Schwäbische Zeitung (Biberach)
Fans können zumindest auf das Fernsehen ausweichen. Nun (Sa., 18.30/Sky) steht das Bundesligaspitzenspiel RB Leipzig gegen Bayern München in Ihrer Heimatstadt auf dem Programm, aufgeregt?
RAVENSBURG - Wenn Joshua Kimmich für Deutschland dominiert und Max Kruse die Bundesliga aufwirbelt, hat Frank Engel seinen Anteil daran. Als U15-Nationaltrainer des DFB geleitete der heute 70-Jährige die jungen Fußballer auf ihrem Weg zum Profi. Dass der gebürtige Leipziger zuvor bereits bei 195 Nachwuchsländerspielen der DDR auf der Bank saß, die Landesauswahl betreute und als Co-Trainer im DFB-Pokalfinale stand, tritt dabei meist in den Hintergrund. Felix Alex hat mit dem Fußball-Lehrer über seine lange Karriere, den DFB sowie das anstehende Bundesliga-Spitzenspiel gesprochen.
Herr Engel, Sie waren beinahe fünf Jahrzehnte als Trainer im Einsatz, sind seit 2016 in Rente, aber im Unruhestand. Aktuell ist aber selbst das nicht möglich, oder?
Für mich fallen die Präsenzveranstaltungen beim Bund Deutscher Fußball-Lehrer aus. Aber auch bei der Trainerfortbildung gibt es die neue Welle der Onlineseminare, und da hat man auch im Alter ein bisschen was Neues kennengelernt. Langeweile kommt also nicht auf. Was natürlich fehlt, sind die Stadionbesuche, aber es gibt in der gegenwärtigen Situation wichtigere Probleme.
Fußballfan für einen Verein war ich ja noch nie, fußballverrückt schon. In meinem Buch „Ein Engel zwischen Himmel und Hölle“(ISBN: 9783949051005; d. Red.) schreibe ich ja auch, dass ich so eine Art Fußballliebhaber bin, der schon von klein auf für alle Mannschaften offen war. Als ganz kleiner Kerl mit elf, zwölf Jahren war ich bei beiden Leipziger Erstligavereinen, beim SC Lok und beim SC Rotation, zu den Spielen. Ich freue mich auch heute noch für alle Leipziger Vereine. RB bin ich dankbar, dass man sich für den Standort entschieden hat. Sie machen das mit Nachhaltigkeit und haben eine sehr gute Entwicklung genommen. Da muss man schon den Hut ziehen, und daher drücke ich natürlich Leipzig die Daumen.
Auf der Bank sitzen zwei deutsche Trainerüberflieger. Für Sie auch persönlich keine Unbekannten.
Als Hansi Flick Sportdirektor beim DFB war, habe ich unter ihm gearbeitet. Er ist ein absoluter Teamworker und ausgesprochener Fußballfachmann, mit dem ich nur angenehme Erinnerungen verbinde. Was er im vergangenen Jahr mit Bayern abgeräumt hat, ist zudem sensationell. Julian Nagelsmann habe ich vor etwa zehn Jahren kennengelernt, als er im Hoffenheimer Nachwuchsleistungszentrum gearbeitet hat. Ich war damals seitens des DFB für die Trainerfortbildung verantwortlich, und er war noch ein ganz ganz junger Traischnelllebig ner, Anfang 20. Aber schon da war er sehr selbstbewusst und engagiert, hat vieles hinterfragt und ist dadurch aufgefallen. Er war jemand, der positiv drängelt. Dass es für beide dann für die aktuell erfolgreichsten deutschen Clubs gereicht hat, konnte man aber nicht voraussehen. Eine Trainerkarriere ist ja zum großen Teil auch Glück. Da stellt sich immer die Frage: Wo kann ich andocken? Habe ich die Chance, einen Verein zu bekommen, der mal im Spitzenfeld ist oder habe schon einmal einen Club zum Klassenerhalt geführt? Denn ganz schnell ist man so eine Art Feuerwehrmann wie mein ehemaliger Cheftrainer Jörg Berger.
