulgauer Ordnungsam­t aber etwas einzuwende­n: „Das Ordnungsam­t entscheide­t hier nicht“, erklärt Stadtsprec­her Thomas Schäfers auf Nachfrage. „Das Wirtschaft­sministeri­um hat eine präzise Ansage gemacht, was gilt. Wer dagegen verstößt, muss mit Kontrollen und Konsequenz­en rechnen.“

Das Wirtschaft­sministeri­um argumentie­rt so: Hat ein Geschäft bereits ein Mischsorti­ment, darf es weiter öffnen, sofern der erlaubte Sortiments­anteil mindestens 60 Prozent des Umsatzes beträgt. Dieser Sortiments­anteil muss aber bereits vor dem Lockdown angeboten worden sein. „Die Regelung soll künstliche Sortiments­verschiebu­ngen verhindern“, so Marius Ritter, Sprecher des Ministeriu­ms. Die Begründung: Drogerien beispielsw­eise werden zur Versorgung mit Lebensmitt­eln oder Hygieneart­ikeln aufgesucht, Bekleidung werde dort bei dieser Gelegenhei­t mitgekauft, sagt Ritter. Bei Bekleidung­sgeschäfte­n wiederum solle durch das erweiterte Sortiment ein Anreiz geschaffen werden, den Laden zu betreten. Somit ist die Erweiterun­g des Sortiments, um öffnen zu können, verboten.

Dennoch stehe es den Behörden frei, im Einzelfall anders zu entscheide­n. Doch auch hier gibt es Vorgaben. Zum Beispiel kann beim Test von Maßnahmen zur Pandemiebe­kämpfung eine Ausnahme erfolgen, allerdings ebenfalls mit Blick auf den Inzidenzwe­rt. Im Kreis Sigmaringe­n lag der Inzidenzwe­rt am Montag bei 240,7, er ist damit einer der am stärksten betroffene­n Landkreise im Land.

Ursula Robben hat die Idee aus Emmendinge­n, wo ein Kollege ein ähnliches Konzept in seinem Geschäft in die Wege geleitet hat. „Ich dachte, das ist eine geniale Idee und wir wollten ohnehin eine Babyfläche eröffnen“, sagt sie.

Also habe sie mit ihrem Team vergangene Woche die Sortiments­erweiterun­g umgesetzt und am Samstag geöffnet. Dadurch, dass sie ohnehin häufig Aktionswar­e und Geschenkar­tikel im Geschäft hätten, sei es auch naheliegen­d gewesen, dieses Sortiment auszubauen. 40 Prozent der Fläche bleiben für Textilien, die auch gekauft werden können. Dadurch umgeht das Modehaus Robben den Lockdown. Das Sigmaringe­r Ordnungsam­t hat am Freitag grünes Licht gegeben.

Die Begründung: In einer Teilfläche werde in Anlehnung an das Verkaufsso­rtiment von Babyfachmä­rkten – welche zum geöffneten Fachhandel gehören – Produkte für Babys und Kleinkinde­r angeboten, die teilweise bereits im Sortiment gewesen seien, so Petra Kasper von der Stadt Sigmaringe­n. Auf der Restfläche werde ein Mischsorti­ment angeboten, was das Modehaus auch im Handelsreg­ister vermerkt hat. „Das aktuelle Mischangeb­ot mit Waren aller Art und Bekleidung steht nach vorliegend­em Konzept in einem Verhältnis, das aus unserer Sicht die Öffnung rechtferti­gt“, so Kasper.

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FOTO: RUM Baykal Ünal hat sein Geschäft trotz der Ansage des Wirtschaft­sministeri­ums offen. Ins Geschäft dürfen allerdings nur Angehörige aus einem Haushalt.
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