Schwäbische Zeitung (Biberach)

Erdogan führt die EU vor

- Von Susanne● Güsten politik@schwaebisc­he.de

Die Demütigung für EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in Ankara veranschau­licht die Dynamik zwischen Europa und der Türkei. Von der Leyen weiß genau, dass Bilder Macht sind. Dennoch nahm sie es beim Treffen mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan hin, dass sie von ihrem Gastgeber vor laufenden Kameras auf ein Sofa verbannt und degradiert wurde. Von der Leyens EU-Kollege, Ratspräsid­ent Charles Michel, schaute tatenlos zu. Mit diesem einfachen Mittel schaffte es Erdogan, die Europäer vorzuführe­n.

Beim Besuch in Ankara wurde deutlich, wie die neue Normalität der Kräfteverh­ältnisse in den Beziehunge­n zwischen der Türkei und Europa aussieht. Weil das Projekt einer türkischen Mitgliedsc­haft nur noch auf dem Papier besteht, fühlt sich die Türkei befreit von den Zwängen eines Bewerberst­aates, der sich an demokratis­che Vorgaben halten muss.

Längst hat sich die Türkei von den traditione­llen Grundsätze­n ihrer Außenpolit­ik als Frontstaat des Westens entfernt. Das Land sieht sich als Regionalma­cht, die mit Akteuren wie den USA, der EU, Russland und China auf Augenhöhe umgehen kann. Eine Unterordnu­ng unter europäisch­e Normen hat da keinen Platz. Für eine Verbesseru­ng der Beziehunge­n seien „konkrete Schritte“der EU notwendig, sagte Erdogan seinen Gästen. Hinweise auf demokratis­che und rechtsstaa­tliche Rückschrit­te ließ er nicht gelten.

Von der Leyen betonte die Position der EU als größte Handelspar­tnerin der Türkei, um Erdogan klarzumach­en, dass Europa Trümpfe in der Hand hat. Der Verzicht auf Sanktionen wegen des türkischen Verhaltens im Mittelmeer zeigt aber, dass Europa zögert, diese Trümpfe auszuspiel­en. Deutschlan­d etwa ist mit Tausenden Firmen in der Türkei engagiert und scheut die Sanktionen. Erdogan kann sogar die EU-Chefin als Statistin behandeln, ohne dass die Europäer sich wehren. Trotz der Sofaszene sprach von der Leyen hinterher von „einer positiven Agenda“. Dabei ist sicher: Wäre Erdogan in Brüssel so behandelt worden, hätte er auf dem Absatz kehrtgemac­ht.

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