Auch auf dem Feld tummeln sich alte Bekannte en masse, etwa Joshua Kimmich, Niklas Süle oder Lukas Klostermann. Nehmen Sie uns mit zurück an deren Anfänge. Wenn man Joshua mit 15 Jahren gesehen hat, war er ein Spieler, der sich in der Altersklasse körperlich noch nicht durchsetzen konnte. Aber er war bei den Lehrgängen dabei – und so klein er auch war, war er ein richtig guter Fußballer. Er war immer auf seine Leistungen fokussiert und hat mit 15 schon enorm dirigiert, das war auffällig. Man hat Joshua immer gehört, das war fast ein bisschen belastend, aber das ist gut so, und das haben wir nie unterbunden. Er war immer präsent, wollte die Aktionen an sich reißen und hat seine Mitspieler gecoacht. Und man sieht ja, was ein Spieler für eine Entwicklung machen kann, wenn man Geduld hat. Niklas Süle war jemand, der damals immer recht aufgeregt war, wenn er zum DFB kam, aber er war körperlich recht weit. Bei ihm waren die Koordination und die Kleinraummotorik noch nicht in jedem Fall da, weil er gerade in diesem Längenwachstum war, aber das muss man richtig einschätzen und hinbekommen.
Union Berlins Max Kruse dürfte Sie auch nicht vergessen haben ... Max war ein richtiger Kicker, und ich liebe ja solche Typen, die nicht nur geradlinig sind. Man muss gerade dieses Individuelle lassen. Er war ein Junge, der noch nicht austrainiert war, als er zu uns kam. Da habe ich mal unters Trikot gegriffen, seine Röllchen gezwickt und gesagt, na hier müssen wir vom Speck noch etwas wegholen. Er ist seinen Weg gegangen, weil er ein guter Fußballer ist.
Viele große Namen gingen durch Ihre Schule. Von Ulf Kirsten bis zu Mesut Özil. Bekommen Sie heute noch ständig Nachrichten?
Ach wissen Sie, für mich ist so ein Gradmesser, dass die Jungs, wenn sie einen sehen, freundlich auf einen zukommen, und es so ist, als wäre man erst gestern auseinandergegangen. Ich habe noch keinen erlebt, der vorbeigegangen ist oder sich umdreht und fragt: Ach, Sie waren mal Trainer? Da denke ich schon, dass sie immer auch an ihre ehemaligen Trainer denken, auch wenn es natürlich sehr
ist. Zu Andy Thom, Thomas Doll oder Ulf Kirsten ist der Kontakt dagegen noch enger.
Kirsten, Thom und Doll kannten Sie aus Ihrer Zeit als DDR-Nachwuchstrainer. Wie war es zu sehen, als der DFB ab der Jahrtausendwende ein strukturiertes Fördersystem aufbaute? Vieles kannten Sie bereits. Der DFB stand ja Ende der 1990erJahre vor einer ähnlichen Situation wie der DDR-Fußballverband Anfang der 1970er-Jahre, als wir viele Talente durch die anderen Sportarten verloren haben und sich das Freizeitverhalten ein bisschen verändert hatte. Es gab zudem keine Straßenfußballer mehr. Beim DFB hatte man bis dahin ein wenig ausgebildet, aber mehr ausgewählt, weil der DFB eine wesentlich höhere Anzahl Nachwuchsspieler hatte. Dann wurden ähnliche Schritte eingeleitet: Talenteförderung, Leistungszentren, Eliteschulen des Fußballs, Aund B-Jugend-Bundesliga und die Arbeit in den U-Nationalmannschaften. Das war das einzig Richtige.
Hätte eine frühere Expertise von Frank Engel die 1990er-DFB-Rumpeljahre etwas abmildern können?
Wenn man in eine neue Gesellschaftsordnung als, ich sag mal, Verlierer geht, ist das ja wie ein Neuanfang. Viele erfolgreiche und gut ausgebildete Nachwuchstrainer, Diplomsportlehrer und Fußball-Lehrer sind da auf der Strecke geblieben und mussten in vollkommen andere Berufe, um zu überleben. Von den letzten DDR-Oberligatrainern sind ja ganz wenige irgendwo angekommen. Ede Geyer ist über Cottbus reingekommen, und ich bin über diesen Weg mit Jörg Berger und den DFB angedockt. Selbst solch eine Größe wie Hans Mayer ist erst über den Umweg Niederlande in die Bundesliga gekommen. Andere erfolgreiche Trainer wie Ulli Thomale haben es überhaupt nicht in die 1. Bundesliga geschafft. Man musste sich hocharbeiten und Anerkennung verschaffen. Als ich 2006 zum DFB kam, wusste kaum jemand, was ich früher gemacht hatte. Durch die Zeit mit Berger war ich etwas bekannt, aber niemand wusste, dass ich 195 Länderspiele für die DDR betreut hatte. Aber das sind alte Geschichten, über die muss man nicht mehr so reden.
Mein Credo war immer: Ärmel hochkrempeln und sich durchsetzen.
Deshalb haben Sie auch später immer versucht, die Strukturen und den Verband weiterzuentwickeln.
In dieser Gesellschaftsordnung, in der wir leben, ist jeder zuerst darauf aus, sich und die familiäre Existenz abzusichern – selbst im Nachwuchstrainerbereich. Der U19-Trainer verdient zum Beispiel deutlich mehr als der U13- oder U15-Trainer. Diese machen aber genau die gleiche Arbeit, nur in einer anderen Altersklasse. Es sind alles Alterklassenspezialisten. Da sind so gravierende Gehaltsunterschiede nicht gerechtfertigt. Zu Ostzeiten lagen dazwischen vielleicht 100 Mark, und es gab einen riesigen Zusammenhalt. Als ich als ganz junger Trainer zum DDR-Verband gekommen bin, hat mich Nationaltrainer Georg Buschner beiseitegenommen und gefragt: Frank, wie hast du das Spiel gesehen? Lass uns einen Kaffee trinken. Das war für mich damals eine Ikone, zu der ich mich nicht getraut habe, Du zu sagen. Aber die heutige Zeit ist wohl eine andere.
Joachim Löw hat auch ohnehin sehr viel Termine, vor allem jetzt in seinem Abschiedsjahr.
Wir kennen uns natürlich, aber es gab keine intensiven Fachgespräche. Er ist Weltmeister geworden und hat eine tolle Arbeit gemacht, konnte natürlich von der verbesserten Nachwuchsarbeit nach 2000 profitieren. Den Schlussstrich zu ziehen, ist seine Entscheidung. Vielleicht wäre ein Neuanfang schon 2018 richtig gewesen, aber der Zeitpunkt jetzt kann ebenfalls als positiver Impuls gesehen werden. Da hat der DFB nun etwas Zeit, und Kandidaten gibt es ja viele. Dazu Folgendes: Es ist – und das kann ich mit meiner zweigeteilten Karriere sagen – ein vollkommen anderes Arbeiten, ob man Vereinstrainer ist, der tagtäglich auf dem Platz steht, oder Auswahltrainer.
Bedauern Sie, dass es nie für den ganz großen Wurf in Ihrer Trainerkarriere gereicht hat?
Das muss man relativieren, nicht jeder kann in der ersten Reihe stehen. Den großen Posten im Profifußball habe ich nicht angeboten bekommen, aber ich bin auch so sehr dankbar. Das Pokalfinale mit Alemannia Aachen kann mir niemand nehmen oder die Erinnerungen an die tollen Fußballer, mit denen ich arbeiten durfte. Auch wenn ich nicht den ganzen großen Titel oder Erfolg hatte, ist es mein größter Erfolg, dass ich so lange dabei war. Zudem liegt mir der Nachwuchs weiter am Herzen und solange ich im Fußball aktiv bin, werde ich immer auf den Nachwuchs schauen und die Entwicklung in Deutschland beurteilen.
Frank Engel über seine Zeit in Südkorea sowie seine Tipps an alle Fußballer: schwaebische.de/interview_U15Trainer